ntrückung Um die Entrückung — oder Verrücktheit — zu erreichen, wenden die Kheluatya folgende Spezialmethode an:
»Man setzt sich mit gekreuzten Beinen und wiederholt eine bestimmte Zeit lang: ›Es gibt keinen Gott außer Allah‹, indem man den Mund abwechselnd von oberhalb der rechten Schulter vor das Herz, unter die linke Brust führt. Dann wird die Anrufung gesprochen, die darin besteht, die göttlichen Attribute auszusprechen und der Vorstellung von seiner Größe und Allmacht Ausdruck zu verleihen. Es werden nur die folgenden zehn Worte in der Reihe der Aufzählung gesprochen:
Er, Gerecht, Lebendig, Unwiderstehlich, überragender Geber, überragender Fürsorger, Er, der dem verstockten Menschen die Herzen öffnet für die Wahrheit, Einzig, Ewig, Unwandelbar.«
Nach jeder Anrufung müssen die Glaubensjünger hundert und mehr Male bestimmte Gebetformeln wiederholen.
Sie bilden einen Kreis, wenn sie ihre gemeinsamen Gebetübungen verrichten. Der Vorbeter spricht zuerst das Wort »Er«, streckt den schräg rechts gehaltenen Kopf nach der Mitte des Kreises und wendet ihn dann nach links rückwärts, nach außerhalb des Kreises. Hierauf sprechen ihm alle im Chor das Wort »Er« nach, während sie den Kopf nach rechts und dann nach links wenden.
Vergleichen wir diese Bräuche einmal mit denen der Quadrya. »Nachdem sie sich mit gekreuzten Beinen gesetzt haben, berühren sie die Spitze des rechten Fußes und dann die um die Eingeweide liegende Hauptschlagader, El-Kias genannt, legen die offene Hand mit gespreizten Fingern auf das Knie und wenden das Gesicht zur rechten Schulter, während sie ›Ha‹ sagen, dann zur linken Schulter mit dem Wort ›Hu‹, sodann senken sie den Kopf, indem sie ›Hi‹ sagen. Dann beginnen wir wieder von vorne. Wichtig ist, daß der Gläubige das erste dieser Wörter solange ausspricht, wie sein Atem es ihm gestattet. Wenn er sich gereinigt hat, muß er in gleicher Weise mit dem Wort ›Gott‹ ausatmen, solange, bis seiner Seele kein Makel mehr anhaftet. Wenn völlige Gehorsamsbereitschaft eingetreten ist, spricht er das Wort ›Hu‹, und zuletzt, wenn die Seele den wünschenswerten Vollkommenheitsgrad erreicht hat, darf er das letzte Wort ›Hi‹ aussprechen.«
Diese Gebete, die zur Vernichtung der Individualität des Menschen führen,
der sich in der Wesenheit Gottes auflöst (das heißt der Zustand, in dessen Folge
man zum Anschauen Gottes in seinen Attributen gelangt), werden Uerd-Debered
genannt. - (err)
Entrückung (2) Im Nebenzimmer unterhält
sich meine Mutter mit dem Ehepaar L. Sie sprechen über Ungeziefer und Hühneraugen.
(Herr L. hat sechs Hühneraugen an jedem Finger.) Man sieht leicht ein, daß durch
solche Gespräche kein eigentlicher Fortschritt eintritt. Es sind Mitteilungen,
die von beiden wieder vergessen werden und die schon jetzt ohne Verantwortungsgefühl
in Selbstvergessenheit vor sich gehn. Eben deshalb aber, weil solche Gespräche
ohne Entrückung nicht denkbar sind, zeigen sie leere Räume, die, wenn man dabei
bleiben will, nur mit Nachdenken oder besser Träumen ausgefüllt werden können.
- Franz Kafka, Tagebücher (22. März 1912) Frankfurt am Main
1967
Entrückung (3) Die Entrückung Gottes ist das Resultat menschlicher Bosheit oder Überheblichkeit. Bei den Lobi in Nordghana und im Süden von Burkina Faso
konnten die Menschen fliegen oder sich an Eisenketten vom Himmel
herablassen. Himmel und Erde lagen aufeinander. Hatten die Menschen
Hunger, schnitten sie ein Stück vom Himmel ab und kochten es. Der
Schöpfergott Humpa (auch Clan-Oberhaupt der Lobi) befahl eindringlich,
den Topf beim Kochen nicht zu öffnen. Eine Frau übertrat das Gebot und
mit dem aufsteigenden Dampf aus dem Topf entfernte sich der Himmel. -
Wikipedia
Entrückung (4) Die Via Giulia weckte den Wunsch in mir, ein Kardinal aus alter Zeit zu sein, ein Fürst der römischen Kirche mit einem Purpurmantel und Schuhen mit Silberspangen. Ich fühlte diese Gestalt aus alter Zeit in mir wachsen mit dem Knistern der Seide, den feierlichen Gebärden, den lateinischen Psalmen, den gregorianischen Gesängen und dem Klang der Orgel, ich fühlte, wie meine Lippen lateinische Ausdrücke formten, die Flüchen (O salutaris hostis) glichen, und auch die sakralen Motetten, die ich bei Furio Stella gelernt hatte. Der Kardinal bewegte sich, segnete, machte große Gesten mit den Armen. Er gab Fußtritte und stampfte. Stechender Schmerz durchdrang mich und zwang mich, den Mund weit zu öffnen; dann mußte ich mir auf die Lippen beißen und die Zähne zusammenpressen, um nicht zu schreien. Die spitzen Schuhe, die Spitzen der Schuhe mit der Silberspange, die Silberspangen der spitzen Schuhe des Kardinals zerschnitten mein Zwerchfell. Mystische Schmerzen. Eine Krise heiliger Entrückung.
Miriam schaute mich neugierig an und hatte recht. Ich habe mich so oft gefragt, was geschieht, wenn zwischen einem Mann und einer Frau eine Liebesgeschichte beginnt. Das Schöne daran ist, daß es keine Regeln gibt und alles ins Gegenteil verkehrt werden kann. Manche Geschichten entstehen aus einem Autounfall, aus einem Unwetter (Aeneas und Dido), aus einem Erdbeben oder unter dem Bombenregen, aus einer spiritistischen Sitzung und sogar aus Haß und Antipathie, die doch das Gegenteil der Liebe sein sollten. Hier war es, wie ich schon gesagt habe, eine heilige Entrückung.
Jetzt fängst du an, lateinisch zu reden, sagte Miriam und schaute mich sehr neugierig an. Ich scherzte, sagte ich. Du hast aber lateinisch gesprochen. Das war ein Scherz. Gut, sagte Miriam, aber was für ein Scherz? Als ob ich ein Priester sei, sagte ich, ein Kardinal.
Mir ging eine Adaptierung einiger Verse des Dies Irae durch den Kopf, und
ich rezitierte sie Miriam, der das sehr gefiel. Die Verse waren: Miriam, mirum
spargens sonum / per sepulchra regionum, / coget omnes ante thronum. Und so
weiter. Ich kann nicht Lateinisch, es war nur ein Spiel, das ich für sie, ihr
zu Ehren, erfunden hatte. Nun hörte ich auf zu reden und schwieg. So endete
das erste Kapitel unseres Spaziergangs, die Begegnung und die Liebeserklärung,
im Schweigen. - Luigi Malerba, Die Schlange. München 1992 (zuerst
1966)
Entrückung (5) Niemand war besonders erstaunt, als man mitten in einem Konzert vier entzückende Seraphim herabschweben sah, die mit einem unbeschreiblichen Rauschen ihrer goldenen und karminroten Flügel die Stimme des großen Sängers begleiteten. Wenn ein Teil des Publikums verständliche Zeichen der Verwunderung von sich gab, empfanden die übrigen, von den außerordentlichen gesanglichen Fähigkeiten des Tenors Scravellini bezaubert, die Anwesenheit der Engel als ein geradezu unausbleibliches Wunder, oder vielmehr nicht als ein Wunder. Der Sänger selbst, seiner Gefühlsseligkeit hingegeben, hob nur einmal kurz den Blick zu den Engeln empor und sang weiter mit dieser unfaßlich zarten Stimme, die ihm in allen subventionierten Theatern Ruhm eingebracht hatte.
Sanft umsäuselten ihn die Engel, und mit unendlicher Zartheit und Anmut hoben sie ihn empor und schwebten mit ihm in den Bühnenhimmel hinauf, während die Anwesenden vor Rührung und Bewunderung bebten, und der Sänger sang weiter seine Melodie, die in der Höhe immer ätherischer wurde.
So entrückten ihn die Engel dem Publikum, das schließlich begriff, daß der
Tenor Scravellini nicht von dieser Welt war. Der himmlische Reigen erreichte
die Kuppel des Theaters; die Stimme des Sängers klang immer überirdischer. Als
der letzte und vollkommenste Ton der Arie aus seiner Kehle kam, ließen die Engel
ihn los. - Julio Cortázar, Ende der Etappe. Die Erzählungen Bd. 4.
Frankfurt am Main 1998
Entrückung (6) Feierlich wurde die fromme
Büßerin am 2. Mai 1393 in Gegenwart der vier vorplanenden Herren unter der südlichen
Treppe zum Oberchor der Außenwelt entrückt. Jeder Ziegel geweiht. Des göttlichen
Lammes Wolle in den Mörtel gemengt. So kam Dorothea zu ihrer Freiheit. Nur ein
Fensterchen blieb, durch das sie atmen, ein wenig Fastenspeise annehmen, ihren
dürftigen Kot abführen, der Messe im Dom folgen, die Kommunion täglich empfangen
und Johannes Marienwerder ihr heiliges Leben beichten durfte. -
(but)
Entrückung (7) Nach meiner Vision
im Wachzustand verfiel ich, erschlafft von Sattheit,
Trunkenheit und Stickluft, in Schlummer. Die ›Entrückung‹
hielt freilich an, nun aber von allen Wahnvorstellungen belastet, die der Schlaf
mit sich zu bringen pflegt. Jetzt gab es nicht mehr den Gegensatz zwischen der
nackten Frau, die mich oben auf dem Felsen verlockte, und dem Königreich des
Sertão, das sich weiter unten regte und mich blendete. Jetzt verschmolz alles
in eins, denn das Reich erschien mir gleichzeitig wie eine fahnenübersäte Schlachtszene
und wie eine schöne nackte Frau, die auf der Goldkaskade ihres Haares hingelehnt
lag und deren vollkommener Leib von der Sonne vergoldet wurde. Durch dieses
›Reich der Prinzessin vom Schönen Stein‹, durch dieses Zauberland, bevölkert
mit Grotten und Hügeln, irrte
ich, gleichfalls verhext und bezaubert, entdeckte, streichelte, berührte, enthüllte,
und gleich darauf drang ich ein, saugte, biß und zerstückelte — ausgestreckt
über schattigen Quellen und Bächen, in deren Moos und deren stillem Wasser in
frischgrünem Schatten halboffene Früchte und Blumenkronen leuchteten - die roten
Blumenkronen der dunkelroten Rosen, die weichen weißen Blüten des Cambraia-Jasmins,
alle zwischen schlängelnden Lianen glitzernd, die meinen Rumpf und meinen Hals
einwickelten, meinen Rücken streichelten und ebenfalls gierig suchten, was sie
beißen und zusammenpressen könnten. Und es kam der Augenblick, in welchem sich
das alles zu einer Empfindung von solcher Seligkeit vereinte, daß die Pferdehufe
in meiner Brust und in meinen Schläfen zu galoppieren begannen und im Rhythmus
meines Blutes pulsierten und stampften. Es waren Lasten und Herden, sonderbare
Kriegerinnen zogen vorüber, und maurische Kämpfe wurden beim gelben und roten
Klang der Trornpeten ausgetragen, all dies verschmolz mit dem Galopp der Pferde,
mit dem Stöhnen der Frau, die mit mir zusammen auf
den Gipfel des Reiches gelangte, und schließlich erdröhnte der gelbe sonnendurchglühte
Schuß aus einer holländischen Muskete, der, während er von mir ausging, mich
im Blut, in den Augen und im Zentrum meines Wesens erreichte - mit dem Prasseln
und Blinken glühenden Kupfers. - (stein)
|
|