Aähnen  Am zehnten Tage nach der Empfängnis sind Kopfschmerzen, Schwindel, Dunkelheit vor den Augen, Ekel vor Speisen und Aufstoßen aus dem Magen Anzeichen vom Entstehen eines Menschen. Die mit einem Knaben Schwangere hat eine bessere Gesichtsfarbe und gebärt leichter. Am 40. Tage fängt das Kind an, sich zu rühren.

Das Gegenteil von allem findet statt, wenn das Kind weiblichen Geschlechts ist; dann ist die Bürde unerträglich, an den Schenkeln und Schamteilen zeigt sich eine leichte Geschwulst, die erste Bewegung aber erfolgt erst am 90. Tage.

Allein die größte Mattigkeit fühlt die Schwangere bei beiden Geschlechtern, wenn dem Kinde das Haar wächst und zur Zeit des Vollmondes, der auch auf bereits Geborene einen nachteiligen Einfluß ausübt. Ja sogar das Gehen und alles, was man nur nennen kann, wirkt auf Schwangere; wenn sie z. B. zu stark gesalzene Speisen essen, so gebären sie Kinder ohne Nägel, und wenn sie Atem geholt haben, so gebären sie schwieriger.

Das Gähnen während der Geburt ist tödlich, so wie das Niesen nach dem Beischlafe einen Abortus bewirkt. - (pli)

Gähnen (2) Sich beim Gähnen die Hand vor den Mund zu hatten, wird heutzutage als reiner Akt der Höflicheit und Zeichen guter Erziehung betrachtet. Dabei geht diese Handlung auf den alten, auf der ganzen Welt verbreiteten Glauben zurück, daß es gefährlich sei, den Mund weit zu öffnen, ohne ihn gleichzeitig zu bedecken. Befürchtet wurde zum einen, daß die Seele dabei aus dem Körper fliehen, zum anderen, daß böse Geister in ihn eindringen und die betreffende Person in Besitz nehmen, sie also besessen machen könnten.

Gähnt man am Jahresende, ist dies nach weitverbreiteter Uberzeugung unbedingt als gutes Vorzeichen für das kommende Jahr zu werten. - (aber)

Gähnen (3) In der Gegenwart von anderen zu gähnen ist ungebührlich. Bei einem unerwarteten Gähnen reibe deine Stirn mit der Hand von unten nach oben, was normalerweise genügt, um ein Gähnen zu unterdrücken. Wenn das nicht funktioniert, verberge das Gähnen vor anderen, indem du die dichtgeschlossenen Lippen mit deiner Zungenspitze leckst, dein Gähnen hinter dem Ärmel oder deiner Hand verbirgst. Das gleiche gilt fürs Niesen. Gähnen und Niesen lassen dich meist närrisch aussehen.

Es gibt noch viele andere Dinge, auf die du achten mußt, um dich richtig zu benehmen. - (bush)

Gähnen (4)  Das Gähnen gehört zu den Reflexbewegungen. Ich vermuthe, daß seine entferntere Ursache eine durch Langeweile, Geistesträgheit, oder Schläfrigkeit herbeigeführte momentane Depotenzirung des Gehirns ist, über welches jetzt das Rückenmark das Uebergewicht erhält und nun aus eigenen Mitteln jenen sonderbaren Krampf hervorruft. Hingegen kann das dem Gähnen oft gleichzeitige Recken der Glieder, da es, obwohl unvorsätzlich eintretend, doch der Willkür unterworfen bleibt, nicht mehr den Reflexbewegungen beigezählt werden. Ich glaube, daß, wie das Gähnen in letzter Instanz aus einem Deficit an Sensibilität entsteht, so das Recken aus einem angehäuften, momentanen Ueberschuß an Irritabilität, dessen man sich dadurch zu entledigen sucht. Demgemäß tritt es nur in Perioden der Stärke, nicht in denen der Schwäche ein. - (schop)

Gähnen (5)  Im Gähnen tut sich der Mensch selber als Abgrund auf; er macht sich der langen Weile ähnlich, die ihn umgibt. - Walter Benjamin, Illuminationen. Frankfurt am Main 1977

Gähnen (6)   Assipattle setzte sein Segel und steuerte auf das Haupt des Lindwurms zu.

Das Scheusal lag vor ihm wie ein ungeheuer hoher Berg, seine Augen glühten und sprühten wie ein Leuchtfeuer. Sein Leib erstreckte sich über die halbe Welt. Seine furchtbare Zunge war Hunderte von Metern lang und konnte ganze Städte, Bäume und Berge ins Meer fegen. Die schreckliche Zunge war gespalten, und mit den beiden Spitzen packte es seine Beute, zerdrückte die größten Schiffe wie Eierschalen und zerknackte die Mauern der größten Burgen wie Nüsse. Aber Assipattle hatte keine Furcht.

Inzwischen waren der König und seine Krieger zum Strand gekommen, und als der König sein Boot weit draußen sah, geriet er in großen Zorn.

Assipattle fuhr von der Seite an den Kopf des Lindwurms heran, dann ließ er das Segel herunter, saß still da mit eingelegten Rudern und hing seinen Gedanken nach. Als der erste Sonnenstrahl die Augen des Lindwurms traf, gab dieser ein scheußliches Gähnen von sich - das erste Mal von den sieben Malen, die er vor seiner grausigen Mahlzeit zu gähnen pflegte. Nun schoß jedesmal, wenn das Untier gähnte, eine große Wasserwoge in sein aufgesperrtes Maul hinein.

Assipattle ruderte, so nahe er konnte, von der Seite zu des Lindwurms Maul hin, und beim zweiten Gähnen wurde sein Boot von der einwärts stürzenden Flutwelle mitgerissen und in den finsteren Schlund des Scheusals hinuntergespült. Der Schlund war oben und an den Seiten von einem phosphoreszierenden Überzug bedeckt, der ein schwaches silbriges Licht in der Höhlung verbreitete. Weiter und weiter, tiefer und tiefer hinunter fuhr Assipattle ein langes Stück "Wegs, er Steuerte sein Boot in der Mitte des Stromes, bis das Wasser seichter wurde und der Mast sich mit der Spitze oben an der Vandung verfing und der Kiel auf dem Grund festsaß.

Da sprang Assipattle heraus. Den Topf in der Hand, watete und rannte er vorwärts, bis er zu der ungeheuren Leber des Scheusals kam. Er zog sein Messer und schnitt ein Loch in die Leber und schob seinen glimmenden Torf in das Loch. Er blies den Torf an, bis er dachte, seine Lippen müßten zerspringen. Der Torf fing an aufzuflammen, die Flamme ergriff das Öl der Leber, und es gab ein mächtiges Feuer. Da lief Assipattle zu seinem Boot zurück, und wie nun der Lindwurm die Hitze des Feuers spürte, fing er an, furchtbare Fluten aus seinem Magen zu speien. Eine von ihnen erfaßte das Boot, zerbrach den Mast und warf Boot und Mann heil und trocken an Land.

Der König und seine Leute zogen sich auf einen hohen Hügel zurück, wo sie sicher waren vor den Fluten, die das Ungeheuer von sich gab, und vor den schrecklichen Feuer- und Rauchstößen, die ihm hochkamen. Es war ein grauenvoller Anblick. Hinter den Flutwellen brachen aus dem Maul des Untiers große Rauchwolken hervor, so schwarz wie Pech. Als das Feuer in ihm größer wurde, streckte es seine schreckliche Zunge heraus und schwenkte sie hin und her. Es schleuderte seine Zunge hinauf und umklammerte ein Hörn des Mondes mit den gegabelten Enden, und als die Gabel am Horn des Mondes abglitt und wieder herabstürzte, spaltete sie die Erde und schuf ein großes Stück Meer, wo vorher trocknes Land gewesen war. Das ist das Meer, das noch jetzt Dänemark von Schweden und Norwegen trennt. An dem Ende dieses Meeres sind zwei große Meerbuchten, die von den beiden Spitzen der gegabelten Zunge des Lindwurms herrühren.

Darauf zog der Lindwurm seine lange Zunge ein, und wie er sich nun wand und ringelte, geriet die ganze Welt in Aufruhr. Schließlich zog er sich langsam 'zu einem riesenhaften Klumpen zusammen, und dabei peinigte ihn das Feuer in seinem Innern so sehr, daß er sein Haupt zu den Wolken aufwarf und es sogleich wieder ins Meer fallen ließ, mit einer Gewalt, die die ganze Welt erschütterte. Einmal sprangen ihm von der Wucht des Niederstürzens eine Menge Zähne aus dem Maul, und diese bildeten die Orkney-Inseln. Noch mehr Zähne verstreute das Untier ins Meer, und aus diesen wurden die Shetland-Inseln. Und zum drittenmal flogen Zähne heraus und wurden die Faröer-Inseln. Darauf rollte sich der Lindwurm zu einem großen Klumpen zusammen - und dieser Klumpen wurde Island. Und dann starb der Lindwurm. Aber noch brennt das Feuer unter der Insel, und dieses Feuer ist es, das die feuerspeienden Berge in Island speist. - (schot)

Gähnen(6)des Krokodil  

Gähnen (7)   Ich ging zum Rendezvous mit Rita Bettencourt und nahm sie mit in die Wohnung. Nach einem langen Gespräch in der Dunkelheit der vorderen Stube bekam ich sie in mein Schlafzimmer. Sie war ein liebes kleines Mädchen, einfach und wahr und vor Erotik hatte sie eine fürchterliche Angst. Ich sagte ihr, es sei wunderschön. Ich wollte ihr das beweisen. Sie ließ es mich beweisen, aber ich war zu ungeduldig und bewies gar nichts. Sie seufzte im Dunkel. «Was möchtest du vom Leben?» fragte ich, und das pflegte ich Mädchen immer zu fragen.

«Ich weiß nicht», sagte sie. «An Tischen bedienen und versuchen, über die Runden zu kommen, weiter nichts.» Sie gähnte. Ich legte meine Hand über ihren Mund und sagte ihr, sie solle nicht gähnen. Ich versuchte ihr zu erklären, wie aufregend ich das Leben finde und die Dinge, die wir zusammen machen könnten. - Jack Kerouac, Unterwegs. Reinbek bei Hamburg 1968  (zuerst 1955)

Gähnen (8)   Ich bestellte ein Hamburger Sandwich und ein Coca Cola. Ich wurde müde und gähnte. Dann, mitten im Gähnen, entstand eine hohle Stelle in mir, die sich sofort mit dem Bild von einem tiefschwarzen Unterholz füllte, und wie in einem Rückfall holte mich der Gedanke wieder ein, daß Judith tot sei. Das Bild von dem Unterholz verdüsterte sich noch, als ich in die zunehmende Dunkelheit vor der Snackbartür schaute, und mein Entsetzen wurde so stark, daß ich mich plötzlich in ein Ding zurückverwandelte. - Peter Handke, Der kurze Brief zum langen Abschied. Frankfurt am Main 1972

Gähnen (9)  der traum vom geburtstag Köln, 19. juni  1971

der könig von köln
hatte schlecht
geschlafen
heute nacht

er gähnte und    
schluckte eine
mauerschnecke die
sich in seinen mund
hatte fallen lassen

 - Friederike Mayröcker, meine träume ein flügelkleid. In: F. M., Gesammelte Prosa 1949 bis 1975. Frankfurt am Main 1989 (zuerst 1974)

Gähnen (10)  Mitgezogen durch einen Zauber, wenn wir auch glaubten, nur durch die Schönheit der Gegend, gelangten wir dann bis zu einer Vorhalle, die am Eingang des Palastes lag; aber kaum waren wir dort, da gleitet der Marmorfußboden, der so fest schien, fort und schmilzt unter unsern Schritten: ein unvorhergesehener Fall stürzt uns kopfüber unter die Drehung eines mit schneidenden Eisenklingen ausgerüsteten Rades, und diese trennen augenblicklich alle Teile unseres Körpers voneinander ab; doch, was am erstaunlichsten war, eine so seltsame Zergliederung blieb ohne Todesfolge.

Von ihrem eigenen Gewicht fortgerissen, fielen unsere Körperteile in einen tiefen Graben und vermischten sich dort mit einer Fülle aufgehäufter Glieder. Unsere Köpfe rollten wie Kugeln. Diese außergewöhnliche Bewegung hatte das bißchen Vernunft, das ein so übernatürliches Abenteuer mir gelassen hatte, vollends in Betäubung versetzt, und es verstrich einige Zeit, ehe ich die Augen öffnete. Ich sah, daß mein Kopf neben und gegenüber von achthundert anderen Köpfen beiderlei Geschlechts, jeden Alters und jeder Farbe eingestuft war. Sie hatten die Beweglichkeit der Augen und der Zunge behalten, und vor allem eine Bewegung in den Kinnbacken, die sie andauernd gähnen ließ. - Cazotte, zitiert nach Gerard de Nerval, in: (leiris3)

Gähnen (11)  

- N. N.

Langeweile Atmen
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