ntreue  (Grammatik und Moral) Dieses Wort bezieht sich (manchmal) auf den Bruch des Schwurs, den ein Ehepaar oder ein Liebespaar sich geleistet hat: daß nämlich der Mann nicht das Glück in den Armen einer anderen Frau und die Frau es nicht in der Umarmung eines anderen Mannes suchen werden. Die göttlichen und menschlichen Gesetze mißbilligen die treulosen Ehepaare; aber die Unbeständigkeit der Natur und die Art und Weise, wie man bei uns heiratet, scheinen sie bis zu gewissem Grade zu entschuldigen. Wer wählt sich denn sein Weib? Und wer wählt sich seinen Gatten? Je weniger Einverständnis, Freiheit und Wahl es bei einer Verpflichtung gibt, desto schwieriger ist es, ihre Bedingungen zu erfüllen, und desto weniger schuldig ist man in den Augen der Vernunft, wenn man diese Bedingungen verletzt. Unter diesem Gesichtspunkt verabscheue ich das treulose Liebespaar mehr als das freulose Ehepaar. Wer hat die Liebenden genötigt, sich zu verbinden? Warum haben sie sich Schwüre geleistet? Die treulose Frau erscheint mir schuldiger als der freulose Mann. Sie mußte doch das Allerheiligste, das es für sie in der Gesellschaft gibt, mit Füßen treten. Aber je größer ihr Opfer ist, wird man sagen, desto unfreier ist ihre Handlung. Auf solche Weise, antworte ich, könnte man jedes Verbrechen entschuldigen. Auf jeden Fall ist der Verkehr von zwei Treulosen ein Gewebe von Lügen, Betrügereien, Meineiden und Verrätereien, das mir mißfällt. Wie vermindern sich dabei die Zärtlichkeiten, die ein Mann doch einer Frau erweisen kann, wie kurz werden die köstlichen Augenblicke, die sie zusammen verbringen, und wie kalt ihre Worte! Sie lieben sich nicht, sie glauben einander nicht; vielleicht verachten sie sich gegenseitig. Entbindet die Liebenden von der Treue, dann werdet ihr nur noch Buhlende sehen! Wir leben doch nicht mehr im wilden Naturzustand, in denen alle Weiber allen Männern und alle Männer allen Weibern gehörten. Unsere Fähigkeiten haben sich vervollkommnet; wir haben jetzt feinere Empfindungen, haben auch höher entwickelte Ideen von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit; die Stimme des Gewissens ist erwacht; wir haben eine Unmenge von verschiedenen Pakten unter uns eingeführt; ich weiß nicht, wieviel Heiliges und Religiöses sich allen unseren Verpflichtungen beigemischt hat. Sollen wir die Unterschiede aufheben, die von den Jahrhunderten geschaffen worden sind, den Menschen in die Einfältigkeit der ursprünglichen Unschuld zurückversetzen und ihn reuelos der Mannigfaltigkeit seiner Triebe überlassen? Die Menschen zeugen heute Menschen. Sollen wir den barbarischen Zeiten nachtrauern, in denen sie nur Tiere zeugten? - (enz)

Untreue (2) Ich sprach von den Mißhelligkeiten zwischen einem Freund von mir und seiner Frau, die eheliche Untreue betreffend, von der mein Freund behauptete, sie sei beim Mann keineswegs so schlimm wie bei der Frau.

JOHNSON. «Da hat Ihr Freund recht. Zwischen einem Mann und seinem Schöpfer ist es etwas anderes, aber zwischen einem Mann und seiner Frau hat die Untreue des Gatten nichts zu bedeuten. Die beiden sind durch Kinder, durch Vermögensverhältnisse, durch gesellschaftliche Belange miteinander verbunden. Eine kluge Ehefrau macht sich nichts aus der Untreue ihres Gatten. Sie haßt zwar eine Nebenfrau, hat aber nichts gegen ein Flittchen. Meine Frau sagte mir, ich könne mit andern schlafen, soviel ich wolle, vorausgesetzt, daß ich sie allein liebe.» BOSWELL. «Das war nicht ihr Ernst.» JOHNSON. «Doch; bedenken Sie nur, wie unfein es von einer Frau ist, sich zu beschweren, wenn ihr Mann zu Weibern geht, bloß als Weibern; das bedeutet doch, daß es ihr an etwas fehlt, das einzugestehen sie sich schämen würde.» BOSWELL. «Und war Ihre Frau wirklich so weitherzig? Es besteht allerdings ein großer Unterschied zwischen dem Vergehen der Untreue beim Mann und bei der Frau.» JOHNSON. «Ein himmelweiter Unterschied.» BOSWELL. «Besonders was Besitzverhältnisse und Ehrenrechte anlangt.» JOHNSON. «Der Mann bringt keine Bänkelkinder in die Ehe.» BOSWELL. «Falls eine Frau von kalter Gefühlsart ist, hat sie dann ein Recht, sich über die Untreue ihres Gatten zu beklagen?» JOHNSON. «Wenn sie sich ihm versagt, hat sie kein Recht, sich zu beklagen.» BOSWELL. «Dann darf sich also der Mann bei jedem derartigen Anlaß einen Vermerk in sein Taschenbuch machen und handeln, wie es ihm beliebt.» - (johns)

Untreue (3)   Meine liebste Marie, mitten in dem Triumphgesang, den meine Seele in diesem Augenblick des Todes anstimmt, muß ich noch einmal Deiner gedenken und mich Dir, so gut wie ich kann, offenbaren: Dir, der einzigen, an deren Gefühl und Meinung mir etwas gelegen ist; alles andere auf Erden, das Ganze und Einzelne, habe ich völlig in meinem Herzen überwunden. Ja, es ist wahr, ich habe Dich hintergangen, oder vielmehr ich habe mich selbst hintergangen; wie ich Dir aber tausendmal gesagt habe, daß ich dies nicht überleben würde, so gebe ich Dir jetzt, indem ich von Dir Abschied nehme, davon den Beweis. Ich habe Dich während Deiner Anwesenheit in Berlin gegen eine andere Freundin vertauscht; aber wenn Dich das trösten kann, nicht gegen eine,  mit mir leben, sondern, die im Gefühl, daß ich ihr ebenso wenig treu sein würde, wie Dir, mit mir sterben will. Mehr Dir zu sagen läßt mein Verhältnis zu dieser Frau nicht zu. Nur so viel wisse, daß meine Seele, durch die Berührung mit der ihrigen, zum Tode ganz reif geworden ist; daß ich die ganze Herrlichkeit des menschlichen Gemüts an dem ihrigen ermessen habe, und daß ich sterbe, weil mir auf Erden nichts mehr zu lernen und zu erwerben übrig bleibt. Lebe wohl! Du bist die allereinzige auf Erden, die ich jenseits wieder zu sehen wünsche. - Heinrich an Marie von Kleist,  19. Nov. 1811

Untreue (4)   Eine vulgäre Frau wird ihre Untreue folgendermaßen erklären:

«Es ist ermüdend, immer dieselbe Speise zu essen.»

Eine feinere Frau wird sagen: «Ich wollte in das ewige Grau meines Lebens etwas Neues bringen.»

Eine Intellektuelle: «Ich habe es getan, um die Langeweile zu töten, um mich frei zu fühlen, um die Empfindung zu haben, niemandem anzugehören, um die Männer zu studieren...»

Aber was auch immer sie dir zur Erklärung sagen mögen, sei überzeugt, daß die wörtliche Übersetzung stets sein wird: «Ich begehrte...»  - Pitigrilli, Luxusweibchen. Reinbek bei Hamburg 1988 (zuersst 1922)

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