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Zustand (2) «Dann wollen wir mal hören: was ist das Sein? Wißt ihr das?»
«Ja!»
«Ja!»
«Ja!»
«Halt. Schon zu viele Ja. Soll einer sprechen: was ist das Sein?»
«Das Sein ist unser Bewußtsein.»
«Hm, ja: das ist in der Tat die Definition unserer Lehrbücher. Demnach wäre das Sein eine Art Empfindung oder zumindest doch eine subjektive Beziehung: wozu, frage ich euch.»
«Was heißt, wozu? Ja, zu unserer Denktätigkeit und auch zu unseren Empfindungen, also zu allem, was uns zu dem macht, was wir sind.»
«Das wäre zum Bewußtsein über den Inhalt unseres Bewußtseins, ich meine: haltet ihr das für schlüssig, oder kommt euch das nicht eher wie ein Spielchen vor?»
«Na . . . wie Sie das sagen, freilich ...»
«Ich habe nur gesagt, was ihr selber gesagt habt. Aber hört zu: ich denke schon, daß hier eine Mediation erforderlich ist, anders ausgedrückt, daß unser Bewußtsein sich auf etwas beziehen muß und nicht ausschließlich auf sich selbst. . . Im übrigen kommen wir damit wahrscheinlich vom Thema ab, und vielleicht übersteigt es auch euer Vorwissen. Ich will sagen: seid ihr denn nie auf den Gedanken gekommen, daß diese von uns als subjektiv definierte Beziehung zumindest zu einem objektiven Wert tendieren könnte, mit anderen Worten, daß das Sein nicht eine Erscheinungsform, sondern einen Zustand von uns darstellen könnte?»
«Einen Zustand!»
«Den Begriff des Zustands haben wir ja mehr oder weniger, aber ...»
«Nun, ich wußte, daß ihr da aufmuckt. Ihr wollt doch gewiß sagen, daß unser Zustand beständig und ewig und darum kein Zustand ist?»
«Aber sicher! Der Begriff von Zustand oder Verfassung setzt die Möglichkeit einer Veränderung voraus.»
«Was noch zu sehen wäre: allein die Tatsache, daß wir 'unveränderlicher Zustand' sagen können . . .»
«Wie denn!»
«Aber was sind das für Argumente! Will man sich über uns lustig machen?»
«Was würden Sie denn am Ende daraus schließen?»
«Beruhigt euch doch. Schon gut, ihr habt ja auch recht. Dann wollen wir jetzt
versuchen, die Schwierigkeit zu umgehen. Sagt mal: wißt ihr denn, was das Nichtsein
ist?» - (
land2
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Zustand (3) Der Meister redete er eine halbe
Stunde lang. Ihm sei es zu bewußt, sagte er, daß die Zustände der Dinge
um uns unzählige, unberechenbare, unendlich verworrene seien, und daß jede Entscheidung
vom Zufall oder von Gewohnheiten abhänge, die dazu geschaffen seien, obsolete
Reaktionen hervorzurufen. Sein persönlicher Wunsch wäre, es sollte eine pythagoräische
Matrix der Welt geben, eine Matrix, die jeden Zustand der Dinge der kurzlebigen
Verwirrung der Sinne entziehe, und sein Wunsch wäre es weiter, injedem Ding
ein Muster zu sehen, so genau und unumstößlich wie
die Bahnen der Himmelskörper. Aber im Lauf seiner Forschung habe er schließlich
die Beschränktheit aller Muster erkannt, die ihm in den Sinn gekommen seien,
und außerdem zweifle er jetzt daran, daß selbst die Bahnen der Himmelskörper
nicht die Genauigkeit hätten, die er sich wünsche. Auf jeden Fall, kurz gesagt,
sein Ideal seien diese Bronzestatuen, die gleichgültig mitten im Gewirr der
Erscheinungen standen. -
Gianni Celati, Die Novelle von den zwei Studenten. In: G. C., Cinema naturale. Berlin 2001
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