espräch
Nachts zog er sich in seine Wohnung in
der Kobergerstraße zurück und las die Verbesserungsvorschläge,
die in der »Praline« oder in der »Hör zu« auf der Leserbriefseite
von Professorinnen mit drei bis vier Doktortiteln gemacht wurden;
diese Lektüre verschlimmerte seinen Zustand augenblicklich um
ein Mehrfaches. Auch mit Hedda setzte er sich auseinander, weil
sie der Meinung war, es nütze etwas, über seine Lage zu sprechen.
Er war natürlich nicht dieser Ansicht, er war des Glaubens, in
seinem Fall träfe eher das Gegenteil zu (was freilich genau solcher
Unsinn war); er wunderte sich nur, mit welcher Ernsthaftigkeit
Frauen über männliche Probleme diskutieren konnten. Aus solchen
Gesprächen ging er stets wie ein Hohlkopf hervor; alles, was
er da oben gehabt hatte, war in seine Magengrube abgesackt und
hatte sich dort in ein gräßliches Gebräu aus Scham
und Wut verwandelt, das sich auf den Schwellkörper
seines Wurms mit tagelanger Lähmung auswirkte.
Dennoch bargen diese Sitzungen für ihn ein gewisses Suchtpotential,
für längere Zeit entzog er sich ihnen nicht mehr; bis er bemerkte,
daß er sie mitmachte, weil die Gespräche seiner sexuellen Abstinenz
dienlich waren. C. und Hedda hatten sich sogar die Frage gestellt,
ob er vielleicht in Wirklichkeit schwul sei, das aber noch nicht
gemerkt habe. C. erwiderte, er glaube es nicht, seinem Gefühl
nach würde es ihm leichter fallen, einen Mann zu erschießen,
als ihn zu umarmen. - Wolfgang Hilbig, Das Provisorium.
Frankfurt am Main 2001 (Fischer-Tb. 15099, zuerst 2000)
Gespräch (2) Zwar sagt Goethe,
daß das Gespräch noch erquicklicher sei als das Licht;
aber dennoch ist es besser, gar nichts zu sprechen, als ein so
karges ledernes Gespräch zu führen, wie das gewöhnliche mit den
bipedes [Zweifüßern], bei dem drei Viertel von dem, was
einem zu sagen einfällt, nicht gesagt werden dürfen, aus ebenso
albernen als notwendigen Rücksichten, und die Unterhaltung in
der Tat nichts anderes ist als ein qualvolles Seiltanzen auf
der schmalen Linie des zu sagen ohne Gefahr Vergönnten. In der
Regel hinterläßt jedes Gespräch - das mit dem Freunde oder der
Geliebten ausgenommen — einen unangenehmen Nachgeschmack, eine
leise Störung des Innern Friedens. Dagegen hinterläßt jede Selbstbeschäftigung
des Geistes einen wohltuenden Nachklang. Unterhalte ich mich
mit den Menschen, so empfange ich ihre Meinungen, die meistens
falsch, flach oder erlogen sind und in der armsäligen Sprache
ihres Geistes. Unterhalte ich mich mit der Natur, so gibt sie,
wahr und unverstellt, das ganze Wesen jedes Dinges, davon sie
redet, anschaulich, unerschöpflich und redet mit mir die Sprache
meines Geistes. - Schopenhauer
Gespräch (3)
Mit
einem lustigern Mann,
Der zudem weiß, wie weit er's treiben
darf,
Hab ich noch nie die Stunden weggeplauscht.
Sein
Auge schafft ihm immer neuen Witz;
Denn
jeglich Ding, kaum daß er es erblickt,
Verwandelt er sogleich
in heitern Scherz,
Den die gewandte
Zunge, seines Scharfsinns
Auslegerin,
so fein und artig formt,
Daß selbst das Alter seiner Rede
horcht:
So hold und leicht beschwingt ist sein Gespräch.
- Shakespeare, nach (
johns
)
Gespräch (4) Wir redeten
von der Kunst des Gesprächs, und Johnson sagte: «In erster
Linie braucht es Kenntnisse, das heißt ausreichenden Gesprächsstoff,
dann Sprachbeherrschung, drittens ein gewisses Ahnungsvermögen,
um die Dinge in einen Zusammenhang
zu rücken, in welchem sie sonst nicht gesehen werden, und viertens
braucht es Geistesgegenwart, den festen Willen, sich durch Rückschläge
nicht außer Gefecht setzen zu lassen. Dies ist ein wesentliches
Erfordernis; viele, denen diese Schlagfertigkeit abgeht, ziehen
nur deshalb im Gespräch den kürzeren. Mir zum Beispiel geht sie
ab, ich werfe gleich das ganze Spiel hin,
wenn ich einen Stich verliere.» Ich wunderte mich, ihn so von
sich selber reden zu hören. «Mir scheint», sagte ich, «Sie schlagen
eher den andern die Karten aus der Hand.» Er schien die Bemerkung
nicht zu achten. -
(
johns
)
Gespräch (5)
- Johannes Grützke, nach (
rol
)
Gespräch (6) Es gibt Unterhaltungen,
bei denen es in Anbetracht ihres Inhalts scheinen könnte, alles sei gesagt,
nichts sei ausgelassen worden, was bei der betreffenden Gelegenheit gesagt werden
mußte und sollte. Dennoch geschieht es häufig, daß eine solche Unterhaltung
einen unbefriedigt läßt: gierig nach Austausch, hat man mit aller Aufrichtigkeit
und aller Klugheit, derer man fähig war, gesprochen, während der Gesprächspartner
seinerseits ebensoviel Klugheit und Aufrichtigkeit an den Tag legte, wie sie
die eigenen Beiträge auszeichneten; dennoch ist nichts passiert, nichts ist
herübergekommen, man selber und vermutlich auch der andere blieben jeweils bei
sich selbst, sogar wenn beide Seiten völlige Übereinstimmung festgestellt oder
erreicht haben. Woran hat es also gemangelt, daß der Funke nicht übersprang
und die beiden Pole verband? Vielleicht ist es der Ton, der Akzent, die Modulation,
die kleine Geste oder das fast unmerkliche Mienenspiel, kurzum ein unwägbares
Moment, das aber schwerer wiegt als der Inhalt des Diskurses, das selbst noch
bei der banalsten Unterhaltung ein Einverständnis spüren lassen kann... Die
Kommunikation ist kein Tauschhandel (keine Angelegenheit von Gabe und Gegengabe
oder des do ut des), sondern eine Situation, in der man sich in der gleichen
Schwingung befindet und gegenseitig aufeinander - auch wenn es nicht um eine
gewichtige Diskussion oder eine denkwürdige Mitteilung geht - eine intime Resonanz
ausübt. - (
leiris2
)
Gespräch (7)
»Herab, du Räuber«, rief Rinald dem
Heiden »Das lügst du wohl, daß ich ein Räuber wäre«, Wie manchesmal ein Paar beißsücht'ge Bracken, |
- (
rol
)
Gespräch (8) Er sagte, daß das
Lernen durch Gespräche nicht nur unnütz, sondern eine
Dummheit sei, weil das Lernen die schwierigste Aufgabe sei, der sich ein Mann
zuwenden könne. -
Carlos Castaneda, Die Lehren des Don Juan. Ein Yaqui-Weg des Wissens. Frankfurt
am Main 1980
Gespräch (9) Das Gespräch ist nur
ein Vorwand für andere, subtilere Formen der Kommunikation. Wenn diese sich
nicht herstellen lassen, stirbt das Gespräch. Wenn zwei Menschen die Absicht
haben, miteinander in Verbindung zu treten, macht es nicht das geringste aus,
wie verwirrend das Gespräch wird. Leuten, die auf Klarheit und Logik bestehen,
gelingt es oft nicht, sich einander verständlich zu machen. Sie suchen immer
nach einem vollkommeneren Weg der Übermittlung, getäuscht von der Annahme, der
Geist sei das einzige Instrument für den Austausch von Gedanken. Wenn man wirklich
zu reden beginnt, liefert man sich aus. Worte werden unbekümmert hingeworfen,
nicht gezählt wie Pennies. Man kümmert sich nicht um grammatikalische oder faktische
Fehler, Widersprüche, Lügen und so weiter. Man spricht. Wenn man mit jemandem
spricht, der zuzuhören versteht, begreift er vollkommen, auch wenn die Worte
keinen Sinn ergeben. Wenn diese Art von Gespräch geführt wird, findet so etwas
wie eine Vermählung statt, ganz gleich, ob man zu einem Mann oder einer Frau
spricht. Männer, die mit anderen Männern sprechen, haben diese An der Vermählung
ebenso nötig wie Frauen, die mit Frauen sprechen. Ehepaare erfreuen sich aus
nur zu offensichtlichen Gründen selten dieser Art von Gespräch. - Henry Miller, Sexus. Reinbek bei Hamburg 1980 (zuerst 1947)
Gespräch (10)
- "Moebius"
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