- (
fraz
)
Krokodile (2) Das Krokodil hat folgende Art und Beschaffenheit: Vier Monate, wenn es am kühlsten ist, frißt es nichts, und es ist ausgestattet mit vier Beinen, ein Land- wie auch Wassertier. Nämlich seine Eier legt und bebrütet es auf dem Land und bringt den größten Teil des Tags auf dem Trocknen zu, die ganze Nacht aber im Fluß. Denn im Wasser ist es doch wärmer als unter klarem Himmel und bei Tau. Und unter allen sterblichen Wesen, die wir kennen, wird dies aus dem kleinsten das größte. Denn die Eier, die es legt, sind nicht viel größer als die von Gänsen, und das Junge entspricht dem Ei, dann wächst es und kommt auf siebzehn Ellen und noch mehr. Augen hat es wie ein Schwein, und große hauerartige Zähne. Es ist das einzige Tier, das es zu keiner Zunge gebracht hat; auch bewegt es den unteren Kiefer nicht, sondern bewegt - und auch das ist einzigartig unter den Tieren - den oberen Kiefer gegen den unteren. Es hat auch starke Klauen und auf dem Rücken eine Schuppenhaut, die undurchdringlich ist. Im Wasser blind hat es draußen sehr scharfe Augen. Und da es viel im Wasser lebt, ist sein Rachen drinnen ganz voll von Blutegeln. Alle andern Vögel und Tiere flüchten vor ihm, mit dem Läufervogel aber steht es auf gutem Fuß, denn von ihm hat es Nutzen. Nämlich wenn das Krokodil vom Wasser aufs Land steigt und dann das Maul aufsperrt - das tut es nämlich gerne, im allgemeinen gegen den West hin -, dann schlüpft der Läufer hinein und verschlingt die Blutegel. Diese Hilfe gefällt ihm, und es tut dem Läufer nichts.
Einigen Ägyptern nun sind die Krokodile heilig,
andern wieder nicht, sondern sie setzen ihnen zu als Feinden. Die um Theben
und den Moiris-See wohnen, die haben ganz besonders den Glauben, daß sie
heilig sind. An beiden Stellen hegt man je ein ausgewähltes Krokodil, das
abgerichtet und zahm ist, und sie tun ihm Gehänge in die Ohren, von Glasfluß
und Gold, und Spangen um die Vorderfüße, und geben ihm vorgeschriebene
und geweihte Speisen und pflegen es aufs beste, solange es lebt. Ist es
gestorben, balsamieren sie es ein und setzen es in heiliger Lade bei. Die
aber in der Gegend von Elephantine wohnen, essen sie sogar und glauben
nicht, daß sie heilig sind. - (
hero
)
Krokodile (3)
Krokodilromanze Ich bin ein altes Krokodil Ich weiß mit list'gem Wehgekreisch Und wenn im gelben Mondlicht rings Die Klauen in den Sand gepflanzt, |
- Emmanuel Geibel, nach: Das
ABC
der Tiere. Gedichte. Hg. Evelyne Polt-Heinz und Christine Schmidjell. Stuttgart
2003 (Reclam 18275)
Krokodile (4) Vorher hatte
es nur moralischen und geistigen Schrecken gegeben. Aber jetzt waren die
Hauptakteure häßliche Vögel, Schlangen oder vor allem Krokodile. Das verfluchte
Krokodil wurde für mich mehr als alles andere zum Gegenstand größeren Schreckens.
Ich war gezwungen, mit ihm zu leben, und zwar (wie es in meinen Träumen
immer der Fall war) jahrhundertelang. Manchmal entfloh ich ihm und fand
mich in chinesischen Häusern wieder. Alle die Füße von Tischen, Sofas und
so weiter wurden bald von Leben erfüllt; der widerwärtige Kopf des Krokodils,
seine schielenden Augen schauten nach mir aus, in zehntausendfacher Wiederholung
multipliziert, und ich stand da, voll Abscheu und gebannt. So oft verfolgte
dieses scheußliche Reptil meine Träume, daß oft
derselbe Traum auf dieselbe Weise unterbrochen wurde: ich hörte freundliche
Stimmen zu mir sprechen (ich höre alles, wenn ich schlafe), und sofort
erwachte ich; es war heller Mittag, und meine Kinder standen Hand in Hand
neben meinem Bett, um mir ihre bunten Schuhe oder ihre neuen Kittel zu
zeigen, oder um mich sehen zu lassen, wie sie zum Ausgang angezogen waren.
Kein Erlebnis war für mich so schrecklich und gleichzeitig so ergreifend
wie dieser abrupte Übergang von der Dunkelheit des Unendlichen zu der farbenprächtigen
Sommeratmosphäre am hohen Mittag und von der unaussprechlichen Scheußlichkeit
mißgestalteten gigantischen Ungeziefers zum Anblick von kindlichen, unschuldigen
menschlichen Naturen. - Thomas de Quincey, Bekenntnisse eines englischen
Opiumessers. Leipzig 1981 (Gustav Kiepenheuer Bücherei 32, zuerst 1822)
Krokodile (5)
Ich bin ein altes Krokodil Gemütlich ist mein Lebenslauf: |
- Franz Graf Pocci, Kasperl unter den Wilden. Nach (
schen
)
- Lewis Carroll,
Sylvie & Bruno. München 1986 (Goldmann 8552, zuerst 1889)
Krokodil (7) Dieses
Tier können gewisse Fische umbringen, die mit gezähntem Kamm die Weichteile
des Bauches aufschlitzen. Allein von allen Tieren kann das Krokodil den oberen
Teil der Kinnbacken bewegen, während es den unteren Teil unbewegt hält. Aus
seinem Kot wird eine Salbe bereitet, womit alte Weiber und faltige Dirnen ihre
Gesichter beschmieren, und sie werden dadurch schön, bis der herabfließende
Schweiß wieder alles abwäscht. Der Figur des Krokodils entsprechen
Heuchler oder Wollüstige und Geizige, die, obwohl aufgeblasen vom Geifer des
Stolzes, von der Seuche der Wollust befleckt, besessen von krankhaftem Geiz,
dennoch streng und untadelig in der Erfüllung der Gesetze einherschreitend sich
vor den Menschen sehen lassen. - Bestiarium, nach dem Ms. Ashmole 1511, Hg. Franz Unterkircher.
Graz 1986
Krokodil (8) Im
trockenen Teil neben jedem Wasserbecken liegen die Krokodile, einzeln oder in
Paaren, farblos, gedrungen, ungeschlacht, grauenerregend, schwer und platt ausgestreckt
auf dem Boden über die ganze Länge der grausamen Kiefern, der kalten Bäuche
und breiten Schwänze. Alle scheinen zu schlafen, auch die mit offenen Augen,
oder vielleicht sind alle schlaflos in einer desolaten Starre, auch mit geschlossenen
Augen. Ab und zu regt sich eins, hebt sich träge auf seine kurzen Beine, kriecht
zum Beckenrand und läßt sich hineinfallen mit einem dumpfen Plumpsen; eine Welle
schwappt hoch, dann treibt es im Wasser, reglos wie zuvor. Ist es eine grenzenlose
Geduld, was sie damit bezeugen, oder eine unendliche
Verzweiflung? Was erwarten
sie, oder was haben sie aufgehört zu erwarten? In welche Zeit
sind sie eingetaucht? In die der Gattung, jenseits des rasenden Ablaufs der
Stunden von der Geburt bis zum Tod des Individuums? Oder in die der Erdzeitalter,
die Kontinente verschiebt und die Krusten der aufgetauchten Landmassen hart
werden läßt? Oder in die des langsamen, langen Erkaltens der Sonne? Der Gedanke
einer Zeit außerhalb unserer Erfahrung ist unerträglich. Herr Palomar beeilt
sich hinauszugelangen, die Reptilien kann man nur ab und zu und nur flüchtig
besuchen. - (
calv
)
Krokodil (9)
Zerbrochene fächer
Die krokodile von heute sind keine krokodile mehr. Wo sind die guten alten
abenteurer, die euch winzige fahrräder und hübsche
eiszapfen in die nasenlöcher hängten. Je nach der fingerfertigkeit
machen sich die läufer an den vier kardinalpunkten komplimente. Damals: welch
vergnügen, sich in der haltung anmutiger zwanglosigkeit auf diese angenehmen
flüsse zu stützen - sie waren mit pfeffer und tauben bestreut. Es gibt keine
echten vögel mehr. Die auf den abendlichen heimwegen straff gespannten stricke
bringen niemand zu fall, aber bei jedem falschen hindernis zeichnet ein lächeln
mehr und mehr blaue ringe unter die äugen der seiltänzer.
Der staub riecht nach blitz. Früher trugen die guten
alten fische schöne rote schuhe an den flossen. Es gibt keine echten wasserfahrräder
mehr, keine mikroskopie, keine bakteriologie, ehrenwort: die krokodile von heute
sind keine krokodile mehr. - Max Ernst, Paul Eluard: Die Unglücksfälle
der Unsterblichen. Spiegelschrift 7. Köln 1971 (zuerst 1922)
Krokodil (10) Das
Krokodil bezeichnet einen Seeräuber, einen Mörder oder einen nicht minder abgefeimten
Kerl. So wie das Krokodil den Träumenden zurichtet,
dementsprechend wird der durch das Krokodil Bezeichnete denselben zurichten.
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(
art
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Krokodil (11)
Die Krokodile
O grausige Verlorenheiten Der Schöpfung, schauerlicher Ort! In welchen Schorf der Sümpfe gleiten Die Dämmerungen Gottes fort? Wesen der Welt, entlegne Seele Fault hier in Schlamm und Schlaf erstarrt, Hängt Salamandern an der Kehle In Spiegelungen eingescharrt. Gebirge steigt aus Schattenräumen, Urschiefer, zackig und vermoost, Mittage sanften Glanzes säumen Gestade, das von Stille glost. Es lebt! Es regt sich, taucht mit Buchten, Im Geisterhaften schwebt ein Bein! In Nacht der untergründigen Schluchten Sinkt das Reptil entschlummernd ein. Halbinsel nur der Drachennase, Löchrige Klippe blinzelt blind. Die sture Trägheit in Ekstase, Verzauberung steht still wie Wind. Im Sande liegen sie erschlagen, Von Schlummer prall, die Augenhaut Verleimt von Ohnmacht im Behagen, Ägyptisches Jahrtausend braut Mit aufgetürmten Sommern schwelend Auf diesen Strünken morscher Zeit, Der Krötenborke, scheel von hehlend Einträchtiger Verschlafenheit. Denn sieh, sie lagern ihre Hälse Einander wohlig am Genick, Vertraulichkeit wohnt im Gefelse Und Zärtlichkeit, verfilzt und dick. Gewölbe horniger Augenbogen, Pforten der Seelenunterwelt, Lauernde Leere, hochgezogen, Das Buckelige, aufgestellt Wie Labyrinth von Höhlenlandschaft, Und plötzlich schwärmt Gewimmel auf Und schwemmt die schwärzliche Verwandtschaft, Wache Gefräßigkeit zuhauf. Agaven, gähnen dornige Kiefer, Weißliches Fleisch entblößt der Schlund Voll Aasgeruch und Ungeziefer Im kannibalisch grausen Grund. Hier einzugehn in Höllenbreiten Der Tierheit, in Geschling der Gier! Gefangen in der Gläsemheiten Scheusälig dösendem Revier! Die Säume Gottes dunkeln schaurig, Einöden des gestirnten Traums. In Dämmerungen ist er traurig, An bangen Rändern seines Raums. |
- Albin Zollinger, nach
(arc)