- (mob)
Untier (2) Von niemandem gehindert, von niemandem erwartet brachen die grönländischen Untiere ein, diese abenteuerlichen, den Menschen gräßlichen Wesen, Mißschöpfungen einer unmäßigen Kraft, die über Grönland aus dem schrecklichen Flammenschleier blies. Rudel der keuchenden blasenden Wesen ruderten flogen über den Ozean, straßenlange Reptilien, schwarzbäuchig, manche schillernd beschuppt, manche mit scheckiger Haut und breiten stumpfen Mäulem, manche wie Krokodile gepanzert. Dann Vogeltiere mit langen spitzen Zähnen, die in Doppelreihen standen. In Haufen zogen sie an, einzeln wie Festungen und Schiffe, eine Masse von Felsen Baumwaldungen Tieren mit sich schleppend. Sie schwärmten an, verhüllt unter den Waldungen auf ihren Rücken; mit den Füßen rissen sie sich die Moose und .Schachtelhalme ab, die über ihre Augen wucherten. Bisweilen stürzten sich fliegende Echsen in die See, um die Flammen zu löschen, die an ihren Hälsen, auf ihren Rücken entstanden. Mit der Angst gejagter Wesen flohen sie. Zwischen ihren Zehen, auf ihren rollenden aderdurchzogenen Flughäuten wurden Schlachten zwischen den Geschöpfen geschlagen, die sie mitschleppten. Sie klammerten sich an die Krallen der Ungetüme an, hingen an deren geblähten Halswampen in Reihen Ketten Girlanden. Tauchten die Tiere in See, so wurde der größte Teil der Bevölkerung von ihnen abgeschwemmt, schwamm an der Oberfläche, suchte die großen Tiere wieder zu fassen, wenn sie hoch kamen. In die See tauchend spülten sich die wandernden Tierriesen die zerfallenen Leichen ab. Aber mit sich selbst, unter sich schleppten sie Leichen.
Sie kämpften miteinander, sobald sie sich berührten, schlangen zerrissen sich. Und je mehr sie sich von Grönland entfernten, um so größer wurde ihre Not. Über See erschlugen sie sich; hungrig, aberoft konnten sie sich von den Besiegten nicht losreißen, die sich an ihren Rüsseln Borsten Hornplatten verklammert hielten. Mit der triefenden Masse wankten sie weiter, die Sprossen in sie hineintrieb. Und wie die Untiere die offenen, von dem rosenfarbigen grönländischen Licht nicht beschienene Meere befuhren, die Kälte über sie kam, wurden sie unsicher. Zuckten zwischen Meer und Himmel auf und ab, flüchteten vom Meer in die Wolken, die sie nicht wärmten. Sie konnten wenig sehen unter dem trüben Sonnenlicht. Verwirrt kehrten viele um. Aber die Geschwader der neu abfliegenden Tiere kamen über sie; diese Tiervölker zerrissen sie, schleppten sie nach Süden weiter. Unaufhörlich wie ein Blütenbaum seinen gelben Sonnenstaub warf Grönland seine lebendigen Massen von sich. Auf Skandinavien schmetterten sie nieder; dies war das erste Land, auf das sie stießen. Fjorde mit Granitklüften, wenige Wiesen, Schneeberge im Hintergrund. Hunger Beklemmung trieb die wandernden Untiere von Tag zu Tag stärker. Da prasselten sie über die Klippen, bedeckten kleine Menschensiedlungen. Im Sturz zerschellten viele, die sich über das Land warfen, als wären es Wellen. Die lebend herunterkamen, fingen an am Boden, an den Klippen zu beißen zu kauen zu schlingen. Zerrissen sich die Gaumen, ihre Zähne splitterten. Dröhnend drohend erhoben sie sich von ihren felsigen Opfern, schlugen mit den Klauen auf ihnen herum, schluckten mit blasenden Nüstern Steinbröckel Kiesel, griffen sich nach dem Rücken, stopften sich Farne, die sie abknickten, hinterher. Die Steine zerschrammten schlitzten ihnen den Darm. Speiend drehten sie sich im Kreise.
Nach Bergen kam ein Rudel vogelartiger Echsen mit den Rückenhöckern von Dromedaren, langen Hälsen, zweifüßige beflügelte Unwesen, die ein helles Schreien bei ihrer Annäherung ausstießen, das sich wie Kichern anhörte. Sie zerdrückten eine Zahl von Straßen und Anlagen. Mit den Haustrümmern stopften sie sich Menschen in den Schlund. Brände brachen um sie in der Stadtschaft aus. Die Waldungen von Famen Bärlappbäumen auf den Tierrücken wurden ab und zu von dem Feuer ergriffen. Zerstörend warfen sich die flammenden Tiere um, wälzten sich durch die Stadt.
Eine eigentümliche Art Fischwesen war gleichzeitig bei Bergen aus dem Meer
aufgestiegen, Wesen von außerordentlicher Länge, die noch die der Echsen übertraf.
Sie waren übermäßig wurmartig schmal gewachsen, hatten ein Wirbelskelett, das
mit Schädel Rippen Wirbelkörper deutlich an dem fleischlosen Leib sichtbar war.
Diese Tiere schienen sinnlos vor Hunger zu sein, waren halbblind. Wie Schlangen
ringelten w tonlos die Klippen vom Meer herauf; ihre Leiber nahmen kein Ende.
Sie schnauften mühsam, paßten sich der Luft an. Aber eine ganze Zahl schnellte
zu rasch aus dem Wasser hoch; ihre schmächtigen Leiber schwollen plötzlich an,
zuckten hingen über den Klippen; die Därme quollen ihnen aus den Schnauzen.
An ihnen schlangen die Vogelechsen. Sie kamen alle nicht weit. Flogen etwas,
senkten sich wieder auf den Boden. Es schien, als ob der Rest ihrer Kraft sie
bei der Berührung mit den kalten Steinmassen der Erde verließ. Keines der skandinavischen
Tiere, obwohl von niemandem verfolgt, kam über den sechzigsten Breitengrad auf
dem Landweg nach Süden. Sie fraßen Bäume Ackererde. Dann lagen sie lahm. Warfen
sich, schnellten wie in einem Anlauf hoch, verkamen. Die Waldungen Gärten Vögel
Weichtiere hatten sie schon verschlungen, oder sie waren verbrannt. In die Erde
fraßen sich die grönländischen Untiere ein, wie sie starben. Wuchsen dann sonderbar
in ihre Gräber. Wo sie reglos lagen, wucherte die Erde, die sie verschlungen
hatten, in ihren Mäulern, zwischen ihren Vogelkiefem, in den Schlundröhren,
Eingeweiden aus, durchdrangen die Weichteile in langen spitzen Kristallen, sogen
die Weichteile nach. Und um die Leiber herum, in den Bodenhöhlungen zitterte
die Erde, ließ feine Kristallbündel sprießen, so daß die Riesenleichen in zackigen
Nestern lagen. Die Körper der Untiere selbst aber vom Boden verschlungen, waren
nichts als eigentümliche Bodenerhebungen, die sich wie Tierrümpfe über den Berghängen,
über Ackerflächen hinzogen, von blitzenden Steinen begleitet. Die Untiere, die
weiter den Süden erreichten, Jütland bestiegen,
sich nahe Hamburg zeigten, waren Quallen und Medusen mit Armen, die sich untereinander
zu starken Schwimmflossen verbanden. Auf das flache Land, über die sandigen
Küsten wälzten sich in einem wilden Trieb, in zitternder Verwirrung die riesenstarken
gallertigen Wesen. Ihre Körper, unter dem grönländischen Licht blühend durchsichtig,
hatten in der Kälte der Meere die Gelbröte des Dotters angenommen; blutige geschwollene
Stränge durchliefen sie. Sie rollten fauchten; dellten sich krampfhaft zusammen,
sprangen flogen vorwärts. Sie spritzten Schleim
um sich.
- (gig)
Untier (3) Als Diogenes eine
Frau in einer Sänfte erblickte, äußerte er: »Der Käfig paßt nicht zu dem Untier.«
- (
diog
)
Untier (4)
den einen ist bekannt er als
das untier
das in telefonen haust
ein einzig zeichen - schon
meldet sich der hundesohn.
den
andern ist bekannt er als
der dauernd reisende, den nie
am telefone man
erwischt; während vielleicht
er bloß in nebenstraß sein postfach leeret
nebstbei
sein vorrat wein und wurst vermehret
oder nur notdürftig gereinigt zurück
ans telefon zappelt
die hose haltend und die weil verfluchend
- Ernst Jandl, Idyllen. Darmstadt 1989
Untier (5)
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