erworrenheit
Je verworrener ein Mensch ist, man nennt die Verworrenen oft Dummköpfe,
desto mehr kann durch fleißiges Selbststudium aus ihm werden; dahingegen die
geordneten Köpfe trachten müssen, wahre Gelehrte,
gründliche Encyklopädisten zu werden. Die Verworrnen
haben im Anfang mit mächtigen Hindernissen zu kämpfen, sie dringen nur langsam
ein, sie lernen mit Mühe arbeiten: dann aber sind sie auch Herrn und Meister
auf immer. Der Geordnete kommt geschwind hinein, aber auch geschwind heraus.
Er erreicht bald die zweyte Stufe: aber da bleibt er auch gewöhnlich stehn.
Ihm werden die letzten Schritte beschwerlich, und selten kann er es über sich
gewinnen, schon bey einem gewissen Grade von Meisterschaft sich wieder in den
Zustand eines Anfängers zu versetzen. Verworrenheit deutet auf Überfluß an Kraft
und Vermögen, aber mangelhafte Verhältnisse; Bestimmtheit, auf richtige Verhältnisse,
aber sparsames Vermögen und Kraft. Daher ist der Verworrne so progressiv, so
perfektibel, dahingegen der Ordentliche so früh als Philister
aufhört. Ordnung und Bestimmtheit allein ist nicht
Deutlichkeit. Durch Selbstbearbeitung kommt der Verworrene zu jener himmlischen
Durchsichtigkeit, zu jener Selbsterleuchtung, die der Geordnete so selten erreicht.
Das wahre Genie verbindet diese Extreme. Es theilt die
Geschwindigkeit mit dem letzten und die Fülle mit
dem ersten.
- Novalis, Blüthenstaub
(1798)
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