pucken   »Die Daumschrauben her!« — keuchte der Bischof, und Knechte, mit Gewappneten zusammen, drangen herein. Da hob der verstümmelte Bartlett seine rechte Hand mit heulendem Gelächter gegen den Bischof auf, steckte den ausgespreizten Daumen tief zwischen seine gewaltigen Kiefer, biß sich mit einem einzigen malmenden Kinnladenschnapp das Daumenglied an der Wurzel ab und spie es mit erneutem Hohngelächter dem Bischof ins Gesicht, daß Blut und Geifer über des entsetzten Priesters Wange und Soutane spritzte. »Da! —« brüllte ein fürchterliches Gelächter hinterdrein, »da, schraub dir meinen Daumen in  — — —«   - Gustav Meyrink, Der Engel vom westlichen Fenster. München 1984 (zuerst 1927)

Spucken (2)  Was bedeutet das amerikanische spoil system - die Zuwendung aller Bundesämter an die Gefolgschaft des siegreichen Kandidaten - für die Parteibildung heute? Dass ganz gesinnungslose Parteien einander gegen über stehen, reine Stellenjägerorganisationen, die für den einzelnen Wahlkampf ihre wechselnden Programme je nach der Chance des Stimmenfanges machen - in einem Mäße wechselnd, wie dies trotz aller Analogien doch anderwärts sich nicht findet. Die Parteien sind eben ganz und gar zugeschnitten auf den für die Amtspatronage wichtigsten Wahlkampf: den um die Präsidentschaft der Union und um die Governorstellen der Einzelstaäten. Von amerikanischen Arbeitern bekam man noch vor fünfzehn Jahren auf die Frage, warum sie sich so von Politikern regieren ließen, die sie selbst zu verachten erklärten, die Antwort: »Wir haben lieber Leute als Beamte, auf die wir spucken, als wie bei euch eine Beamtenkaste, die auf uns spuckt."  - Max Weber, Politik als Beruf. 1919 (Nach: Berliner Zeitung 15./16. 01.05)

Spucken (3)   Poe, der in Zeitschriften der Polizei heute mit Recht zum Meister der wissenschaftlichen Polizisten erklärt wird (von Sherlock Holmes bis, ja tatsächlich, Paul Valéry...). Ist es keine Schande, einen bestimmten Typ von Polizist, immer wieder Polizist, mit einnehmendem, intellektuellem Aussehen zu zeigen und die Welt mit einer Polizei-Methode zu beglücken? Spucken wir, en passant, auf Edgar Poe! Wenn wir auf Grund des Surrealismus ohne Zögern die Vorstellung der bloßen Möglichkeit von Dingen, die «sind», verwerfen; wenn wir erklären, daß man durch einen Weg, der «ist», den wir zeigen und begehen helfen können, zu dem gelangt, was «nicht war»; wenn wir nicht genug Worte finden, die Niedrigkeit des westlichen Denkens zu geißeln; wenn wir den Aufstand gegen die Logik nicht fürchten; wenn wir nicht darauf schwören würden, daß eine im Traum begangene Handlung weniger Sinn hat als eine im Wachzustand begangene; wenn wir nicht einmal sicher sind, daß man nicht doch eines Tages mit der Zeit fertig werden wird, mit dieser alten finsteren Posse, diesem ständig entgleisenden Zug, diesem wahnsinnigen Pulsschlag, diesem unentwirrbaren Geknäuel krepierender und krepierter Tiere - wie will man da irgendwelche Nachsicht zeigen oder Toleranz üben gegenüber einem wie auch immer gearteten sozialen Konservierungsapparat? Das wäre wirklich der einzige Wahnsinn, der für uns unannehmbar wäre. Alles muß getan werden, alle Mittel sind recht, um die Ideale Familie, Vaterland, Religion zu zerschlagen.   - André Breton, Zweites Manifest des Surrealismus (1930). In: A.B., Die Manifeste des Surrealismus. Reinbek bei Hamburg 1986 (re 434)

Spucken (4) Als ich an Deck kam, lag die kleine Brigg dicht am Winde. Sie lag fast platt auf der Seite. Die schwere Kopfsee schlug mit furchtbarer Gewalt über den Bug, fegte über das Deck und durchnäßte uns durch und durch. Die Marsfallen waren losgeworfen. Die großen Segel blähten sich auf und schlugen back. Donnernd knallten sie gegen die Masten. Heulend pfiff der Wind durch die Takelage, lose Taue flogen umher. Laute, mir unverständliche Befehle wurden gegeben und rasch ausgeführt. Dazu das Aussingen der Seeleute in ihren rauhen und sonderbaren Tönen.

Ich war jetzt fürchterlich seekrank und hatte kaum die Kraft, mich irgendwo festzuhalten, und es war pechschwarze Nacht.

In diesem Zustande mußte ich, zum erstenmal, nach oben gehen und Marssegel reffen. Wie ich damit fertig wurde, weiß ich nicht mehr. Ich ging mit den andern auf die Raa und hielt mich, so gut ich konnte, fest. Ich erinnere mich nur, daß ich auf der Marsraa mehrfach seekrank wurde und wild in die schwarze Nacht spuckte. Bald waren die Segel fest, und wir Freiwächter konnten wieder unter Deck gehen. Ich empfand das keineswegs als eine Erleichterung. Das Durcheinander, das unten herrschte, und der unglaubliche Gestank des Bilgewassers, der aus dem Raum nach oben drang, machten das Zwischendeck zu keinem angenehmeren Aufenthaltsort als das kalte und nasse Oberdeck. Ich hatte oft davon gelesen, was andere auf ihrer ersten Reise erlebt hatten, und konnte mir nicht denken, daß es ihnen noch schlechter gehen konnte als mir. Immer wieder kam mir der Gedanke, daß dieses erst der erste Tag einer zweijährigen Reise war. - (dana)

Spucken (5)  Hatte er eines oder mehrere Verbrechen auf dem Gewissen? Manche hatten so etwas gemunkelt, aber man hatte ihm nie etwas nachweisen können, und eines Tages war Palmari Besitzer des Clou Doré geworden.

Er hielt sich für gerissen, und tatsächlich war er so geschickt zu Werke gegangen, daß er bis zu seinem sechzigsten Lebensjahr niemals verurteilt worden war.

Gewiß, er war den Revolverkugeln nicht entkommen, aber mit seinen Büchern und Schallplatten, mit Fernsehen und Rundfunk genoß er, in seinem Rollstuhl sitzend, das Leben noch immer. Ja, Maigret glaubte sogar, daß er diese Aline, die ihn Papa nannte, noch leidenschaftlicher und zärtlicher liebte, als er je ein Mädchen geliebt hatte.

»Es ist verkehrt von dir, Papa, daß du den Kommissar empfängst. Ich kenne die Polente. Sie hat mir das Leben oft sauer gemacht. Und dieser ist nicht besser als die anderen. Du wirst sehen, eines Tages wird er das, was er dir aus der Nase zieht, gegen dich benutzen.«

Es kam vor, daß das Mädchen vor Maigret ausspuckte, ehe sie stolz das Zimmer verließ, wobei sie mit ihrem kleinen straffen Hintern wackelte. - Georges Simenon, Maigret hat Geduld. München 1971 (Heyne Simenon-Kriminalromane 99, zuerst 1965)

Spucken (6)    Empedokles begab sich zum Ätna und sprang in den Feuerschlund des Kraters, wo er verschwand. Er wollte nämlich die Sage bestätigen, derzufolge er zum Gott geworden sei. Später aber wurde der wahre Sachverhalt bekannt, als der Vulkan eine seiner Sandalen ausspie (man erkannte sie sogleich); denn Empedokles trug in der Regel solche aus Bronze. - Diogenes Laertios, nach (gsv)

Spucken (7)  Als ihn einer in sein prachtvolles Haus führte und sich das Spucken verbat, sammelte Diogenes Rotz und spie ihn in sein Gesicht mit den Worten, er habe keine schäbigere Stelle gefunden.   - (diog)

Spucken (8)  

Spucken (9)  Benjamin Péret traf ich erst nach dem zweiten Weltkrieg in Paris. Eine Gruppe sehr junger Surrealisten hatte mich mit ihm, den sie wie ein renommiertes Alibi mitführten, bekanntgemacht. Wir aßen zusammen und gingen dann den Boulevard St. Germain hinunter, als uns ein katholischer Priester entgegenkam. Zu meiner Verblüffung blieb Péret vor dem Priester stehen und spuckte vor dem Nichtsahnenden und Nichtswollenden aus. Pérets Einstellung gegen jede nationale wie kirchliche Autorität war noch immer echt und ungebrochen, als er ein paar Jahre später in einer überaus ärmlichen Bude starb. Er hatte nie Geld und besaß offenbar sein ganzes Leben lang nicht einmal die elementarsten Vorstellungen, wie man in den Besitz der täglichen Notwendigkeiten kommen könnte. Ein völlig unromantischer Romantiker, ein Anti-Politiker, der Politik trieb, war er ein konzessionsloser Rebell, der eben spuckte, wann immer er wollte. - Hans Richter, Dada - Kunst und Anti-Kunst. Köln 1964

Spucken (109)  Vasari berichtet, Piero di Cosimo sei manchmal in den Anblick einer Mauer, auf die Kranke zu spucken pflegten, versunken gewesen. Aus solchen Flecken habe er Reiterschlachten geformt, die phantastischsten Städte und die herrlichsten Landschaften, die man je gesehen hätte. Dasselbe soll er mit den Wolken des Himmels gemacht haben. -  Nach: Als die Surrealisten noch recht hatten. Texte und Dokumente, Hg. Günter Metken. Stuttgart 1976

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