ysterium  Im Jahr 19 v. Chr. empfing Kaiser Augustus eine Gesandtschaft des indischen Königs Poros, zu der auch ein Brahmane gehörte, der das Geheimnis von Eleusis kennenlernen wollte. Auf Geheiß des Augustus durfte er der Epopteia beiwohnen und dabei die heilige Flamme schauen. Danach ließ der Brahmane in Eleusis einen Scheiterhaufen errichten und sprang, nackt mit gesalbtem Leib, lachend ins Feuer, »nach dem ererbten Brauch der Inder sich unsterblich machend«. - Strabo, nach (meer)

Mysterium (2) Es war eine wundervolle Nacht, eine der Nächte, da einem große, unerklärliche Dinge durch die Seele ziehen, eher Gefühle als Gedanken, und ein Verlangen, die Arme auszubreiten, Schwingen zu entfalten, den Himmel zu umarmen, was weiß ich? Es ist einem immer, als müßte sich ganz Unbekanntes offenbaren.

Die Luft ist voller Traum, Poesie durchdringt einen, ein Glück wie nicht von dieser Welt, eine Art unendlicher Beseligung, die von den Sternen kommt, vom Monde, von dem silbrigen, wiegenden Wasser. Es sind die besten Augenblicke, die man im Leben hat. Sie lassen einen das Dasein anders sehen, verschönt, kostbar; sie sind wie eine Enthüllung dessen, was sein könnte ... oder was sein wird.

Indessen schien mein Mann ungeduldig, zurückzukehren. »Ist dir kalt?« fragte ich ihn. - »Nein.« - »Dann sieh doch nur das kleine Schiff dort in der Ferne, das wie schlafend auf dem Wasser liegt. Kann es denn irgendwo schöner sein als hier? Am liebsten würde ich bis morgen früh hier bleiben. Sag, wollen wir den Sonnenaufgang erwarten?«

Er muß geglaubt haben, ich machte mich über ihn lustig, und zog mich beinahe gewaltsam zum Hotel! Ach, wenn ich gewußt hätte! Der Ärmste.

Als wir allein waren, fühlte ich mich beklommen, schamvoll, ohne zu wissen warum, ich schwöre es Dir. Endlich gab ich ihm das Badezimmer frei und legte mich nieder.

Oh! meine Liebe, wie soll ich Dir das schildern? Kurz, es war so: Bestimmt hielt er meine völlige Unschuld für Schalk, meine völlige Schlichtheit für durchtrieben, mein gutgläubiges und törichtes Zutrauen für Taktik und beachtete keine der zarten Rücksichten, die doch nötig sind, um einer arglosen und nicht im mindesten vorbereiteten Seele derartige Mysterien erklärlich, begreifbar und annehmlich zu machen.

Und plötzlich glaubte ich, er habe den Kopf verloren. Dann fragte ich mich, von Angst gepackt, ob er mich umbringen wolle. Wenn der Schrecken einen erst einmal faßt, überlegt man nicht mehr, man denkt nicht mehr nach, man wird toll. In Sekundenschnelle stellte ich mir die entsetzlichsten Dinge vor. Ich dachte an die vermischten Nachrichten in den Zeitungen, an rätselhafte Verbrechen, an alle Flüstergeschichten über junge Mädchen, die von irgendwelchen Schurken geheiratet worden waren! Kannte ich diesen Menschen denn? Ich wehrte mich, stieß ihn zurück, vor Grausen außer mir. Ich riß ihm sogar ein Büschel Haare und den halben Schnurrbart aus, und durch diese Anstrengung freigekommen, floh ich kreischend: »Zu Hilfe!« Ich lief zur Tür, zog die Riegel zurück und stürzte fast unbekleidet hinaus in den Flur.

Andere Türen öffneten sich. Männer im Nachthemd erschienen mit Lichtern in der Hand. Ich fiel einem in die Arme und erflehte seinen Beistand. Er warf sich auf meinen Mann.

Das Weitere weiß ich nicht mehr. Es gab eine Prügelei, es wurde geschrien; dann wurde gelacht, aber gelacht, wie Du es Dir nicht vorstellen kannst. Das ganze Haus lachte vom Keller bis unters Dach. Ich hörte große Heiterkeitssalven aus den Korridoren, aus den Zimmern über uns. Die Küchenjungen lachten in den Bodenkammern, und der Türwächter bog sich auf seiner Matratze im Vestibül!

Stell Dir vor: in einem Hotel!

Danach sah ich mich wieder allein mit meinem Mann, der mir ein paar knappe Erläuterungen gab, wie man ein chemisches Experiment erklärt, bevor man es anstellt. Er war durchaus unzufrieden. Ich weinte bis zum Tage, und wir reisten ab, kaum daß die Türen aufgeschlossen waren.  - (nov)

Mysterium (3)  Es gibt eine Erzählung von einem jungen Mädchen, das bei einer Meuterei das Schiff rettet, indem sie sich auf das Pulverfaß setzt mit einer brennenden Lunte in der Hand und droht, es anzustecken, und die genau weiß, das Faß ist leer. Dies ist für mich ein hinreißendes Bild von der Frau meiner Zeit. Sie war es, die die schöne Ordnung und das Gleichgewicht der Zeit aufrechterhielt, indem sie auf dem Mysterium des Lebens sitzen blieb, wohl wissend, daß es kein Mysterium gab.  - (blix)

Mysterium (4)  Als ein rüstiger Rentner von ihm verlangte, er möge sich über das Geld äußern, zögerte Z. Alle redeten zwar immerzu davon, aber niemand wisse genau zu sagen, was es eigentlich sei. Sogar ein früherer Präsident der Bundesbank solle einmal gestanden haben, daß das Mysterium der Geldschöpfung sich ihm nicht erschließe. Auch könne im übrigen niemand sagen, wieviel von diesem Phantom es überhaupt gebe. Dazu müßte man sich über die Geldmenge einig werden, er jedenfalls finde sich da nicht zurecht. Anscheinend habe man zwischen M(0), M(1) , M(2) und M(3), zwischen schwarzem und weißem, zwischen Zentralbank-, Giral-, Fiat- und Kreditgeld zu unterscheiden. Zu berücksichtigen wären außerdem die Sicht- und Termineinlagen bei Banken und bei Nichtbanken, mit oder ohne Kündigungsfrist, Pensionsansprüche, Geldmarktpapiere, Geldfonds an teile, Zertifikate, Target- Guthaben und Repoverbindlichkeiten. Das sei, wie die Ökonomen uns zu versichern nicht müde würden, eine Wissenschaft für sich.

Auch die Frage, ob man es anfassen könne, sei schwer zu beantworten. Sein Aggregatzustand wechsle von einem Moment zum andern. Früher sei es offenbar fest gewesen und habe aus Muscheln, Kühen oder Metall bestanden; dann aus Papier; später dachte, wer liquide war, es sei flüssig; den Opfern der Inflation erschien es in Gestalt gasförmiger Blasen. Heute existiere es meist nur noch gänzlich körperlos und quasi vergeistigt als eine Folge von elektronischen Ziffern. Fest stehe bloß, daß wir alle mehr oder weniger daran glauben müßten. Wir hingen also von einer Fiktion ab, vor der Grimms Märchen verblassen. Mehr falle ihm dazu beim besten Willen nicht ein.

Mit dieser Auskunft gab sich der energische Rentner nicht zufrieden. Z. sei nicht auf den Unterschied zwischen dem eigenen und dem fremden Geld eingegangen. Darüber würde er gern mehr erfahren. Das der ändern, gab Z. zur Antwort, störe ihn nicht. Persönlich ziehe er Bares vor. Man könne es in die Tasche stecken; es sei zwar schmutzig, aber diskret; man sehe ihm sofort an, ob es für den Moment ausreiche; außerdem falle es einem schon deshalb nicht zur Last, weil es ganz von selbst verschwinde. Geld sei wie Mist, es tauge nur, wenn man es verteile. Das habe schon Francis Bacon vor vierhundert Jahren gewußt.

Der Fragesteller ließ sich davon nicht überzeugen und ging nach Hause.  - Hans Magnus Enzensberger, Herrn Zetts Betrachtungen oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern. Berlin 2014

Mysterium (5)   Sie redeten an der Pforte, unwillig, sich zu trennen, und hielten einander - obwohl sie sich gerade gar nicht wirklich berührten - so fest umschlungen, als wären sie splitternackt, jedoch ohne das wilde, unwiderstehliche Aufbrausen der Leidenschaft. Sie waren Crows aus Norfolk, Crows aus Norwich, aus Thorpe, aus Yaxham, Thetford, Hast Dareham, Cringleford, Methwold. Ihre Liebe war reine Lust; eine gesunde, erdige, lehmige, wettergegerbte Lust, ähnlich der Liebe von Wasserratten in Alder Dykc oder der Liebe von Dachsen in Brandon Heath. Sie waren schamlos, frei von jeglichem Liebesideal. Füreinander nach demselben Urgesetz geboren, nach dem die Ptolemäer in Ägypten ihre Schwestern heirateten, ließen sie sich auf ihre schicksalhafte Monogamie ein, als wäre es der beiläufigste sinnliche Reiz.

Und im atmosphärischen Äther um diese beiden, wie sie dort standen, schwirrte das uralte Mysterium von Glastonbury. Christen hatten einen Namen für diese Macht, die früheren heidnischen Ortsbewohner hatten einen anderen, gänzlich verschiedenen dafür. Jeder, der an diesen Ort kam, schien irgend etwas daraus zu gewinnen, von einer unwiderstehlichen Kraft angezogen, der niemand widerstehen konnte; doch indem verschiedene Menschen mit ihm in Berührung kamen, änderten sie durch ihre eigene Persönlichkeit dessen innere Zusammensetzung, wenn auch nicht seine Grundsubstanz, so daß es auf keinen die gleiche seelische Wirkung ausübte. Dieser Einfluß war persönlich und doch unpersönlich, er war ein stoffliches Kraftzentrum und doch ein stoffloser Lebensquell. Das Mysterium hatte einen Ursprung sui generis im Wesen des Gut-Bösen Urgrunds, aber es war nach und nach zu einer immer eigenständigeren Wesenheit geworden, als die Jahrhunderte über es hinwegrollten. Das war zweifellos aufgrund der schöpferischen Energien so gekommen, die aus den verschiedenen Kulten in es hineinströmten und wiederum ihren Lebenssaft bewußt oder unbewußt aus seinem windgebeutelten, spinnwebzarten Wirbel sogen. Dieses Mysterium mit den vielen Namen, älter als die Christenheit, älter als die Druiden, älter als die Götter der nordischen oder römischen Völker, älter als die Götter der Steinzeitmenschen, war von Generation zu Generation auf drei psychischen Wegen überliefert worden: auf dem volkstümlichen Ansehens, auf dem poetischer Inspiration und auf dem individueller Erfahrung.    - (cowp)

Geheimnis Wunder Unerklärliches
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