-
(
tal
)
Wette (2) Nachdem der Pfaffe mit Eulenspiegel
wieder einen Küster hatte, stand er einmal vor dem Altar, zog sich an und wollte
die Messe halten. Eulenspiegel stand hinter ihm und ordnete ihm sein Meßgewand.
Da ließ der Pfaffe einen großen Furz, so daß es durch
die ganze Kirche schallte. Da sprach Eulenspiegel: »Herr, wie ist das? Opfert
Ihr dies unserm Herrn statt Weihrauch hier vor dem Altar?« Der Pfaffe sagte:
»Was fragst du danach? Das ist meine Kirche. Ich habe die Macht, mitten in die
Kirche zu scheißen.« Eulenspiegel sprach: »Das soll Euch und mir eine Tonne
Bier gelten, ob Ihr das tun könnt.« Der Pfaffe sagte: »Ja, das soll gelten.«
Sie wetteten miteinander und der Pfaffe sprach: »Meinst du, daß ich nicht so
keck bin?« Und er kehrte sich um, machte einen großen Haufen in die Kirche und
sprach: »Sieh, Herr Küster, ich habe die Tonne Bier gewonnen.« Eulenspiegel
sagte: »Nein, Herr, erst wollen wir messen, ob es mitten in der Kirche ist,
wie Ihr sagtet.« Eulenspiegel maß es aus: da fehlte wohl ein Viertel bis zu
Mitte der Kirche. Also gewann Eulenspiegel die Tonne Bier. -
(
eul
)
Wette (3)
Ophelia, Ophelia, im Teiche |
Die Zeremonie nähert sich ihrem Ende (ein für alle Mal!). Man hört, wie Klumpen
von Humuserde auf den Sarg poltern, auf den Sarg poltern, ach! ein für alle
Mal! . . . — Ihr Rumpf war der eines Engels, noch einmal. Was kann ich bei all
dem tun, hier und jetzt? Gut, ich gebe zehn Jahre meines Lebens, um sie wiederzuerwecken!
Gott schweigt! Die Wette gilt! Es gibt also entweder keinen Gott, oder aber
ich habe keine zehn Jahre mehr zu leben. Die erste Hypothese erscheint mir als
die tauglichere, und das aus gutem Grunde. - Aus:
Jules Laforgue, Hamlet oder Die Folgen der Sohnestreue und andere legendenhafte
Moralitäten. Frankfurt am Main 1981 (BS 733, zuerst 1887)
Wette (4) Charly guckt um den ganzen Tisch im Kreis rum, und plötzlich entdeckt er Juden-Loui an dem einen Ende, obgleich Juden-Loui sich scheints bemüht, schleunigst einzuschrumpfen, als Charlys Scheinwerfer auf ihn fallen.
«Ich setze fünf Hunderter», sagt Charly, «und du, Loui, wirst mich annehmen.» Das heißt soviel, er zwingt Loui, tausend gegen fünfhundert Dollar zu wetten, daß Charly seine Zehn nicht schafft.
Nun ist Juden-Loui von jeher nur ein ganz kleiner Pinscher und überhaupt mehr ein Shylock als ein Spieler, und der einzige Grund, weshalb er in diesem Augenblick grade beim Tisch steht, ist der, daß er rangekommen ist, um Griechen-Nicky ein bißchen Kies zu pumpen, und normalerweise ist die Chance, daß Juden-Loui irgendworauf mal tausend gegen fünfhundert Dollar wettet, nicht größer, als daß er seine Pinke an die Heilsarmee verschenkt, nämlich gleich Null. Es kommt überhaupt nicht in Frage, daß er je im Leben dran dächte, tausend gegen fünfhundert zu wetten, jemand könnte keinen Zehner würfeln, und als Rostkopp-Charly zu Loui sagt, jetzt ist er dran, da fängt Loui am ganzen Leibe an zu zittern. Die andern am Spieltisch sagen kein Wort, und so läßt Charly die Würfel nochmal in seiner Pfote klappern, pustet drauf, wirft sie in den Hut und sagt «Ha!» Aber natürlich kann niemand in den Hut reinsehn außer Charly, und der schielt rein und sagt: «Fünf!» Er schüttelt die Würfel nochmal, schmeißt sie in den Hut, macht «Ha!» und sagt nach einem Blick auf die Würfel im Hut: «Acht». Ich fange an zu schwitzen vor Angst, er könnte eine Sieben im Hut haben und seine Wette verlieren, und ich weiß doch, daß Charly gar keine fünfhundert hat um zu bezahlen, obgleich ich natürlich auch weiß, daß Charly überhaupt nicht dran denkt zu bezahlen, ganz egal, was er wirft.
Nach dem nächsten Wurf ruft Charly: «Geld!» — nämlich, daß er seine Zehn
schließlich macht, wenn auch keiner das sieht außer ihm, und er reicht mit der
Hand zu Juden-Loui rüber, und Juden-Loui händigt ihm eine dicke, fette Tausendernote
aus, ganz, ganz langsam. In meinem Leben sehe ich noch nie einen so traurigen
Kerl wie Loui, während er sich von seinem Zaster trennt. Wenn Loui überhaupt
dran denkt, von Rostkopp-Charly zu fordern, daß er ihm die Würfel im Hut doch
mal zeigt, damit er sich von den zehn Augen überzeugen kann, so spricht er nicht
von dieser Angelegenheit, und da Charly selbst scheints nicht die Absicht hat,
seine Zehn rumzuzeigen, sagt auch sonst niemand was, weil sich wahrscheinlich
alle denken, daß Rostkopp-Charly nicht so einer ist, der sein Wort anzweifeln
läßt, am wenigsten wegen so einer lumpigen Zehn. -
Damon Runyon, Schwere Jungen, leichte Mädchen. Reinbek bei Hamburg 1961 (rororo
197, zuerst 1932)
Wette (5) Im Frühling des Jahres 1850 erfüllte ein fürchterlicher Schlag der Vorsehung eine Kleinstadt im Departement Eure mit heilsamem Schrecken. Eines Sonntags, während des Hochamtes, hatte sich eine Bande von Trunkenbolden bei einem Kneipier in der Nähe der Kirche versammelt. Die Glocken läuteten wie gewöhnlich bei der Erhebung der Hostie. Ihr Ton weckte die Wut eines dieser Männer, der zu einer Flut von Lästerungen gegen Gott, das heilige Sakrament, die Heilige Jungfrau, die Priester usw. ansetzte. Der Gastwirt und seine Frau versuchten vergeblich, seinen Verwünschungen Einhalt zu gebieten. „Bah, bah!" schrie er, „euer Gott ist ein Witz, ich fürchte ihn nicht. Soll er mich doch hindern, wenn er kann, dieses Glas Wein zu kippen." Und in eben dem Augenblick, da er das Glas an die Lippen führt, taumelt er und sinkt tot zu Boden. Diesmal hatte Gott die Wette angenommen.
Er nahm, allerdings mit längerer Verspätung, auch die Wette an, die ihm der
abscheuliche Voltaire angeboten hatte. Zwanzig
Jahre vor seinem Tod hatte dieser Ungläubige Tag für Tag folgende Worte an einen
seiner Gefährten zu richten begonnen: In zwanzig Jahren wird der Schändliche
leichtes Spiel haben! Bekanntlich verstand er unter dem Schändlichen Unseren
Herrn. Welch schreckliche Prophezeiung. - Mgr de Ségur, Praktische Ratschläge
zu Versuchung und Sünde [1875], nach (
sot
)
Wette (6) »Was diskutierten wir denn damals, Bärlach, im Moder jener Schenke in der Vorstadt Tophane, eingehüllt in den Qualm türkischer Zigaretten? Deine These war, daß die menschliche Unvollkommenheit, die Tatsache, daß wir die Handlungsweise anderer nie mit Sicherheit vorauszusagen, und daß wir ferner den Zufall, der in alles hineinspielt, nicht in unsere Überlegung einzubauen vermögen, der Grund sei, der die meisten Verbrechen zwangsläufig zutage fördern müsse. Ein Verbrechen zu begehen nanntest du eine Dummheit, weil es unmöglich sei, mit Menschen wie mit Schachfiguren zu operieren. Ich dagegen stellte die These auf, mehr um zu widersprechen als überzeugt, daß gerade die Verworrenheit der menschlichen Beziehungen es möglich mache, Verbrechen zu begehen, die nicht erkannt werden könnten, daß aus diesem Grunde die überaus größte Anzahl der Verbrechen nicht nur ungeahndet, sondern auch ungeahnt seien, als nur im Verborgenen geschehen. Und wie wir nun weiterstritten, von den höllischen Bränden der Schnäpse, die uns der Judenwirt einschenkte, und mehr noch, von unserer Jugend verführt, da haben wir im Übermut eine Wette geschlossen, eben da der Mond hinter dem nahen Kleinasien versank, eine Wette, die wir trotzig in den Himmel hinein hängten, wie wir etwa einen fürchterlichen Witz nicht zu unterdrücken vermögen, auch wenn er eine Gotteslästerung ist, nur weil uns die Pointe reizt als eine teuflische Versuchung des Geistes durch den Geist.«
»Du hast recht«, sagte der Alte ruhig, »wir haben diese Wette damals miteinander geschlossen.«
»Du dachtest nicht, daß ich sie einhalten würde«, lachte der andere, »wie wir am andern Morgen mit schwerem Kopf in der öden Schenke erwachten, du auf einer morschen Bank und ich unter einem noch von Schnaps feuchten Tisch.«
»Ich dachte nicht«, antwortete Bärlach, »daß diese Wette einzuhalten einem Menschen möglich wäre.«
Sie schwiegen.
»Führe uns nicht in Versuchung«, begann der andere von neuem. »Deine Biederkeit kam nie in Gefahr, versucht zu werden, doch deine Biederkeit versuchte mich. Ich hielt die kühne Wette, in deiner Gegenwart ein Verbrechen zu begehen, ohne daß du imstande sein würdest, mir dieses Verbrechen beweisen zu können.«
»Nach drei Tagen«, sagte der Alte leise und versunken in seiner Erinnerung, »wie wir mit einem deutschen Kaufmann über die Mahmud-Brücke gingen, hast du ihn vor meinen Augen ins Wasser gestoßen.«
»Der arme Kerl konnte nicht schwimmen und auch du warst in dieser Kunst so ungenügend bewandert, daß man dich nach deinem verunglückten Rettungsversuch halb ertrunken aus den schmutzigen Wellen des Goldenen Hornes ans Land zog«, antwortete der andere unerschütter lieh. »Der Mord trug sich an einem strahlenden türkischen Sommertag bei einer angenehmen Brise vom Meere her auf einer belebten Brücke in aller Öffentlichkeit zwischen Liebespaaren der europäischen Kolonie, Muselmännern und ortsansässigen Bettlern zu, und trotzdem konntest du mir nichts beweisen. Du ließest mich verhaften, umsonst. Stundenlange Verhöre, nutzlos. Das Gericht glaubte meiner Version, die auf Selbstmord des Kaufmanns lautete.«
»Du konntest nachweisen, daß der Kaufmann vor dem Konkurs stand und sich durch einen Betrug vergeblich hatte retten wollen«, gab der Alte bitter zu, bleicher als sonst.
»Ich wählte mir mein Opfer sorgfältig aus, mein Freund«, lachte der andere.
- Friedrich
Dürrenmatt, Der Richter und sein Henker. Zürich 1978
Wette (7) »Sein Motiv war weder Geldgier noch Machtgier noch Ehrgeiz: Er tat offenbar alles nur für eine Frau. Um sie zurückzuerobern, oder vielleicht auch nur, um sich an ihr zu rächen, um eine Wette mit ihr zu gewinnen ... Wir mußten also zuerst diese Frau begreifen, wenn wir die Schachzüge unseres Cagliostro durchschauen wollten. Aber wir konnten nicht in Erfahrung bringen, wer sie war. Durch Deduktion fanden wir schließlich allerhand über sie heraus, aber Dinge, die ich niemals in einem offiziellen Bericht darlegen könnte: Unsere Führungsorgane sind nicht in der Lage, gewisse Feinheiten zu erfassen ...«
»Für diese Frau«, fährt Arkadian Porphyritsch fort, als er sieht, mit welcher Gier du ihm jetzt die Worte geradezu von den Lippen trinkst, »heißt lesen sich von jeder vorgefaßten Absicht oder Parteinahme freimachen, um bereit zu sein für eine Stimme, die nur vernehmbar wird, wenn man sie am wenigsten zu vernehmen erwartet, eine Stimme, von der man nicht weiß, woher sie kommt, von irgendwo jenseits des Buches, jenseits des Autors, jenseits der Schreibkonventionen: aus dem Nichtgesagten, aus dem, was die Welt noch nicht über sich gesagt und zu sagen die Worte nicht hat ... Er dagegen wollte ihr beweisen, daß hinter der geschriebenen Seite das Nichts ist, daß die Welt nur aus Vortäuschung, Fiktion, Mißverständnis und Lüge besteht. Wenn es weiter nichts war, konnten wir ihm leicht die Mittel verschaffen, um das zu beweisen. Ich meine wir Kollegen in den verschiedenen Ländern und Regimen, denn wir waren viele, die ihm unsere Mitarbeit anboten. Und er lehnte sie auch nicht ab, im Gegenteil ... Nur wurde uns nie recht klar, ob er unser Spiel akzeptierte oder ob wir in seinem Spiel als Figuren dienten ... Womöglich war er auch bloß ein Verrückter ... Mir erst gelang es, sein Geheimnis zu lüften: Ich ließ ihn von unseren Agenten entführen, hierher verbringen und eine Woche lang in die Isolierzelle sperren; dann verhörte ich ihn persönlich. Es war nicht Verrücktheit, was ihn bewegte; vielleicht war es nur Verzweiflung: Die Wette mit jener Frau war längst verloren, sie war die Siegerin, ihre stets wache, wißbegierige, unersättliche Leselust hatte verborgene Wahrhei-
ten noch in der offenkundigsten Fälschung und schlimmste Falschheiten noch
in den angeblich allerwahrhaftigsten Worten zu entdecken vermocht, Was blieb
da unserem Illusionisten noch übrig? Er stiftete weiter Verwirrung zwischen
den Titeln, Autorennamen, Pseudonymen, Sprachen, Übersetzungen, Editionen, Umschlägen,
Frontseiten, Kapiteln, Anfängen und Enden, damit sie gezwungen war, diese Zeichen
seiner Präsenz zu erkennen, diesen seinen letzten Gruß ohne Hoffnung auf Antwort.
>Ich habe meine Grenzen erkannte, sagte er mir. >Beim Lesen geschieht
etwas, worüber ich keine Macht habe.< Ich hätte ihm sagen können, daß ebendies
die Grenze ist, die nicht einmal die allgegenwärtigste Polizei zu durchbrechen
vermag. Wir können am Lesen hindern, gewiß. Aber noch im Dekret, das alle Lektüre
verbietet, wird man ein Stück jener Wahrheit lesen, von der wir möchten, daß
sie niemals gelesen werde ...« - Italo Calvino, Wenn ein Reisender
in einer Winternacht. München 2007 (Zuerst 1979)
|
||
![]() |
||
![]() |
![]() |
|
![]() |
||
|
|
|
![]() ![]() |
![]() ![]() |