Sattheit  »Nach dem Braten ist der Mensch gewöhnlich satt und fällt in den Zustand einer süßen Erschlaffung«, fuhr der Sekretär fort. »In diesem Zustand geht es dem Körper gut, die Seele aber ist ordentlich gerührt. Zur Versüßung kann man dann drei Gläschen Kräuterlikör zu sich nehmen.«

Der Vorsitzende räusperte sich und strich das Blatt durch.

»Das ist das sechste Blatt, das ich verschmiert habe«, sagte er grimmig. »Es ist geradezu gewissenlos von Ihnen!«

»Schreiben Sie nur, schreiben Sie, mein Wohltäter!« lispelte der Sekretär. »Ich will's nicht wieder tun! Ganz still werde ich sein. Wahr und wahrhaftig, Stepan Franzytsch«, fuhr er kaum hörbar fort, »der zu Hause bereitete Kräuterlikör ist besser als jeder Sekt. Bereits nach dem ersten Gläschen beherrscht sein Duft Ihre ganze Seele, ein Traumbild steigt vor Ihnen auf, und es will Ihnen scheinen, daß Sie nicht zu Hause in Ihrem Lehnstuhl sitzen, sondern irgendwo in Australien auf dem weichsten Straußgefieder ruhen ...«

»Ach, lassen Sie uns doch endlich gehen, Pjotr Nikolajewitsch!« sagte der Staatsanwalt, ungeduldig mit dem Fuß wippend.

»Tja«, fuhr der Sekretär fort, »und während Sie dann den Kräuterlikör trinken, tut es wohl, eine Zigarre zu rauchen und Rauchringe zu blasen; in diesen Augenblicken kommen Ihnen die schönsten Träume in den Sinn. Sie kommen sich vor wie der Generalfeldmarschall, oder Sie meinen mit der allerschönsten Frau der Welt verheiratet zu sein, ja Sie bilden sich ein, diese schöne Frau schwimme den ganzen lieben langen Tag vor Ihrem Fenster in einem Bassin voller Goldfische. Sie schwimmt, Sie aber sprechen zu ihr: ›Komm, mein Seelchen, und küsse mich!‹«

»Pjotr Nikolajewitsch!« stöhnte der Gehilfe des Staatsanwalts.

»Tja«, fuhr der Sekretär fort, »und wenn Sie dann geraucht haben, schürzen Sie schnell Ihren Schlafrock, und eins, zwei, drei ins Bettchen! Legen Sie sich auf den Rücken, mit dem Bäuchlein nach oben, und nehmen Sie die Zeitung in die Hand. Wenn einem die Augen zufallen und die Schläfrigkeit bereits den ganzen Körper festhält, ist es angenehm, von Politik zu lesen: daß Österreich wieder einmal etwas vorbeigelungen ist oder daß Frankreich sich mit jemandem in die Haare geraten ist oder daß der römische Papst etwas anderes macht als die anderen - man liest's und ist befriedigt.«  - (tsch)

 

Sättigung

 

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