Doch in der Welt der Elementarteilchen sind die Dinge ein wenig anders. Dort zerbrechen Teilchen nicht in dem Sinne, wie wir ihn aus unserer Alltagswelt kennen. Selbst von Stücken oder Teilen eines Teilchens zu sprechen, hat kaum Sinn, so dass auch das häufig benutzte Bild der russischen Puppe seine Grenzen hat. Wenn zwei Teilchen mit hoher Energie zusammenstoßen, können zwar durchaus mehrere Teilchen entstehen, doch diese neuen Teilchen waren vor dem Zusammenstoß noch gar nicht vorhanden. Sie können daher nicht als Bruchstücke der ursprünglichen Teilchen angesehen werden. Kann man dann sagen, sie seien bei dem Zusammenstoß entstanden? In gewisser Weise ja. Aber woher sind sie gekommen? Und wie lässt sich ihre plötzliche Entstehung erklären? Ganz einfach indem man sagt, dass die Energie des Zusammenstoßes sich letztlich in diese neuen Teilchen umgewandelt hat - was deshalb möglich ist, weil zwischen Masse (m) und Energie (E) nach Albert Einsteins spezieller RELATIVITÄTSTHEORIE eine Äquivalenz besteht, die mit der Bewegung der Teilchen verbundene kinetische Energie kann sich nach sehr präzise bestimmbaren Regeln zu materiellen Teilchen »materialisieren«, die im Allgemeinen eine Masse haben. Das ist die eigentliche Bedeutung der Formel E = mc2, in der c für die Geschwindigkeit des Lichts im Vakuum steht. Sie besagt, dass reine ENERGIE sich - entgegen unserer alltäglichen Anschauung - in MASSE umwandeln kann. Umgekehrt kann auch Masse sich in Energie umwandeln.
Bei all diesen Prozessen bleibt die Materie (die Masse) nicht erhalten.
Unverändert bleibt lediglich die Energie. Und was ist Energie?
Etwas Immaterielles. - (thes)
Nun bezeichnen wir all diese Dinge als Materie und begreifen alle Materie in einer einzigen allgemeinen Definition; aber trotzdem liegen keine zwei Begriffe im Wesen weiter auseinander als der, den wir uns von einem Metalle bilden, und das Bild, welches wir uns vom Licht fortpflanzenden Äther machen. Wenn wir uns dem letztern nähern, so empfinden wir eine fast unwiderstehliche Neigung, ihn als Geist zu klassifizieren oder als Nihilität. Die einzige Betrachtungsweise, welche uns davon zurückhält, ist unsere Auffassung, daß er atomische Struktur habe; und selbst hier sind wir auf unsern Begriff vom Atom als einem Etwas von unendlicher Kleinheit, Dichtigkeit, Greifbar- und Gewichtigkeit angewiesen. Zerstören wir die Idee der atomischen Struktur, so sind wir alsbald nicht mehr in der Lage, den Äther als Einheit zu betrachten, oder zumindest als Materie. In Ermangelung eines bessern Wortes möchten wir ihn vielleicht als Geist terminieren. Gehen wir nun einen Schritt über den Licht fortpflanzenden Äther hinaus - stellen wir uns eine Materie vor, welche um so vieles dünner und feiner denn der Äther ist, als dieser Äther dünner und feiner ist denn das Metall, so kommen wir (allen Schul-Dogmen zum Trotz) sogleich zu einer einsheitlichen Masse - einer partikellosen, unteilbaren Materie. Denn wenn wir den Atomen selbst auch unendliche Kleinheit zugestehen mögen, so wäre es doch absurd, ein Gleiches von den Räumen zwischen ihnen zu denken.
Es gibt einen Punkt - es gibt einen Grad von Dünnheit und Feinheit, bei dem
die Interspatien, wofern die Atome in hinreichender Anzahl vorhanden sind, verschwinden
müssen und die Masse absolut verschmelzen muß. Doch wenn wir nun die falsche
Vorstellung von der atomischen Struktur beiseite geräumt haben, so gleitet die
Natur der Masse unweigerlich in Richtung dessen, was wir als Geist begreifen.
Es ist jedoch klar, daß sie in grad ebenso vollem Umfang Materie bleibt als
zuvor. In Wahrheit läßt sich Geist unmöglich begreifen, da es unmöglich ist,
sich ein Etwas vorzustellen, was nicht ist. Wenn wir uns schmeicheln, uns eine
Vorstellung von seinem Wesen gebildet zu haben, so haben wir unseren Verstand
lediglich mit dem Begriff der unendlich verdünnten und verfeinerten Materie
getäuscht. - (
poe
)
-
Ernst Fuhrmann, Emanationen. Nach (
fuhr
)
Materie (4) »Der Demiurg«, sprach mein Vater, »besaß kein Schöpfungsmonopol —jeder Geist hat das Privileg der Schöpfung. Der Materie ist grenzenlose Fruchtbarkeit gegeben, unerschöpfliche Vitalität und zugleich eine verführerische Kraft der Versuchung, die uns zum Gestalten verlockt. In der Tiefe der Materie entsteht diffuses Gelächter, es bilden sich Spannungen, es verdichten sich Gestaltversuche. Die ganze Materie wabert von den unendlichen Möglichkeiten, die sie wie sanfte Schauer überlaufen. Während des Wartens auf den lebenspendenden Hauch eines Geistes ergießt sie sich endlos in sich selbst, lockt mit tausend süßen Rundungen und Weichheiten, den Phantasiegeburten ihrer ausweglosen Träumereien.
Ohne jegliche eigene Initiative, wollüstig nachgiebig, formbar wie ein Weib, allen Impulsen folgend, bildet die Materie ein dem Gesetz entzogenes, für Scharlatanerie und Dilettantismus aller Art offenes Terrain, eine Domäne für allerlei Mißbrauch und dubiose demiurgische Manipulationen. Sie ist das passivste und wehrloseste Wesen im Kosmos. Jeder kann sie kneten und formen, sie fügt sich jedem. Alle Organisationen der Materie sind unbeständig und lose, leicht rückgängig zu machen und aufzulösen. Das Leben immer wieder auf neue und andere Formen zu reduzieren ist nichts Böses. Mord ist keine Sünde. Mitunter ist er die notwendige Gewalt gegen widerspenstige und verknöcherte Daseinsformen, die keinen Reiz mehr haben. Im Interesse eines spannenden und wichtigen Experiments kann Mord sogar ein Verdienst sein. Hier ist der Ausgangspunkt für eine neue Apologie des Sadismus.«
Mein Vater war unerschöpflich, wenn es um die Glorifizierung der Materie
ging, dieses so überaus sonderbaren Elements. »Es gibt keine tote Materie«,
lehrte er, »der Zustand des Todes ist nur der Schein, hinter dem sich unbekannte
Lebensformen verbergen. Die Skala dieser Formen ist unendlich, und ihre Schattierungen
und Nuancen sind unerschöpflich. Der Demiurg war im Besitz wichtiger und spannender
Schöpfungsrezepte. Ihnen verdanken wir die Schöpfung der vielen Arten, die sich
aus eigener Kraft erneuern. Wir wissen nicht, ob diese Rezepte irgendwann rekonstruiert
werden. Aber letzteres ist auch nicht nötig, denn selbst wenn sich diese klassischen
Methoden der Schöpfung als für immer verloren erweisen sollten, so bleiben doch
noch einige illegale Methoden, eine Überfülle häretischer und frevelhafter Methoden.«
- Bruno Schulz, Traktat über die Schneiderpuppen
oder Das zweite Buch Genesis. Nach (bs2)
Materie (5) Die Materie betrachtet Numenios als präexistent, also nicht erzeugt, sondern ewig. Sie ist für ihn die Quelle allen Übels. Wegen ihrer Mangelhaftigkeit widersetzt sich die Materie der ordnenden göttlichen Kraft, wird aber doch von ihr geprägt und emporgehoben und empfängt sogar Schönheit. Dadurch wird ihre Schlechtigkeit allerdings nicht behoben. Damit erweist sich die Philosophie des Numenios als dualistisch. Er sieht in der Materie ein eigenständiges Prinzip, das nicht letztlich auf die Gottheit zurückgeführt werden kann, sondern ebenso ursprünglich ist wie diese.
Wegen ihrer Selbstbewegung schreibt er der Materie sogar eine eigene Seele
zu, die er für böse hält; sie verleiht der Materie aktive
Kraft. Diese böse Seele ist für ihn nicht im Sinne einer Deutung des Bösen als
Mangel etwas Nichtseiendes, sondern eine reale Substanz.
Sie ist unsterblich und verursacht die Entstehung
des üblen Seelenbereichs im Menschen, der akzidentell von außen zur an sich
guten Einzelseele hinzutritt, wenn diese sich in die materielle Welt begibt.
Den Abstieg der menschlichen Seele in die Körperwelt
betrachtet Numenios grundsätzlich als ein Unglück. -
Wikipedia
Materie (6) Der Physiker Ernst Mach hielt Materie für einen blinden Fleck des wissenschaftlichen Denkens. Unter Hinweis auf die psychologischen Motive der Gleichsetzung von Materie und Masse erklärte er den Begriff der Materie zu einem metaphysischen Phantom.
Die letzte, gleichfalls problematische Vorstellung sieht in der Materie etwas Greifbares, als wäre die Festigkeit das einzige brauchbare Maß für die Realität materieller Dinge. Bei Teilchen denkt man gerne an kleine, nahezu punktförmige Objekte, winzigen harten Billardkugeln vergleichbar, die einen ganz bestimmten Ort im Raum einnehmen, also an so genannte Korpuskeln. Doch diese Sicht ist von der Quantenphysik widerlegt worden, die allein das Verhalten von Teilchen zu erklären vermag. Sie beschreibt die Teilchen mit Konzepten, die im Wesentlichen mathematischen Charakters sind und die es verbieten, sich die Teilchen wie gewöhnliche Dinge vorzustellen, die einer wohlbestimmten Geometrie unterliegen. Es handelt sich weder um Wellen noch um Korpuskeln, und selbst der Gedanke, dass sie eine bestimmte Form oder Textur besäßen, hat kaum einen Sinn. Es fallt schwer, zu sagen, was die Teilchen denn nun »wirklich« sind. In der Quantenphysik ist die Materie gleichsam »entdinglicht«.
Unter dem Skalpell der Physiker hat die Materie also nach und nach all die
Eigenschaften verloren, die wir gemeinhin mit ihr verbinden. Dennoch bringt
dieser alte Begriff - selbst innerhalb der modernen Physik - auch heute noch
Phantome hervor. Sie eignet sich, wie Gaston
Bachelard einmal sagte, auch weiterhin bestens als Vorlage für Träumereien.
- (thes)
Materie (7) Die Menschen schreiben viel
über das Wesen der Materie, ich wünschte, daß die Materie einmal
anfinge, über das menschliche Gemüt zu schreiben. Es würde herauskommen,
daß wir einander bisher gar nicht recht verstanden haben. - Lichtenberg
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