nerträglichkeit
»In unserem Lande tun die Frauen, was ihnen beliebt. Wir verehren sie
und lassen ihnen ihren Willen, denn ohne sie könnte die Welt nicht bestehen;
sie sind der Quell des Lebens.«
»Ah«, sagte ich, denn bisher war mir die Sache noch nie in diesem Licht erschienen.
»Ja, wir verehren sie«, fuhr er fort, »das heißt, bis zu einem gewissen Punkt - bis sie unerträglich werden. Das«, fügte er hinzu, »ist bei jeder zweiten Generation der Fall.«
»Und was tut ihr dann?« fragte ich neugierig.
»Dann«, erwiderte er mit leisem Lächeln, »raffen wir uns auf und töten die alten, um die jungen zu warnen und um ihnen zu zeigen, daß wir die Stärkeren sind. Auf diese Weise wurde vor drei Jahren meine arme Frau getötet. Es war sehr traurig, aber ehrlich gesagt, mein Sohn, mein Leben ist seither viel schöner, denn vor den jungen schützt mich ja mein Alter.«
»Kurz gesagt«, antwortete ich, einen Politiker zitierend, dessen Weisheit das Dunkel der Amahagger noch nicht erhellt hat, »du hast mehr Freiheit und weniger Verantwortung.«
Er schien über diesen Ausspruch zuerst ein wenig erstaunt, doch schließlich pflichtete er mir bei.
»Ganz recht, mein Pavian«, sagte er. »Ich verstehe, was du meinst. Die ›Verantwortungen‹
werden bei uns getötet, und deshalb gibt es bei uns so wenig alte Weiber. Nun
ja - sie haben es sich selbst zuzuschreiben.« - Henry Rider Haggard, Sie. Zürich 1970 (zuerst ca. 1886)
Unerträglichkeit (2) Der eigentliche
Unterschied zwischen Gott und den Menschen, dachte er, ist der, daß Gott Beständigkeit
nicht ertragen kann. Kaum hatte er eine Jahreszeit oder eine besondere Stunde
des Tages geschaffen, da wandelte ihn auch schon die Lust zu etwas Neuem an,
und er machte das andere zunichte. Kaum war man ein junger
Mann und durchaus damit zufrieden, da schleuderte die Weltenordnung
einen auch schon in die Ehe hinein, in den Tod
oder das Alter. - (
blix
)
Unerträglichkeit (3) Ein Scharfrichter speiste unerkannt im Gasthof von Diö. Ein reisender Soldat traf ein. Wahrend er auf sein Pferd wartete, bittet ihn die Wirtin einzutreten. Er tritt ein, kann aber die Gesellschaft des anderen Unbekannten nicht ertragen, geht deshalb in den Regen hinaus. Nochmals bittet ihn die Wirtin einzutreten, aber er geht ein zweites Mal hinaus, es fragt deshalb die Wirtin, warum er nicht unter dem Dach bleibe. Er antwortet, er könne den anderen nicht ertragen. Sagt deshalb die Wirtin zum unbekannten Scharfrichter: was hast du mit dem unbekannten Gast zu tun, da er sich nicht bei dir aufhalten kann? Er antwortet, er habe nicht mit ihm gesprochen, aber im Weggehen sagte er dem Fremden: Hüte dich, daß du nicht mein Sohn wirst.
Doch innerhalb eines halben Jahres mußte er sich seinem Schwert beugen. -
(
nem
)
Unerträglichkeit (4) Nie habe ich mit ansehen können, wie einer gähnt, vor allem nicht, wenn es sich um einen Polizisten handelt. Es ist stärker als ich; wenn ich an einer Straßenecke einen gähnen sehe, gehe ich auf ihn zu und versetze ihm ein paar Ohrfeigen, daß es von ferne aussieht wie Taubengeflatter. Das hat mir schon drei gebrochene Rippen und insgesamt fünfzehn Monate Gefängnis eingebracht, nicht gerechnet die Fußtritte und die blauen Flecken. Aber ich kann nicht dagegen an, die einzige Möglichkeit, mir soviel Leid zu ersparen, wäre die, Polizisten zu begegnen, die ihren Beruf lieben und sich voll und ganz den Problemen des Verkehrs widmen.
Bei Priestern ist es noch schlimmer; wenn ich
einen gähnen sehe, kann ich vor Empörung nicht an mich halten. Ich besuche die
Messe so oft wie möglich, und in der ersten Reihe sitzend, beobachte ich den
Priester wie ein Luchs. Ertappe ich ihn während der Wandlung beim Gähnen, was
mir schon zweimal passiert ist, stürze ich zum Altar und, das Weitere will ich
Ihnen ersparen. Ich weiß, es gibt auf dem Gericht voluminöse Akten über mich,
und in einigen Kirchen, kaum daß ich im Narthex erscheine: Bannfluch und Fenstersturz.
Mir persönlich bereitet es großes Behagen, zu gähnen, außerdem ist es gesund
und hygienisch, und meine Augen füllen sich mit Tränen, die viele Schmutzpartikel
fortschwemmen. - (
cort2
)
Unerträglichkeit (5) Zur Zeit des Kaisers Yau lebte ein Fürst namens Hou
I, der war ein starker Held und guter Schütze. Einst gingen zehn Sonnen
am Himmel auf, die schienen so hell und brannten so heiß, daß die Menschen es
nicht aushalten konnten. Da gab der Kaiser dem Hou I den Befehl, nach ihnen zu
schießen. Der schoß nun neun von den Sonnen herunter. - Er hatte aber auch ein
Pferd, das war so schnell, daß es den Wind
einholen konnte. Er setzte sich darauf und wollte auf die Jagd. Da rannte das
Pferd davon und ließ sich nicht mehr halten. So kam er an den Kunlun-Berg und
sah die Königin-Mutter am Jaspis-See. Die gab ihm das Kraut
der Unsterblichkeit. Das nahm er mit nach Hause und
verbarg es im Zimmer. Er hatte eine Frau namens Tschang O. Die naschte
davon, als er einmal nicht zu Hause war, und sogleich schwebte sie zu den Wolken
empor. Wie sie beim Mond angekommen war, da lief sie in das Schloß im Mond
und lebt dort seither als Mondfee. -
(chm)
Unerträglichkeit (6) Durch
Abfall von Delhi bildete sich ein anderes islamisches Reich im Dekkan. Ein Sultan
dieser neuen Dynastie, Muhammad Schah, stand während seiner ganzen Regierung
im heftigsten Kampfe gegen die benachbarten Hindukönige. Eines Tages gelang
den Hindus die Eroberung der wichtigen Stadt Mudkal. Alle ihre Bewohner, Männer,
Frauen und Kinder, wurden umgebracht. Ein einziger Mann entkam und brachte die
Nachricht in die Hauptstadt des Sultans. »Als dieser davon hörte«, sagt der
Chronist, »wurde er von Schmerz und Wut überwältigt: er befahl, daß der unglückselige
Bote sofort hingerichtet werde. Unmöglich könne er einen Elenden in seiner Gegenwart
ertragen, der das Gemetzel so vieler tapferer Genossen mitangesehen und überlebt
habe.«
- (
cane
)
Unerträglichkeit (7)
Bekanntlich hörten die in Anwesenheit »spiritistischer
Medien« auftretenden Phänomene an der Schwelle unseres Jahrhunderts, die von
der wissenschaftlichen Welt seinerzeit mit soviel Eifer erforscht wurden, mehr
oder weniger auf, nachdem man Infrarot-Geräte eingeführt hatte, die es ermöglichen,
alles zu beobachten, was sich in einem vollkommen verdunkelten Raum abspielt.
Offenbar fürchten sich die »Geister« nicht nur vor der Dunkelheit, sondern auch
vor infraroten Gläsern.
-
(sum)
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