oe   Wenn es auch Edgar Allan Poes Hauptforderung gewesen war, wie es in seiner »Philosophie der Komposition« heißt, die Vollendung des Kunstwerks zwecks der zu erzielenden Wirkung von vorheriger methodischer Anordnung seiner Elemente abhängig zu machen, muß man doch annehmen, daß er auf diese Strenge oft verzichtet hat, um der Phantasie in seinem Werk freien Lauf zu lassen. Was immer man auch sagen mochte, seine Vorliebe für das Künstliche und Außergewöhnliche sollte in nicht wenigen Fällen über seinen Vorsatz, alles genau zu berechnen, den Sieg davontragen: Man kann sich schlecht vorstellen, daß dieser Liebhaber des Zufalls nicht liebend gern mit den Zufällen des Ausdrucks gerechnet haben soll.

Wir erinnern uns des scheinbaren Unterschieds, den Paul Valéry vor ungefähr zwanzig Jahren gesprächsweise zwischen dem festzustellen versuchte, was er die »seltsamen« und die »absonderlichen« Zufälle nannte. Nur die ersteren fanden Gnade vor seinen Augen, und Poe gehörte natürlich mit in diese Kategorie. Anderen, wie zum Beispiel Jarry, machte er den Vorwurf, daß sie sich bemühten, nach außen hin den Sonderling zu spielen. Aber in Poe, den Mallarmé beschrieben hat als »der leibhafte Teufel, wie er insgeheim ständig mit dem Tragischen und Düsteren kokettiert«, darf man, wie Apollinaire das getan hat, getrost »den herrlichen Trunkenbold von Baltimore« sehen: »Die literarischen Feindschaften, die Sucht nach dem Absoluten, das Eheleid, die Schmach des Elends, Poe«, berichtet Baudelaire, »flüchtete vor alledem in die Nacht der Trunkenheit wie in die Nacht des Grabes; denn er trank nicht wie ein Gourmet, sondern wie ein Barbar... An eben dem Morgen, da in New York die Zeitschrift Whig den »Raben« veröffentlichte und Poes Name in aller Munde war, alle Welt sein Gedicht diskutierte, zog er betrunken und torkelnd den Broadway hinunter.«

Allein schon ein solcher Widerspruch könnte Humor erzeugen, sei es, daß er voll hervorbricht aus dem Widerstreit zwischen der außerordentlichen Fähigkeit zu logischem Denken, der hohen Geisteshaltung und den Nebeln des Rauschs (»Der Engel des Sonderbaren«) sei es, daß er in seiner düstersten Gestalt menschlichem Fehlverhalten auflauert, dem gewisse krankhafte Zustände zugrunde liegen (»Der Dämon der Perversität«). - André Breton, in: (hum)

Poe (2)  Man hat oft gesagt, Poe sei ein Komödiant gewesen; und selbstverständlich war er einer; er wußte, alle Propheten, Visionäre, Tagträumer sind Komödianten, und nur als solche, das heißt, indem sie bewußt und entschieden ihr technisches Können einsetzen, sind sie imstande, dem unerhörten Druck einer unumschränkten Phantasie standzuhalten. Beschütze und bewahre uns der Himmel die Komödianten und auch die Scharlatane und Fälscher in dieser Welt der Ehrbaren und Positiven! Die gefälschte Münze, die nicht in Umlauf ist, nicht kauft und nicht verkauft, ist absolut, unantastbar, ist lächerlich und dem Spott ausgesetzt. - Manganelli furioso. Handbuch für unnütze Leidenschaften. Berlin 1985
 
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