Lüge (aufklärerisch) Die Lüge ist eine sehr hohe Tugend, wenn sie Gutes tut. Man muß wie der Teufel lügen, nicht zaghaft, nicht zu Zeiten, sondern mutig und immer. - Voltaire, nach (som)

Lüge (protestantisch) Was wäre es, schon um Besseres und der christlichen Kirche willen eine gute, starke Lüge tun. - D. Martin Luther, nach (som)

Lüge (fürstlich) Wie rühmlich es für einen Fürsten ist, die Treue zu halten und redlich, ohne Falsch, zu leben, sieht jeder ein. Nichtsdestoweniger lehrt die Erfahrung, daß gerade in unsern Tagen die Fürsten Großes ausgerichtet haben, die es mit der Treue nicht genau nahmen und es verstanden, durch List die Menschen zu umgarnen.» Ein kluger Fürst könne und dürfte demnach sein Wort nicht halten, «wenn er dadurch sich selbst schaden würde». Nur wenn alle Menschen gut wären, «wäre diese Vorschrift nicht gut; da sie aber schlecht sind und dir die Treue nicht halten würden, brauchst du sie ihnen auch nicht zu halten. [...] Die Menschen sind so einfältig und gehorchen so leicht dem Zwang des Augenblicks, daß ein Betrüger stets einen finden wird, der sich betrügen läßt. So muß der Fürst Milde, Treue, Menschlichkeit, Redlichkeit und Frömmigkeit zur Schau tragen und besitzen, aber wenn es notig ist, imstande sein, sie in ihr Gegenteil zu verkehren.» Ein Fürst sei oft genötigt, «um seine Herrschaft zu behaupten, gegen Treue, Barmherzigkeit, Menschlichkeit und Religion zu verstoßen. Deshalb muß er verstehen, sich zu drehen und wenden nach dem Winde und.den Wechselfällen des Glückes, und am Guten festhalten, soweit es möglich ist, aber im Notfall vor dem Schlechten nicht zurückzuschrecken». - Macchiavelli - nach (som)

Lüge (katholisch) Es waren vor allem die Jesuiten, die in der ihnen häufig nachgesagten intellektuellen Spitzfindigkeit jene heute allgemein verbreitete Lehre entwickelten, wonach zwar die Lüge an sich unbedingt verwerflich ist, jedoch »nicht selten Gründe triftigster Art, sogar schwerwiegende sittliche Forderungen eine Verheimlichung der Wahrheit notwendig machen, die nicht nur durch bloßes Stillschweigen zu erreichen ist». Möglich wird dies durch den Gebrauch einer Aequivokation (einer vieldeutigen Antwort), wie etwa der Amphibolie (einer Rede mit mehrfacher Bedeutung). Sogar die Restriktion (die einschränkende Deutung einer Wendung) ist erlaubt, die zwar nicht den Buchstaben der Frage, wohl aber ihren eigentlichen Sinn trifft. Wer beispielsweise gefragt wird, ob er aus einer verseuchten Stadt komme, jedoch weiß, daß er nicht infiziert ist, darf die Frage verneinen. Denn was der Fragende wissen will, ist ja nur, ob er die Seuche mitbringt — ein Ratschlag, den Kardinal Toletus (gest. 1596) aus der Gesellschaft Jesu erteilte. - (som)

Lüge (staatlich) In Notwehr darf ich töten, im Kriege wird es gesetzlich verlangt, und in vielen Ländern droht das Gesetz bei Verbrechen mit Todesstrafe. Die Tötung ist verboten, gestattet oder geboten, je nach gesellschaftlichem Zweck. - (som)

Lüge (japanisch) Yamamoto Zen-Jin‘uemon pflegte seine Männer auf einfache Art zu ermutigen: »Geht spielen und erzählt einen Haufen Lügen. Solange jemand nicht sieben Lügen erzählen kann, während er einen cho (circa hundertzehn Meter) läuft, kann man von ihm nicht erwarten, irgend etwas als wahrer Mann zu erreichen.« - (bush)

Lüge (philosophisch) Es ist merkwürdig, daß die Bibel das erste Verbrechen, wodurch das Böse in die Welt gekommen ist, nicht vom Brudermorde (Kains), sondern von der ersten Lüge datiert (weil gegen jenen sich doch die Natur empört), und als den Urheber alles Bösen den Lügner von Anfang und den Vater der Lügen nennt; wiewohl die Vernunft von diesem Hange der Menschen zur Gleisnerei (esprit fourbe), der doch vorher gegangen sein muß, keinen Grund weiter angeben kann; weil ein Akt der Freiheit nicht (gleich einer physischen Wirkung) nach dem Naturgesetz des Zusammenhanges der Wirkung und ihrer Ursache, welche insgesamt Erscheinungen sind, deduziert und erklärt werden kann. - Immanuel Kant, Metaphysik der Sitten (1797)

Lüge (zamonisch) Jeder kann sich hinstellen und eine platte Lüge von sich geben, das ist keine Kunst. Das Geheimnis besteht darin, den Zuhörer an sie glauben zu lassen, Und wie jede wirklich große Kunst besteht auch die des Lügens aus Fleiß und zahlreichen Schichten. Der Maler streicht Schichten von farbigen Pigmenten und Lasuren übereinander, der Musiker komponiert Lagen aus Melodien, Rhythmen, Stimmen und Instrumenten, der Schriftsteller fügt Wortschicht für Wortschicht übereinander, und der Lügner stapelt Lügen zum Meisterwerk. Ein guter Schwindel muß sein wie eine solide Backsteinmauer, geduldig Lage auf Lage gefügt und darum als Ganzes unerschütterlich.

Dazu muß man behutsam Lüge und Wahrheit mischen, Erwartungen schüren und dann wieder enttäuschen, falsche Fährten legen, erzählerische Haken schlagen, Schleichwege gehen und vor allen Dingen: Das Gesicht muß mitlügen. Jede noch so kompliziert gebaute Flunkerei kann durch den falschen Gesichtsausdruck zusammenstürzen. Ein falsch plaziertes Zucken der Augenbraue, ein unsicheres Zittern des Augapfels — und das kunstvoll gewirkte Lügengespinst ist zerrissen. Ich habe große Lügengladiatoren scheitern sehen, weil sie im falschen Augenblick geblinzelt haben. - (zam)

Lüge (politisch)

Lüge (literarisch)

Lüge Am 16. Januar 1942 fing ein Bataillon im Mittelabschnitt einen Überläufer. Der zuständige Ic-Offizier der Division, Wilhelm v. Kreutzer, ließ den jungen Sowjet ausquetschen. Er gab ihm persönlich zu essen und teilte ihm Rauchwaren zu. Der Überläufer hatte mehrere Optionen: 1. gar nichts sagen, 1. sagen, was er wußte; aber er wußte nichts Dringliches, 3. reden, reden, reden, und zwar in Richtung dessen, was diese Gegner für interessant hielten. Er versuchte festzustellen, was in dieser Situation einer parteilichen Haltung am besten entsprach. Parteilich war er in zweierlei Hinsicht: 1. sich selbst erhalten, 2. die Faschisten schädigen. Er erzählte deshalb flüssig von Angriffsvorbereitungen; die Ruhe der vergangenen Tage und Nächte täusche.

Daraufhin wurde die Truppe in Alarmbereitschaft versetzt. Das bedeutete 3 Stunden Posten stehen, 1 Stunde Ruhe für jedermann. Es führte bei 48° Kälte zu zahlreichen Erfrierungen. Ein Angriff des sowjetischen Gegners erfolgte nicht. Nach 48 Stunden wurde die Gefechtsbereitschaft aufgehoben. In diesem Moment griffen sowjetische Bataillone die Front an und brachen an mehreren Stellen durch. Eine Rache wegen der Fehlinformationen, die sich als zielsicher und parteiwirksam erwiesen, obwohl er das selber nicht sicher hatte wissen können, traf den Überläufer nicht. Er wurde routinemäßig weitergeleitet zur Armee. Dort geriet er in die Verfügungsgewalt einer Sondereinheit, die Schanzarbeiter suchte. Nach wenigen Tagen für das deutsche Interesse hoffnungsloser Schanzarbeit in der Kälte, die Verpflegung der improvisierten Einheit funktionierte nicht, es war in hohem Maße parteilich, hohe Zahlen an Arbeitenden unnütz zu binden, mit möglichst geringer praktischer Spatenarbeit, versuchte sich der Überläufer dieser Sklaverei ganz zu entziehen. Er wurde von einer Wache angeschossen und starb an Erfrierungen auf dem Transport zu einem entfernten Verbandsplatz. Dieser Transport wurde von 2 Gefreiten durchgeführt, die noch einen Umweg machen wollten, um an Haltepunkt 186 eine Verpflegungsdose abzuholen, die schon bezahlt war. Noch als Toter absorbierte der Überläufer deutsche Kampfkraft, da es sich als schwierig erwies, in den gefrorenen Boden eine Mulde zu sprengen, in der man ihn mit ungelöschtem Kalk bestreuen und notdürftig begraben konnte. Die Lüge vor dem Feindnachrichten-Offizier, Herrn v. Kreutzer, hatte auf dieses Ende weder positiv noch negativ Einfluß. Genutzt hätte dem Überläufer nur eine Lüge, die diejenige Truppe, die noch das ursprüngliche Gefühl der Brauchbarkeit kannte, das sie jedem Überläufer zunächst entgegenbringt, dazu verleitet hätte, ihn in der Nähe der geheizten Unterstände zu behalten. Eine solche Lüge gibt es aber nicht. Niemand kann sie erfinden. - (klu)

Lüge (psychologisch) Das Lügen ist ein eigener Kitzel der Eigenliebe, die da glaubt, daß Wahrheit den Verstand weniger ehre als Lügen eigener Erfindung. Im Lügen liegt ein geheimer Reiz, und nichts kann über diese Erscheinung menschlicher Selbsttäuschung besseren Aufschluß geben als die Tagebücher der sogenannten Selbstbeobachter (Lavater) oder Selbstbiographien: man braucht sich zwar nicht vor anderen zu schämen, aber man schämt sich vor sich selbst und wird zum Heuchler und Lügner vor seinen eigenen Buchstaben. Eitelkeit diktiert zudem die meisten Selbstbiographien, wenn auch gleich nur in der dritten Person von sich gesprochen wird. Madame de Staël antwortete, als die Rede von ihren Memoiren war: "Wie werden Sie aber von Ihren Galanterien sprechen?" - "Oh, da zeige ich mich nur im Brustbilde!" - (kjw)

Lüge (lebensrettend) Isaak Sangari brach zur Chasarenhauptstadt mit dem Schiff auf. Dieses Schiff aber überfielen die Sarazenen, und sie begannen, auf ihm alles Lebendige zu töten. Die Juden sprangen ins Wasser, um sich zu retten, aber die Seeräuber erschlugen sie mit ihren Rudern. Nur Isaak Sangari blieb ruhig an Deck. Das verwunderte die Sarazenen, und sie fragten ihn, warum er nicht wie die anderen in die Wellen springe.

»Ich kann nicht schwimmen«, log Sangari, und das rettete ihm das Leben. Anstatt ihn zu erschlagen, stießen ihn die Piraten ins Meer und fuhren mit ihren Schiffen davon. - (pav)

Lüge (biologisch) Es könnte einige Tatsachen geben, die bei höherer Menschlichkeit gebessert würden, wenn die ungeheuerliche Verlogenheit der Menschheit ein Ende nähme. In welcher Hinsicht mehrfach Altes und Neues Testament an die Aufhebung der Lüge appellieren, können wir heute wohl kaum mehr beurteilen, aber das Problem ist in einigen Jahrtausenden nicht einen Schritt vorwärts, sondern dreimal rückwärts gegangen.

Man braucht nicht davon zu sprechen, daß die Regierenden der Völker die Lüge mit Bewußtsein und listiger Wonne verwenden, daß sie es für eine herrliche Aufgabe halten, die Völker zu betrügen. Das ist nur der Ausdruck dafür, daß alle so viel zu verbergen haben und keine Zukunft sehen. Handelte es sich in der Lüge um ein moralisches Problem, so würde man ihr einfach jemand gegenüberstellen, der zur Wahrheit fähig ist, aber die Lüge ist ein biologischer Defekt ganz andrer Ordnung, als daß man ihr mit Moral beikommen kann.

Über sie zu sprechen, versuchte Strindberg mehrfach, kam aber ebenfalls bei seiner Beschränkung auf den einzelnen niemals an den Kern der Frage.- Ernst Fuhrmann, Was die Erde will. Eine Biosophie. München 1986 (zuerst 1930)

Lügen (irische) Unser Freund erklärte, er habe unterwegs Erstaunliches gesehen und sich darüber sehr verwundert.

»Erzähl's mir«, bat der König.

»Nun, ich ging durch den Fluß«, hüb er an, »und da stieg ein Aal aus dem Wasser, kletterte auf den Gipfel eines Baumes und legte dort zwei hübsche Eier. Aus jedem Ei kroch ein Vogel, und sowie beide aus dem Ei waren, nahm der Aal sie mit sich ins Wasser.«

Der König blickte ihn an, ohne die Stirne zu runzeln.

»Ich wanderte weiter. Nicht lange, so sah ich viele Leute auf mich zukommen, Männer und Weiber. Sie kamen angerannt und ich wußte nicht warum. Ich fragte den Ältesten, warum sie' s allesamt so eilig hätten. Er gab mir zur Antwort, ob ich denn nicht die allbekannte Neuigkeit gehört hätte. Ich verneinte es. Da erzählte er mir, daß das Meer trocken geworden sei und daß nun alle Leute aus Leibeskräften rannten, um auf dem Meeresgrunde Fische und Geld zu finden. ›Und komm du auch mit, damit du deinen Teil davon abkriegst.‹ ›Ich kann jetzt nicht mit dir gehen‹, gab ich zur Antwort, ›ich will hin und sehen, ob ich die Königstochter durch einen Haufen Lügen erwerben kann.‹« - (ir)

Lüge (2) Wer eine Lüge ausgibt, der ist ein Falschmünzer. Die Münze hat Kurs, läuft um, wird als Wertmesser und Tauschmittel benutzt. Und jedes Mal, wenn die Lügenmünze aus einer Hand gegeben wird, kommt ein falscher Wert in Umlauf, der nicht zurückgerufen werden kann. Er streut Samen aus, die Nachkömmlinge wachsen heran, führen ein selbständiges Leben, setzen Samen an, ergeben neue Geschlechter und wirken nach unten in Unendlichkeit.

Indem sie einander belügen, werden die Menschen zu etwas anderm, als sie sind; man verkehrt schließlich nur mit Charaktermasken oder Gespenstern; man kennt seine Freunde nicht; man weiß nicht, mit wem man verheiratet ist; ahnt nicht, daß die Kinder, die man am meisten liebt, gegen einen intrigieren, seine Stellung zu untergraben suchen. Wenn man im Alter erst Zeit findet, über alles nachzudenken, das man erlebt hat, und mit Gleichaltrigen sitzt, um zu vergleichen, so geht einem auf, welch eine Menge Unwirklichkeiten man als Wirklichkeiten behandelt hat. Das meiste, was man in der Schule als Tatsachen lernte, ist nicht mehr wahr. - (blau)

Lüge (shakespearisch)

JAQUES Guter Lord, nehmt ihn willkommen: das ist der bunt-gesinnte Gentleman, den ich so oft getroffen habe im Wald: er ist ein Hof mann gewesen, schwört er.

PROBSTEIN Wenn einer zweifelt daran, laßt ihn mich auf die Probe stelln. Ich habe getanzt einen Stehtanz; ich . habe komplimentiert eine Dame; ich bin politisch gewesen mit meinem Freund, mit meinem Feind geschmeidig; ich habe ruiniert drei Schneider; ich habe vier Händel gehabt, und beinah ausgefochten einen.

JAQUES Und wie wurde der beigelegt?

PROBSTEIN Nun, wir trafen uns, und fanden der Streit war auf dem siebenten Punkt.

JAQUES Was siebenter Punkt? Guter Lord, gefall Euch dieser Kerl.

HERZOG SEN. Er gefällt mir sehr gut.

PROBSTEIN Gott lohn Euch, Sir; ich wünschte Euch das gleiche. Ich zwäng mich ein hier, Sir, unter den Rest der ländlichen Kopulierer, zu schwören, und zu verschwören, so wie Heirat bindet und Blut bricht: eine arme Jungfrau, Sir, ein übel-aussehendes Ding, Sir, aber mein; eine arme Laune von mir, Sir, zu nehmen was kein Mann sonst will: reiche Ehrbarkeit wohnt wie ein Geizhals, Sir, in einem armen Haus; wie Euch die Perle in der faulen Auster.

HERZOG SEN. Wirklich, er ist sehr schnell und sentenziös.

PROBSTEIN Ganz wie des Narren Bolzen, Sir, und solch süße Kränkung.

JAQUES Aber der siebente Punkt; wie habt Ihr ertappt den Handel am siebenten Punkt?

PROBSTEIN An einer Lüge, siebenmal aufgestockt: - tragt Euern Leib mit mehr Anstand, Audrey: - so nämlich Sir. Mir gefiel der Schnitt von eines gewissen Hofmanns Bart nicht: er gab Laut, wenn ich sagte sein Bart war nicht gut geschnitten, er war in der Meinung er wärs: das wird genannt der Höfliche Bescheid. Wenn ich ihm wieder Laut gab, er war nicht gut geschnitten, gab er Laut er schneide ihn zu gefallen sich selber: das wird genannt der Feine Stich. Wenn wieder ich, er war nicht gut geschnitten, sprach er mir das Urteil ab: das wird genannt die Grobe Antwort. Wenn wieder, er war nicht gut geschnitten, antwortete er, ich spräche nicht wahr: das wird genannt der Tapfere Tadel. Wenn wieder, er war nicht gut geschnitten, sagte er, ich lüge: das wird genannt der Streitbare Rückschlag; und so bis zur Bedingten Lüge und zur Direkten Lüge.

JAQUES Und wie oft sagtet Ihr sein Bart war nicht gut geschnitten?

PROBSTEIN Ich wagte nicht weiter zu gehn als zur Bedingten Lüge, noch wagte er mir anzuhängen die Direkte Lüge; und so maßen wir unsre Schwerter, und trennten uns.

JAQUES Könnt Ihr aufzählen nach der Ordnung, jetzt, die Grade der Lüge?

PROBSTEIN O Sir, wir streiten gedruckt, aus dem Buch; wie man Bücher hat für gute Manieren: ich will Euch nennen die Grade. Der erste, der Höfliche Bescheid; der zweite, der Feine Stich; der dritte, die Grobe Antwort; der vierte, der Tapfere Tadel; der fünfte, der Streitbare Rückschlag; der sechste, die Lüge mit Bedingung; der siebente, die Direkte Lüge. Aus all diesen könnt Ihr Euch herausziehn außer aus der Direkten Lüge; und Ihr könnt Euch herausziehn aus der auch, mit einem Wenn. Ich sah, wie sieben Richter nicht beilegen konnten einen Streit, aber als die Parteien aufeinander trafen, kaum daß einem von ihnen ein Wenn beifiel, wie »wenn ihr so sagtet, sagte ich so«; und es war Handschütteln und Bruderschaft. Wenn ist der wahre Frieden-Macher; viel Kraft in Wenn. - Shakespeare, Wie es euch gefällt, nach: Heiner Müller, Shakespeare Factory 1. Berlin 1983

Lüge (indianisch) Nach dem ungeschriebenen Gesetz der Navajos ist eine Lüge erlaubt, sofern man dadurch keinem anderen Schaden zufügt. Aber ein Navajo darf die Lüge nur dreimal wiederholen, beim viertenmal verstrickt er sich für den Rest seines Lebens in Unwahrheit. - Tony Hillerman, Die Nacht der Skinwalker. Reinbek bei Hamburg 1997

Lüge (3) Wenn also vom Falschen die Rede ist, so zugleich von Poesie. Das Verwirrspiel beginnt. Wir reden von der Lüge. Sie hat mir geschadet. Ich habe beschädigt mit ihr, auch mein Schaden - also in jedem Fall in den engeren Sinn von ihr hinein, wo ich hier aber nicht aufrichtig werden will, sondern denke: an Wahrheit und auch in weiterem Sinn an Lüge und auch sofort an Aufhebung dieser Gegensätze, wenn es keine Lüge ist, daß viele an der Lüge starben, an der Wahrheit aber viel mehr. - Paul Wühr, Das Falsche und die Lüge (Wiener Vorlesungen zur Literatur 1)

Lüge (sittliche) Die Frage ist immer nur: wie, wieviel, wann, wo, zu wem und unter welchen Umständen wir zu lügen haben und zu lügen das allein Richtige und Wahre ist. Man sieht, es gehört sehr viel Verstand dazu, schon dies alles ins Kalkül zu ziehen, wozu dann noch die Phantasie kommt, die auch keine quantité negligeable sein darf, wenn das Lügen seinen sittlichen Charakter behalten soll. Ja, den sittlichen Charakter! Denn was das angeblich Unsittliche des Lügens betrifft: nicht die Tatsache, daß ein Mensch die Macht hat, mich zu belügen, erschüttert mein Vertrauen zu ihm, sondern mein Vertrauen in seine Fähigkeit zu lügen, das ist es, was erschüttert werden kann; wenn er mir zum Beispiel über dieselbe Sache beim zweiten Mal nicht dieselbe, sondern eine andere Lüge sagt; denn dies und nur dies macht mich unsicher, da es ein schlechtes Gedächtnis des Lügners beweist, was unverzeihlich ist, oder daß er so viel lügt, daß er sich nicht mehr auskennt, was seine Dummheit beweist. Also nicht das Faktum, belogen zu werden, erregt meinen sittlichen Unwillen, sondern die Gewissenlosigkeit, Dummheit und mangelnde Ernsthaftigkeit des Lügens sind es, die ich als den sittlichen Wert des Lügens schädigend verwerfe. - Franz Blei, nach: Lügenmärchen aus alter und neuer Zeit. Hg. Georg A. Narciß.Frankfurt am Main 1966(Fischer-Tb. 744)

Lüge (schöne)  Schön ist das Lügen, wenn es viel Gutes stiftet. -  Tommaso Campanella

Lügen (kleine)

Kleine Lügen

Kleine Lügen und auch kleine
Kinder haben kurze Beine.

Das ABC ist äußerst wichtig.
Im Telefonbuch steht es richtig.

Der Klapperstorch hat krumme Beine.
Die Kinder werfen ihn mit Steine.

Aber Kinder bringt er keine.

Der Spanier lebt in fernen Zonen
Für die, die weitab davon wohnen.

Und der Osterhase legt
(Bald sehr eitel, bald bewegt)
Rührei oder Spiegelei.
Schauerlich stöhnt er dabei.

Sechs Beine hat der Elefant.
Er wird auch Mißgeburt genannt.

- Joachim Ringelnatz

Lügen (erlaubte)  Ich habe In den Fällen, wo ich ein Recht zur Gewalt habe, es auch zur Lüge: so z. B. gegen Räuber und unberechtigte Gewaltiger jeder Art, die Ich demnach durch List in eine Falle locke. Darum bindet ein gewaltsam abgezwungenes Versprechen nicht. - Aber das Recht zur Lüge geht in der That noch weiter: es tritt ein bei jeder völlig unbefugten Frage, welche meine persönlichen, oder meine Geschäftsangelegenheiten betrifft, mithin vorwitzig ist, und deren Beantwortung nicht nur, sondern schon deren bloße Zurückweisung durch »ich will's nicht sagen«, als Verdacht erweckend, mich in Gefahr bringen würde. Hier ist die Lüge die Notwehr gegen unbefugte Neugier, deren Motiv meistens kein wohlwollendes ist. Denn, wie ich das Recht habe, dem vorausgesetzten bösen Willen Anderer und der demnach präsumirten [vorausgesetzten] physischen Gewalt physischen Widerstand, auf Gefahr des Beeinträchtigers, zum voraus entgegenzustellen und also, als Präventiv-maaßregel, meine Gartenmauer mit scharfen Spitzen zu verwahren, Nachts auf meinem Hofe böse Hunde loszulassen, ja, nach Umständen, selbst Fußangeln und Selbstschüsse zu stellen, deren schlimme Folgen der Eindringer sich selber zuzuschreiben hat; so habe ich auch das Recht, dasjenige auf alle Weise geheim zu halten, dessen Kenntniß mich dem Angriff Anderer bloßstellen würde, und habe auch Ursache dazu, weil ich auch hier den bösen Willen Anderer als sehr leicht möglich annehmen und die Vorkehrungen dagegen zum voraus treffen muß. Daher sagt Ariosto:

So sehr auch meistens die Verstellung getadelt wird und von schlechter Absicht zeugt; so hat sie dennoch in gar vielen Dingen augenfällig Gutes gestiftet, indem sie dem Schaden, der Schande und dem Tode vorbeugte: denn nicht immer reden wir mit Freunden, in diesem viel mehr finstern, als heitern, sterblidien Leben, welches von Neide strotzt.

Ich darf also, ohne Unrecht, selbst der bloß präsumirten Beeinträchtigung durch List, zum voraus List entgegenstellen, und brauche daher nicht Dem, der unbefugt in meine Privatverhältnisse späht, Rede zu stehn, noch durch die Antwort: »Dies will ich geheim halten«, die Stelle anzuzeigen, wo ein mir gefährliches, ihm vielleicht vortheilhaftes, jedenfalls ihm Macht über mich verleihendes Geheimniß liegt:

Des Hauses Geheimnisse wollen sie wissen, um dadurch furchtbar zu werden   - Juvenal

Sondern ich bin alsdann befugt, ihn mit einer Lüge abzufertigen, auf seine Gefahr, falls sie ihn in schädlichen Irrthum versetzt. Denn hier ist die Lüge das einzige Mittel, der vorwitzigen und verdächtigen Neugier zu begegnen: ich stehe daher im Fall der Nothwehr. Ask me no questions, and I'll teil you no lies, ist hier die richtige Maxime.  - Arthur Schopenhauer, Preisschrift über die Grundlage der Moral (1840)

Lügen (geträumte)  Lügen bringt niemandem etwas ein, ausgenommen Bühnenkünstlern, Gauklern und Leuten, bei denen Lügen zum Metier gehört. Weniger schlimm ist es, Fremde zu belügen als seine Angehörigen; denn diesen droht großes Unglück, auch wenn man glaubt, in einer unbedeutenden Sache zu lügen.  - (art)

Täuschung Betrug Betrug Werkzeug, soziales Wirklichkeit

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Unterbegriffe
{?} {?} {?}
VB
Pseudologe

Wahrheit

Synonyme
Schwindel

Antonym