Wandlung   Zum Brotbacken gehören zwei bis drei geheimnisvolle und fast sakrale Dinge. Das erste Geheimnis besteht im Anrühren des Sauerteiges; der ruht im Backtrog, während sich in ihm eine verborgene Wandlung vollzieht: man muß warten, bis sich aus Wasser und Mehl ein lebendiger Gärteig bildet. Dann wird dieser Gärteig mit dem anderen Teig vermengt, das ähnelt beinahe einem religiösen Tanz. Dann wird das Ganze zugedeckt und der Teig zum Gären gebracht; es ist die zweite geheimnisvolle Wandlung, die sich vollzieht, wenn dieser Teig sich majestätisch wölbt und geht und man das Tuch nicht heben darf, um neugierig nachzusehen - ich versichere Ihnen, es ist genauso etwas Erhabenes und Wunderbares wie die Schwangerschaft. Ich hatte dabei stets das Gefühl, daß der Backtrog etwas Weibliches sei. Und das dritte Geheimnis besteht im Backen selbst, in dem, was sich mit diesem bleichen und weichen Teig im Backofen vollzieht; mein Gott, wenn dann so ein goldbrauner und knuspriger Brotlaib den Backofen verläßt, duftend, daß selbst ein kleines Kind nicht besser duften kann, das ist solch ein Wunder, daß man eigentlich zu den drei Verwandlungen in der Bäckerei läuten müßte, wie man bei der Wandlung in einer Kirche läutet. - Karel Čapek, Der gestohlene Kaktus. Frankfurt am Main 1969 (zuerst ca. 1930)

Wandlung (2)

lunds wandlungen
bis zum letzten atemzug anagrammiert.
(hold-up & kreuzigung)

W A N D L U N G E N
"W U N G",L A N D E N!
L U N D G E W A N N
N U N L A N D W E G.

L U G E N D, W A N N
W U N D A N G E L N
G E N W A L D N U N
"G U N"-W A N D E L N.

W A L D N U N E N G;
L E G N U N W A N D,
W E N N L A D U N G
G U L D W A H N E N,

W A N N G E L D N U,
W A N N G U L D E N
G E W A N N L U N D.
+

N U N D E N W A L G

     G

     N

W U N D N A G E L N

     L

     U

     D

     N

     N

     E

     W

D A N G E L-W U N N
W U N G E L-D A N N
+

- André Thomkins

Wandlung (3) Astafali erzählt, daß man bei Sonnenuntergang manche alten Männer unterwegs sieht, die im Schmutz Purzelbäume schlagen, sich mit Kot besudeln, Schafshäute tragen und erbärmlich blöken. Andere, die lächerliche Kuhhörner am Kopf haben, zeigen öffentlich ihre armseligen Genitalien vor, wobei sie lachen, als wären diese das komischste Ding der Welt. Es handelt sich um alte Männer, welche die Übungen der Wandlung verrichten, schon auf dem Weg zur Heiligkeit; und nach Monaten solcher Übungen erheben sie eine trockene Grimasse zu den Umstehenden: das Zeichen eines anderen und nunmehr unabänderlichen Geschicks. Das ist das Signal, daß sie nicht mehr gerühmt werden können, und daß ihr ganzes Leben sich endlich in eine pure Zeitverschwendung aufgelöst hat, wie es das Wesen vom Großen Atem will.  Erst jetzt kann der Mensch sicher sein, daß sein Leben nur ein irisierender Schein war, ein unnützes Schauspiel, wie es viele gibt, das von Gefühlen wimmelt, aber das so schnell verschwindet wie ein Schatten an der Wand oder der Widerschein der Sonnenstrahlen auf einer Sanddüne.    - (fata)

Wandlung (4) Was wäre eigentlich Wandlung par excellence? Vielleicht Napoleon; und plötzlich fallen einem sehr viele Namen ein, und Namen so heterogener Leben, daß man sich scheut, sie in einem Satz zusammenzubringen

Wandlung scheint auf das Kleinbürgertum bezogen, auf die kleinbürgerlichen Intellektuellen. Wandelt sich ein Arbeiter? Man sagt doch nicht, er habe sich gewandelt, wenn er Minister wird oder Generaldirektor einer VVB, da sagt man doch: .»Er ist aufgestiegen«, oder auch: »Er hat sich entwik-kelt«; »Er hat seine Möglichkeiten ausgenutzt«; »Er hat gezeigt, was in ihm steckt«, einfacher: »Er ist Minister geworden« usw. Und vom Besitzbürger sagt man ja ebensowenig, er habe sich gewandelt, wenn er seinen Besitz verliert und proletarisiert wird. Aber was dann möglicherweise hinterher mit ihm, mit seinem Bewußtsein, geschehen könnte, das würde man eine Wandlung nennen. Aber gerade das wäre viel eher ein Nachziehen, ein Sich-in-Übereinstimmung-Bringen mit einer vollzogenen Veränderung. Aber könnte nicht gerade das das Wesen einer Wandlung sein

Kann man Wandlung als Übergang in ein anderes Wertsystem (andre Werte oder auch andrer Rang der alten Werte) bestimmen, als einen Prozeß, der mit einer Standortbestimmung das alte Wertsystem abschließt und mit einer Reinigung (Selbstkritik, Bekenntnis, Sühne, Buße, Strafe, Ritual u.a.) das neue beginnt? Das würde manche merkwürdigen Phänomene im Lager erklären

Könnte man sagen: Wandlung ist jener Prozeß im individuellen Bereich, der historisch für die Gesellschaft notwendig geworden ist? Dann wäre der Wesenszug einer Wandlung die Hinwendung vom Reaktionären zum Progressiven

Der Faschismus verschmäht den Begriff der Wandlung, dies Wort riecht ihm nach Wankelmut, Nicht-Fanatismus, Lauheit, Unreinheit (Goebbels: »Der Führer hat sich nie gewandelt, er ist immer er selbst geblieben!«

Wandlung ist ein irreversibler Prozeß; die Nicht-Umkehrbarkeit gehört zu ihrem Wesen

Einer, der sich gewandelt hat, wäre also einer, der nicht mehr zurück kann, nur weiter, und wenn er zurück könnte, wäre das, was mit ihm geschehen (oder was er geleistet hat), keine Wandlung   - Franz Fühmann, Drei Tage von zweiundzwanzig: Budapest. In: F. F., Den Katzenartigen wollten wir verbrennen. München 1988 (zuerst 1973)

Wandlung (5)  Ich muss an die Geschichte von dem Pfarrer denken, der nach der Wandlung den Kelch hebt, um aus ihm zu trinken, und sieht, dass gerade eine Giftspinne hineingekrochen ist. Aber weil es jetzt nicht Wein ist, sondern das Blut des Herrn, setzt er ohne langes Überlegen den Kelch an und trinkt ihn mit der Spinne aus. Er ist bereit zu sterben, aber das Blut des Herrn macht das Gift der Spinne unschädlich und verwandelt die Spinne im Bauch des Priesters in einen wunderschönen Schmetterling, der dem Priester beim Schlusssegen aus dem Mund und nach oben zum Kruzifix flattert, wo er sich auf die Dornenkrone des Gekreuzigten setzt und von da an jeden Sonntag dort erscheint und der Messe beiwohnt.  - (raf)
 
 

Verwandlung Mysterium

 

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Abendmahl
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