Die wirkliche Hölle liegt darin, daß sich dies widersprechende Doppelspiel in uns fortsetzt. Die Liebe selbst hat einen Schwerpunkt »zwischen Kloaken und Latrinen«. Erhabene Situationen können der Lächerlichkeit, dem Hohne, der Ironie verfallen.
Der Demiurg ist ein Zwitter.
- Alfred Kubin, Die andere Seite. München 1975 (zuerst 1909)
»Wie?« entfuhr es Maurice.
»Es ist Yaldaboath«, erklärte Fat. »Manchmal wird er auch Samael genannt, der blinde Gott. Er ist verwirrt.«
»Wovon, zum Teufel, reden Sie überhaupt?« fragte Maurice.
»Yaldaboath ist ein Ungeheuer, Brut von Sophia, die aus dem Pleroma stürzte«, sagte Fat. »Er glaubt, der einzige Gott zu sein, aber er irrt sich. Das ist das Problem - er kann nicht sehen. Er erschuf unsere Welt, aber weil er blind ist, verpfuschte er alles. Der wahre Gott sieht aus weiter Ferne auf uns herunter und in seiner Gnade bemüht er sich, uns zu retten. Lichtteilchen aus dem Pleroma sind ...«
Maurice starrte ihn an. »Wer hat sich dieses Zeug ausgedacht? Sie?« - Philip K. Dick, Die VALIS-Trilogie. München 2002
(zuerst 1981 f.)
Er träumte es aktiv, heiß, geheim; es hatte die Größe einer geballten Faust und hing granatfarben im Dämmer eines menschlichen Leibes, der noch kein Gesicht, kein Geschlecht hatte; mit eindringlicher Liebe träumte er es vierzehn helle Nächte lang. Jede Nacht nahm er es deutlicher wahr. Er rührte es nicht an: Er begnügte sich damit, es zu schauen, zu beobachten, manchmal auch mit dem Blick zu berichtigen. Er nahm es wahr, erlebte es aus vielen Entfernungen und Blickwinkeln. In der vierzehnten Nacht streifte er mit dem Zeigefinger die Hauptschlagader und dann das ganze Herz, von außen und von innen. Die Untersuchung stellte ihn zufrieden. Absichtlich träumte er eine ganze Nacht nicht; dann nahm er das Herz wieder auf, rief den Namen eines Planeten an und begab sich an die Schau eines anderen der Hauptorgane. Vor Ablauf eines Jahres hatte er es bis zum Skelett, bis zu den Augenlidern gebracht. Das unzählbare Haupthaar war wohl die schwierigste Aufgabe. Er träumte einen vollausgebildeten Menschen, einen Jüngling; doch richtete dieser sich weder auf, noch sprach er, noch konnte er die Augen öffnen. Nacht für Nacht träumte ihn der Mann schlafend.
In den gnostischen Kosmogonien kneten die Demiurgen einen roten Adam, der
nicht aufzustehen vermag; so ungeschickt und roh und elementar wie dieser Adam
aus Staub war der Adam aus Traum, den die Nächte des Magiers zustande gebracht
hatten. -
J. L. Borges, Die kreisförmigen Ruinen, nach (
bo3
)
Bei den Tlingit in Nordwestamerika ist der Rabe
der Demiurg oder der Vertreter von Chaos und Schöpfung.
Wenn er auf dem
Bug eines Kriegskahns reitet, ist er dem Mysterium tremendum nahe,
vor dem
auch Feinden der Mut schwindet.
(Aus: P. L. Wilson, Engel. Stuttgart u.a.
1981)
-
Nach: Hans-Jürg Braun, Das Jenseits. Die Vorstellungen der Menschheit über
das Leben nach dem Tod. Frankfurt am Main 2000 (it 2516, zuerst 1996)
- Ernst Jünger, Eumeswil.
Stuttgart 1977
Demiurg (6)
Viel spricht dafür, daß Franz Josef I. im Grunde genommen ein mächtiger
und trauriger Demiurg war. Seine schmalen, wie Knöpfchen stumpfen Augen,
die in dreieckigen Runzelndeltas staken, waren nicht die Augen eines Menschen.
Sein milchweiß behaartes Gesicht mit dem wie bei japanischen Dämonen
nach hinten gekämmten Backenbart war das Gesicht eines alten, griesgrämigen
Fuchses. Aus der Ferne, von der Schönbrunner Terrasse herab, schien sein
Gesicht dank einer bestimmten Anordnung seiner Runzeln
zu lächeln. Aus der Nähe entlarvte sich dieses Lächeln
als Grimasse der Verbitterung und der ebenerdigen
Trivialität, nicht vom schwächsten Schimmer einer Idee erhellt. Im Augenblick,
da er im grünen Generalsfederbusch und im türkisblauen, bis auf die Erde
reichenden Mantel, leicht gebeugt und salutierend auf dem Schauplatz der
Welt erschien, war die Welt in ihrer Entwicklung an eine glückliche Grenze
gelangt. Alle Formen, die ihren Inhalt in endlosen Metamorphosen erschöpft
hatten, hingen schon locker an den Dingen, halb geschuppt und geschält,
bereit abzufallen. Die Welt verpuppte sich gewaltsam, wurde in jungen,
geschwätzigen und unerhörten Farben ausgebrütet und streckte sich glücklich
in allen Beugen und Gelenken. Es fehlte wenig, und die Landkarte der Welt,
dieses Segel voller Flicken und Farben, wäre gebläht vor Begeisterung in
die Luft emporgeflogen. Franz Josef I. empfand dies als persönliche Gefahr.
Sein Element war eine in den Reglements der Prosa und der Pragmatik der
Langweile befangene Welt. Der Geist der Kanzleien und Zirkulare war sein
Geist. Und seltsam! Dieser ausgedörrte und stumpfsinnige Greis, dessen
Wesen nichts Einnehmendes an sich hatte, strebte danach, einen großen Teil
der Schöpfung auf seine Seite zu ziehen. Alle loyalen und vorausschauenden
Familienväter fühlten sich zugleich mit ihm bedroht und atmeten erleichtert
auf, als sich dieser mächtige Dämon mit seinem Gewicht auf die Dinge legte
und den Aufflug der Welt hemmte. Franz Josef L teilte die Welt in Rubriken
ein, regulierte ihren Lauf mit Hilfe von Patenten, bändigte sie durch tausenderlei
Prozeduren und bewahrte sie vor dem Entgleisen ins Unvorhergesehene, Abenteuerliche
und gänzlich Unberechenbare. -
Bruno Schulz, Der Frühling. In: B. S., Die Zimtläden und alle anderen Erzählungen.
München 1966
- Friedrich
Dürrenmatt, Kunst und Wissenschaft, oder Platon oder Einfall, Vision und Idee
oder .... In: F. D., Versuche. Zürich
1991
Demiurg (8)
Demiurg (9) »Zu lange haben wir unter dem Terror der unerreichbaren Vollkommenheit des Demiurgen gelebt«, sagte mein Vater, »zu lange hat die Vollkommenheit seines Werkes unser eigenes Schaffen gelähmt. Wir wollen nicht mit ihm konkurrieren. Wir haben keinerlei Ambitionen, es ihm gleichzutun. Wir wollen Schöpfer in unserer eigenen, niedrigeren Sphäre sein, wir wollen selber schöpferisch sein, wir wollen die Wonnen des Schaffens, wir wollen, mit einem Wort, die Demiurgie.« Ich weiß nicht, in wessen Namen mein Vater diese Postulate verkündete, welches Kollektiv oder welche Korporation, welche Sekte oder welcher Orden seinen Worten durch ihre Solidarität das Pathos verliehen hatte. Wir waren jedenfalls weit entfernt von jeglichen demiurgischen Gelüsten.
Doch mein Vater hatte inzwischen schon das Programm der zweiten Demiurgie entwickelt, das Bild der zweiten Generation der Geschöpfe, die in offener Opposition zur herrschenden Epoche stehen sollten: »Uns liegt nichts an Geschöpfen mit langem Atem, an Lebewesen auf lange Sicht«, sprach er. »Unsere Kreaturen werden keine Helden aus vielbändigen Romanen sein. Ihre Rollen werden kurz und lapidar und ihre Charaktere ohne Hintergrund sein. Oft werden wir uns nur für eine einzige Geste, für ein einziges Wort der Mühe unterziehen, sie fiir diesen einen Augenblick ins Leben zu rufen. Wir bekennen offen: Weder auf Beständigkeit noch auf Solidität der Ausführung werden wir Nachdruck legen, unsere Geschöpfe werden gewissermaßen provisorisch, für das eine Mal gemacht sein. Wenn es Menschen werden sollen, dann geben wir ihnen zum Beispiel nur eine Gesichtshälfte, einen Arm und ein Bein, und zwar genau das für ihre Rolle benötigte. Es wäre Pedanterie, sich um ein zweites Bein zu kümmern, das nicht von Belang ist. Hinten können sie einfach mit Leinwand zugenäht oder weiß getüncht sein. Wir werden unseren Ehrgeiz in die stolze Devise legen: Für jede Geste ein anderer Darsteller. Für den Gebrauch jedes einzelnen Wortes und für jede einzelne Handlung rufen wir einen eigenen Menschen ins Leben. So gefällt es uns, das wird eine Welt nach unserem Gusto. Der Demiurg war in bewährte, vollkommene und komplizierte Materialien verliebt - bei uns hat der Trödel Vorrang. Wir sind ganz einfach hingerissen und begeistert von der billigen, schäbigen und schnöden Machart eines Materials. Versteht ihr«, fragte mein Vater, »den tiefen Sinn dieser Schwäche, dieser Leidenschaft für buntscheckiges Papier, für Pappmaché, Lackfarbe, Werg und Sägemehl? Es ist«, sagte er mit schmerzlichem Lächeln, »unsere Liebe zur Materie an sich, zu luftiger und poröser Materie, zu ihrer einzigartigen mystischen Konsistenz. Der Demiurg, der großartige Meister und Künstler, macht sie unsichtbar, er läßt sie unter dem Spiel des Lebens verschwinden. Wir hingegen lieben ihr Knirschen, ihre Widerspenstigkeit, ihre ungetüme Plumpheit. Uns gefällt es, in jeder Geste, jeder Bewegung ihr schwerfälliges Bemühen, ihre Trägheit, ihre drollige Bärenhaftigkeit zu sehen.«
Die Mädchen saßen mit glasigen Augen reglos da. Ihre Gesichter waren vom Zuhören langgezogen und verblödet, die Wangen hatten sie rot geschminkt, man hätte in diesem Moment nur schwer sagen können, ob sie der ersten oder der zweiten Generation der Schöpfung angehörten.
»Mit einem Wort«, so die Konklusion meines Vaters, »wir wollen den Menschen
ein zweites Mal erschaffen, nach dem Ebenbild der Schneiderpuppe.« -
Bruno Schulz, Traktat über die Schneiderpuppen
oder Das zweite Buch Genesis.
Nach (bs2)
Demiurg (10)
Demiurg (11)
Schon vor vielen Jahren habe ich gedacht, daß unsere Welt das Werk etnes
untergeordneten Wesens sein könne, und noch kann ich von dem Gedanken
nicht zurückkommen. Es ist eine Torheit zu glauben, es wäre keine Welt
möglich, worin keine Krankheit, kein Schmerz und kein Tod wäre. Denkt
man sich ja doch den Himmel so. Von Prüfungszeit, von allmählicher
Ausbildung zu reden, heißt sehr menschlich von Gott denken und ist
bloßes Geschwätz. Warum sollte es nicht Stufen von Geistern bis zu Gott
hinauf geben, und unsere Welt das Werk von einem sein können, der die
Sache noch nicht recht verstand, ein Versuch? ich meine unser
Sonnensystem, oder unser ganzer Nebelstern, der mit der Milchstraße
aufhört. Vielleicht sind die Nebelsterne, die Herschel gesehen hat,
nichts als eingelieferte Probestücke, oder solche, an denen noch
gearbeitet wird. Wenn ich Krieg, Hunger, Armut und Pestilenz betrachte,
so kann ich unmöglich glauben, daß alles das Werk eines höchst weisen
Wesens sei; oder es muß einen von ihm unabhängigen Stoff gefunden haben,
von welchem es einigermaßen beschränkt wurde; so daß dieses nur
respektive die beste Welt wäre, wie auch schon häufig gelehrt worden
ist. - Lichtenberg
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