ebung
In Europa haben sie eine Schule von achtzehn Jahrhunderten
durchgemacht, wie sie hier kein andres Volk aufweisen kann, und zwar so, daß
nicht eben der Gemeinschaft, aber um so mehr den einzelnen die Erfahrungen dieser
entsetzlichen Übungszeit zugute gekommen sind. Infolge davon sind die seelischen
und geistigen Hilfsquellen bei den jetzigen Juden außerordentlich; sie greifen
in der Not am seltensten von allen, die Europa bewohnen, zum Becher oder zum
Selbstmord, um einer tiefen Verlegenheit zu entgehen, — was dem geringer Begabten
so nahe liegt. Jeder Jude hat in der Geschichte seiner Väter und Großväter eine
Fundgrube von Beispielen kältester Besonnenheit und Beharrlichkeit in furchtbaren
Lagen, von feinster Überlistung und Ausnützung des Unglücks und des Zufalls;
ihre Tapferkeit unter dem Deckmantel erbärmlicher Unterwerfung, ihr Heroismus
im spernere se sperni übertrifft die Tugenden aller Heiligen. Man hat sie verächtlich
machen wollen, dadurch, daß man sie zwei Jahrtausende lang verächtlich behandelte
und ihnen den Zugang zu allen Ehren, zu allem Ehrbaren verwehrte, dafür sie
um so tiefer in die schmutzigeren Gewerbe hineinstieß, — und wahrhaftig, sie
sind unter dieser Prozedur nicht reinlicher geworden. Aber verächtlich? Sie
haben selber nie aufgehört, sich zu den höchsten Dingen berufen zu glauben,
und ebenso haben die Tugenden aller Leidenden nie aufgehört, sie zu schmücken.
Die Art, wie sie ihre Väter und ihre Kinder ehren, die Vernunft ihrer Ehen und
Ehesitten zeichnet sie unter allen Europäern aus. Zu alledem verstanden sie
es, ein Gefühl der Macht und der ewigen Rache sich aus eben den Gewerben zu schaffen,
welche man ihnen überließ (oder denen man sie überließ); man muß es zur Entschuldigung
selbst ihres Wuchers sagen, daß sie ohne diese gelegentliche angenehme
und nützliche Folterung ihrer Verächter es schwerlich ausgehalten hätten, sich
so lange selbst zu achten. Denn unsere Achtung vor uns selber ist daran gebunden,
daß wir Widervergeltung im Guten und Schlimmen üben können. Dabei reißt sie
ihre Rache nicht leicht zu weit: denn sie haben alle die Freisinnigkeit, auch
die der Seele, zu welcher der häufige Wechsel des Ortes, des Klimas, der Sitten
von Nachbarn und Unterdrückern den Menschen erzieht, sie besitzen die bei weitem
größte Erfahrung in allem menschlichen Verkehre und üben selbst in der Leidenschaft
noch die Vorsicht dieser Erfahrung. Ihrer geistigen Geschmeidigkeit und Gewitztheit
sind sie so sicher, daß sie nie, selbst in der bittersten Lage nicht, nötig
haben, mit der physischen Kraft, als grobe Arbeiter, Lastträger, Ackerbausklaven
ihr Brot zu erwerben. Ihren Manieren merkt man noch an, daß man ihnen niemals
ritterlich vornehme Empfindungen in die Seele und schöne Warfen um den Leib
gegeben hat: etwas Zudringliches wechselt mit einer
oft zärtlichen, fast stets peinlichen Unterwürfigkeit.
Aber jetzt, da sie unvermeidlich von Jahr zu Jahr mehr sich mit dem besten Adel
Europas verschwägern, werden sie bald eine gute Erbschaft von Manieren des Geistes
und Leibes gemacht haben: so daß sie in hundert Jahren schon vornehm genug dreinschauen
werden, um als Herren bei den ihnen Unterworfenen nicht Scham zu erregen.
- (
mo
)
Übung (2) Am meisten ist die Güte durch
die lange Verstellung, welche Güte
zu scheinen suchte, entwickelt worden: überall, wo große Macht bestand, wurde
die Notwendigkeit gerade dieser Art von Verstellung eingesehen — sie flößt Sicherheit
und Vertrauen ein und verhundertfacht die wirkliche Summe der physischen Macht.
Die Lüge ist, wenn nicht die Mutter, so doch die Amme
der Güte. Die Ehrlichkeit ist ebenfalls am meisten
durch die Anforderung eines Anscheins der Ehrlichkeit und Biederkeit großgezogen
worden: in den erblichen Aristokratien. Aus der dauernden
Übung einer Verstellung entsteht zuletzt Natur: die Verstellung hebt
sich am Ende selber auf, und Organe und Instinkte sind die kaum erwarteten Früchte
im Garten der Heuchelei. - (
mo
)
Übung (3) Eines Tages begannen die Söhne von Rangi
und Papa darüber nachzudenken, wie das Ira Tangata, das menschliche Leben, geschaffen
werden könne.
Da sie alle männlichen Geschlechts waren, beschlossen sie, m der Natur nach
Uha, dem weiblichen Element zu suchen, um das männliche mit dem weiblichen Element
zu verbinden und so menschliches Leben zu schaffen. Tane leitete die Suche nach
Uha, und bei seiner Suche übte er sich in der Zeugung.
So tat er sich zum Beispiel mit Hine-waoriki zusammen, dem Mädchen des Niederwaldes,
und die gebar alsbald Zwillinge, den Kahika-Baum und den Matai.
Dann tat er sich mit Mumuhanga zusammen, und die gebar den Totara.
Und so ging es weiter, bis neun verschiedene Baumarten entstanden waren und
das Farnkraut.
Seine Verbindung mit Punga schuf Insekten und Ungeziefer, die Verbindung
mit Parauri den Tui.
Viele andere Vogelarten entstanden in der Folge, ja selbst Parawhenuamea,
das Wasser, entstand, nachdem Tane Hine-tuparimaunga, dem Mädchen des Berges
beigewohnt hatte. Die Nachkommen aus dieser Verbindung zeugten andere Nachkommen,
und Tane wurde der Großvater der Taniwhas, Eidechsen, Felsklippen und des Gesteins,
des Sandsteins, der Steine, des Kieses und des Sandes.
Noch immer aber hatte er nicht das weibliche Element gefunden. - Märchen aus Neuseeland. Überlieferungen
der Maori. Hg. und Übs. Erika Jakubassa. Köln 1985 (Diederichs, Die Märchen der Weltliteratur)