auer
Vor vielen, vielen Jahren, als es noch keine Menschen
gab und die Blumen ungesehen im Dickicht verblühten, herrschten
über Weltall, Land und Meer sieben gewaltige Fürsten, die sich
selbst die Titanen nannten. Sie waren sieben Brüder, und ihre
Frauen waren sieben Schwestern; das Erddunkel war ihre Mutter
und das Himmelslicht ihr Vater, und sie
waren so riesenhaft von Gestalt, daß,
wenn sie über die Erde gingen, ihnen sogar die Palmenwälder nur
bis zu den Knöcheln reichten. Mit ihrer Ferse zermalmten sie
Berge; ihr Durst trank Meere leer; ihr
Atem zerblies die dichtesten Wolken, und sie hätten Löwen
und Krokodile und Elefanten
fangen können wie Käfer, wenn ihre Augen und Hände für derlei
winziges Krabbelzeug nicht viel zu groß gewesen wären.
So gewaltig wie ihre Größe und Kraft war auch ihre Strenge.
Sie wachten über die Gesetze der unbelebten Natur, und dieses
Wächteramt hatte ihr Gemüt so kalt wie das Eis und so spröd wie
das Erz gemacht. Sie kannten nicht Spaß noch Freude; sie schritten
in ihren Mänteln aus Metallen und Steinen ernst und gemessen
um die Kontinente herum oder ließen sich von Kometen durch den
Weltraum tragen und sahen die Sterne in ihren Bahnen steigen
und fallen und fühlten das Strömen des Lichts und des Schalls
und der Schwere und nickten mit ihren
granitgekrönten Häuptern und sagten feierlich: «So ist es gut!
So soll es bleiben in alle Ewigkeit!»
- Franz Fühmann, Prometheus. Die Titanenschlacht. In: F.F., Marsyas.
Mythos
und
Traum
.
Leipzig 1993 (Reclam 1449, zuerst 1974 ff.)
Dauer (2) Merkwürdig ist die Spekulation,
die der evangelische Theologe Rothe
1869 darlegte. Seine Behauptung — auch sie geadelt durch das
geheime Erbarmen, eine unendliche Bestrafung der Verdammten zu
leugnen — besagt, daß die Strafe verewigen soviel bedeute wie
das Böse verewigen. Gott, betont er, kann diese Ewigkeit für
sein Universum nicht wollen. Er beharrt
darauf, daß es anstößig sei anzunehmen, daß der sündige Mensch
und der Teufel die wohltätigen Absichten Gottes auf immer verhöhnen
sollten. (Die Theologie weiß, daß die Schöpfung ein Werk der
Liebe ist. Der Begriff Prädestination bezieht sich für sie auf
die Vorausbestimmung zur Glorie; die Verdammnis ist lediglich
deren Kehrseite, sie ist eine Nichterwählung, die sich als Höllenpein
übersetzen läßt, stellt jedoch keinen speziellen Akt der göttlichen
Güte dar.) Er macht sich schließlich zum Anwalt eines abnehmenden,
geminderten Lebens für die Verdammten. Er sieht voraus, wie sie
an den Rändern der Schöpfung herumstreifen,
die leeren Stellen des unendlichen Raums durchschweifen und sich
mit Lebensüberresten durchfristen. Er zieht den Schluß: Insofern
die Dämonen bedingungslos Gott fern und bedingungslos Gottes
Feinde sind, ist ihre Tätigkeit gegen das Reich Gottes gerichtet
und schart sie in einem teuflischen Reich zusammen, das naturgemäß
einen Anführer wählen muß. Das Haupt dieser dämonischen Regierung
— den Teufel - muß man sich ablösbar
vorstellen. Die Individuen, die den Thron
dieses Reiches einnehmen, verfallen der Gespensterhaftigkeit
seines Wesens, erneuern sich aber wieder unter der teuflischen
Nachkommenschaft (Dogmatik I, 248). - Jorge
Luis Borges, Die Dauer der Hölle, in: ders., Kabbala
und Tango. Essays. Frankfurt am Main (Fischer-Tb., zuerst 1931)
Dauer (3) Die Dauer ist ein Zustand, dessen Bewegung sich nicht durch Hemmungen aufreibt. Sie ist nicht ein Ruhezustand; denn bloßer Stillstand ist Rückgang. Dauer ist vielmehr eine in sich geschlossene und darum stets sich erneuernde, nach festen Gesetzen sich vollziehende Bewegung eines organisierten, in sich fest geschlossenen Ganzen, bei der auf jedes Ende ein neuer Anfang folgt. Das Ende wird erreicht durch die Bewegung nach innen, das Einatmen, die Systole, die Konzentration. Diese Bewegung geht über in einen neuen Anfang, bei dem die Bewegung nach außen gerichtet ist, das Ausatmen, die Diastole, die Expansion.
So haben die Himmelskörper ihre Bahnen am Himmel und können daher dauernd leuchten. Die Jahreszeiten haben ein festes Gesetz des Wechsels und der Umbildung und können daher dauernd wirken.
Und so hat auch der Berufene einen dauernden Sinn in seinem
Weg, und die Welt kommt dadurch zur fertigen Bildung. Aus dem,
worin die Dinge ihre Dauer haben, kann man die Natur aller Wesen
im Himmel und auf Erden erkennen. - (
ig
)
Dauer (4) Ganz am Schluß in den
beiden Jahrhunderten vor Christi Geburt kursiert im vorderen
Orient eine Sammlung von Prophezeiungen unter dem Namen » Orakel
des Hystaspes«. Sie arbeiten mit einem Siebentausend-Jahre-Schema.
Die Welt hat eine Dauer von 7000 Jahren.
Es gibt eine Nebeneinanderordnung der sieben Planeten, sieben
Metalle und auch sieben Farben, deren Ursprung
wir in der spätbabylonischen Religion zu suchen haben. 6000 Jahre
lang kämpfen der gute Gott und der böse Geist um die Weltherrschaft.
Dem Bösen gelingt es, die Oberhand zu gewinnen und alle jene
Wehen und Widerwärtigkeiten auf die Bahn zu bringen, die für
die Endzeit bezeichnend sind. Dann aber sendet Gott den Gott
Mithras. Der Sonnengott macht den bösen Mächten ein Ende und
herrscht während eines Millenniums. Tausend Jahre stehen unter
der Herrschaft der Sonne; ihr metallenes Symbol ist das Gold.
Nach dem Millennium des Mithras endet die Herrschaft der Planeten.
Eine große Verbrennung findet statt, und die Welt wird vollständig
erneuert. - Hans-Jürg
Braun, Das Jenseits - Die Vorstellungen der Menschheit über das
Leben nach dem Tod. Frankfurt am Main 2000 (it 2616, zuerst 1996)
Dauer (5) Vielleicht kam ein Gefühl von Dauer nur zustande, wenn etwas Wirkliches mit einem Wunschbild übereinstimmte. Und beide mußten zueinander passen.
Ein Gefühl, das bestätigt wurde, das war vielleicht die Dauer.
Eugen sagte das dem Stephan Koval, der abwesend lächelte und von Eugen wissen wollte, wann er ein Gefühl von Dauer habe. Eugen war nahe daran zu sagen: Nie ... wahrscheinlich weil alles vorbeigeht... doch besann er sich. Da war dann etwas in dem Wetter, was wechselte und immer wiederkam, also gleichblieb. Und bei den Silberdisteln am Waldrand hast du's auch. Froh bist du, wenn du denkst: darauf kannst du dich verlassen.
»Weil ich einmal verwesen muß, sehne ich mich nach Dauer«, sagte Eugen, doch
kam noch etwas anderes dazu; vielleicht eine Ahnung von ewiger Dauer. Dann bist
du im Großen Zusammenhang oder hast ein Gefühl davon... Und wieder einmal dachte
er ans Gehen auf grasigen Wegen. Wenn neben denen Glockenblumen standen und
ein Stein hervorschaute im Gras ... Der Wind ging in den Blättern. Ein gewisser
Eugen Rapp spürte sich nicht mehr. Er hatte nur noch das Gefühl, alles von ihm
habe sich im Wind verflüchtigt, aufgelöst im Boden. Du bist Gras geworden, Blätter,
Glockenblumen und so weiter. Alles aber hat das Licht hervorgebracht. - Hermann Lenz, Herbstlicht. Frankfurt
am Main 2000
Dauer (6) Diese Welt, dieselbe von allem, hat weder ein Gott noch ein Mensch
geschaffen, sondern sie war immer, ist immer und wird sein ewig lebendes
Feuer, sich entzündend nach Maßen und erlöschend nach Maßen.
- Heraklit
Dauer (7) Schein unserer Dauer. Diesen haben am meisten die Gelehrten.
Man denke sich die Bücher weg, so verrinnt die ganze Vergangenheit
hinter uns in eine unförmliche, unkenntliche, unbenannte stumme Masse
und nur Gegenwart steht lebend vor uns und die Gebiete des Todes liegen
ausgedehnter obwol in Nacht hinein gehend vor uns als der grüne schmale
Streifen und Ufer des Lebens und sterben sehen hieß[e] da, verstummen
hören auf immer. Aber nun stehen die Bibliotheken da, die Wohnhäuser der
Vergangnen, worin sogar Lebendige mitwohnen — die Todten reden noch
alle darin fort, mit sich und mit uns, ihre ganze Zeit lebt mit ihnen —
in dieser großen Kette fragt man gar nicht darnach, da nur Geister zu
Geister dringen, ob der, der meinen bezwingt, noch heute lebt oder vor
Jahrtausenden starb.
- (idg)
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