nterwürfigkeit Jeder Europäer, der Indien bereist, sieht sich - ob er will oder nicht - von einer beachtlichen Anzahl Dienstboten umringt, die man hier bearers nennt. Ist es das Kastensystem, eine traditionelle soziale Ungleichheit, oder sind es die Bedürfnisse der Kolonialherren, durch die sich ihr gieriger Diensteifer erklären läßt? Ich weiß es nicht. Jedenfalls verpestet ihre Unterwürfigkeit sehr schnell die Luft. Sie würden sich platt auf den Boden legen, um es dir zu ersparen, auch nur einen Schritt auf dem Fußboden zu gehen; zehnmal am Tag empfehlen sie dir, ein Bad zu nehmen: wenn du dich schneuzt, wenn du eine Frucht ißt, wenn du dir einen Finger schmutzig machst . . . Dauernd streichen sie um dich herum und lauern auf einen Befehl. Es liegt etwas Erotisches in dieser bangen Unterwerfung. Und wenn dein Verhalten ihrer Erwartung nicht entspricht, wenn du dich nicht bei jeder Gelegenheit so verhältst wie ihre ehemaligen englischen Herren, dann bricht ihre Welt zusammen: Kein Pudding? Das Bad nach dem Essen statt vorher? Es gibt keinen lieben Gott mehr . . . Bestürzung spiegelt sich auf ihren Gesichtern, und schnell trete ich den Rückzug an, verzichte auf meine Gewohnheiten. Ich werde eine steinharte Birne, einen schleimigen Brei essen, da ich die moralische Rettung eines menschlichen Wesens mit dem Verzicht auf eine Ananas bezahlen muß. - (str2)

Unterwürfigkeit (2) Sehr geehrter Herr Rowohlt!

Hier lege ich die kleine Prosa vor, die Sie zu sehen wünschten; sie ergibt wohl schon ein kleines Buch. Während ich sie für diesen Zweck zusammenstellte, hatte ich manchmal die Wahl zwischen der Beruhigung meines Verantwortungsgefühls und der Gier, unter Ihren schönen Büchern auch ein Buch zu haben. Gewiß habe ich mich nicht immer ganz rein entschieden. Jetzt aber wäre ich natürlich glücklich, wenn Ihnen die Sachen auch nur so weit gefielen, daß Sie sie druckten. Schließlich ist auch bei größter Übung und größtem Verständnis das Schlechte in den Sachen nicht auf den ersten Blick zu sehn. Die verbreitetste Individualität der Schriftsteller besteht ja darin, daß jeder auf ganz besondere Weise sein Schlechtes verdeckt.

Ihr ergebener

- Franz Kafka, Tagebücher (14. August 1912) Frankfurt am Main 1967

Unterwürfigkeit (3)  Wenn er durch das Tor des Palastes trat, schien er sich zu bücken, als gewähre es ihm nicht den Eintritt.

Niemals blieb er in der Mitte des Palasttors stehen, noch trat er jemals auf die Torschwelle.

Kam er in der Nähe des Thrones vorbei, nahm sein Antlitz eine feierliche Miene an, sein Schritt schien behutsamer zu werden, und er verstummte, als fände er keine Worte mehr.

Stieg er empor zur Thronhalle, so hielt er den Saum seines Gewandes hoch und näherte sich in ehrfürchtig gebückter Haltung, den Mund verschlossen, als wagte er nicht zu atmen.

Wenn er nach dem Verlassen der Audienzhalle die erste Stufe hinabgestiegen war, lösten sich seine Züge als wäre er der Sorgen enthoben und frohgelaunt. Hatte er die unterste Stufe erreicht, beschleunigte er den Schritt, und mit sich bauschenden Ärmeln, ähnlich dem Flügelschlag eines Vogels, kehrte er zu seinem Platz zurück, wobei seine Miene wieder den Ausdruck ehrfurchtsvoller Befangenheit und strenger Würde annahm. - (kung)

Unterwürfigkeit (4)  Die Sultansüchtige leidet unter dem Verschwinden der Harems. Das waren noch Männer, die von Frauen etwas verstanden, die sich mit ewig derselben nicht zufriedengaben. Die trauten sich etwas zu, die hatten Feuer im Blut, die sperrten sich nicht ab für ihren Beruf, die waren nicht von ihrem Erwerbstrieb ganz besessen. Man sehe sich doch diese Herren an, die müde von ihrem Geschäft in ihre Einehe nach Hause kehren. Diese Gleichgültigkeit! Diese Langeweile! Diese erbärmliche leere Ruhe! Es ist, als ob Frauen gar nichts wären, Köchinnen oder Mütter. Jede Dienerin, jede Pflegerin könnte an ihre Stelle treten. Was Wunder, daß Frauen denaturieren und gar nicht mehr wissen, wozu sie da sind. Manche entblöden sich nicht, in die Arbeit zu gehen und selbst so zu leben wie ihre Männer: Geschäfte zu machen, fühllos und wichtig und kalt zu werden, abends ebenso müde nach Hause zu kommen; so auszusehen wie ein Mann, seine Hosen zu tragen, seine Sprache zu reden und sich damit zufrieden zu geben, daß sie sich gegen Männer draußen statt gegen Frauen zu Hause zu behaupten haben. - (can)

Unterwürfigkeit (5)   Des Priesters Messer wühlte tief in seinem Gewissen, und er fühlte jetzt, daß seine Seele verdorben war durch die Sünde. Ja, der Prediger hatte recht. Gott war jetzt an der Reihe. Wie ein Tier in seiner Höhle hatte sich seine Seele in ihrem eigenen Schmutz gewälzt, aber die Stöße aus des Engels Trompete hatten ihn herausgetrieben aus der Dunkelheit der Sünde in das Licht. Die Worte des Urteils, die der Engel rief, zerschmetterten in einem Augenblick seine eingebildeten Freuden. Der Sturm des Jüngsten Tages fuhr durch seinen Geist; seine Sünden, die Huren mit den glänzenden Augen, die seine Phantasie bevölkerten, flohen vor dem Sturm, quiekten wie Mäuse in ihrer Angst und versteckten sich unter ihrer Mähne. Als er auf dem Nachhausewege den Platz überquerte, traf leichtes Mädchenlachen sein brennendes Ohr. Der schwache, heitere Laut traf sein Herz stärker als ein Trompetenstoß. Er wagte es nicht, die Augen zu heben, wandte sich zur Seite und sah, während er weiterging, in das Dunkel der wirren Sträucher. Scham stieg auf aus seinem getroffenen Herzen, füllte ihn ganz. Emmas Bild stand vor ihm, und unter ihrem Blick schoß die Flut der Scham wieder auf aus seinem Herzen. Wenn er wüßte, wem sein Geist sie unterworfen oder wie seine tierische Lust ihre Unschuld zerrissen und zertreten hatte. War das Knabenliebe? War das Ritterlichkeit? War das Poesie? Er roch förmlich den ganzen Schmutz seiner Orgien. Das rußige Bündel Bilder, das er in der Kaminröhre versteckt hatte, deren schamlose, gemeine Lüsternheit er stundenlang betrachtet, wobei er in Gedanken und durch die Tat sündigte, seine ungeheuerlichen Träume, die affengleiche Geschöpfe und Huren mit glühenden Augen bevölkerten; die gemeinen, langen Briefe, die er in der Freude verbrecherischer Beichte schrieb und heimlich tagelang mit sich herumtrug, um sie dann endlich unter dem Schütze der Nacht in das Gras an der Ecke eines Feldes, unter eine zerfallene Tür oder in eine Nische in den Hecken zu werfen, wo vielleicht später ein Mädchen sie fand, wenn sie vorbeiging, und sie heimlich las. - James Joyce, Jugendbildnis des Dichters. Frankfurt am Main 1967 (zuerst 1916)

Unterwürfigkeit (6)   Selbst in Amerika, dem Land der uneingeschränkten Frauenverehrung, wird ein wirklich unterwürfiger Mann durchaus nicht geschätzt. Was vom männlichen Ideal gefordert wird, ist, daß sich der Gatte trotz gewaltiger geistiger und körperlicher Überlegenheit nach rituell geregelten Gesetzen den kleinsten Launen seines Weibchens unterwirft. Bezeichnenderweise gibt es einen dem tierischen Verhalten abgelauschten Ausdruck für den verächtlichen, wirklich unterwürfigen Mann. Man nennt ihn »hen-pecked«, von der Henne gehackt, ein Gleichnis, das sehr hübsch die Abnormalität männlicher Unterwürfigkeit illustriert, denn ein wirklicher Hahn läßt sich von keiner Henne hacken, auch von seiner Favoritin nicht. Hähnen fehlt übrigens jegliche Hemmung, Hennen zu verprügeln. - Konrad Lorenz, Das sogenannte Böse. Zur Naturgeschichte der Aggression. München 1974 (zuerst 1963)

Unterwürfigkeit (7)

- Bruno Schulz (1920)

Unterwürfigkeit (8) An diesem Abend dominierte er mich ausgiebig. Er enculierte mich, gab mir rasende baffes, spuckte auf die glühenden Wangen, warf mich zu Boden, trampelte über mich, drückte sein ganzes Gewicht auf mich, schlug meine fesses mit dem Strick, forderte eine feuille de rose, steckte sein Glied in meinen Mund und entlud sich über meinem Gesicht. Er warf mich aufs Bett zurück und befahl »Ecarte bien tes cuisses«, und das brauchte er mir nicht zweimal zu sagen. Ich war so erregt, kaum hatte er mich dort, dort berührt, wo die Erlösung wohnt, überwältigte mich mein Vergnügen. Wie wohl fühlte ich mich in seinen tröstenden Armen.  - Dagmar Federke, Die Geschichte mit A. Nach: Carolin Fischer, Gärten der Lust. Eine Geschichte erregender Lektüren. München 2000 (dtv 30768, zuerst 1997)

Unterwürfigkeit (9)  Hassan umarmte ihre Knie, und wand sich zu ihren Füßen. Meine Wohlthäterinn, meine Gebieterinn, sagte er mit einem demüthig bittenden Ton, wie kann ich wieder umkehren, nachdem ich einmal so weit vorgedrungen bin? Wie kann ich den Rückweg antreten, ohne diejenige gesehen zu haben, derentwegen ich so weit hieher gekommen bin? Und vielleicht ist es gerade der Wille des Schicksals, daß ich sie wiederfinde, nachdem ich so viele Qualen erduldet habe. Zu diesen Bitten, die von Thränen begleitet wurden, fügte er noch einige Verse, die ihm die Leidenschaft eingab, von der er jezt hin und hergetrieben wurde. Kurz, er sagte so schöne Sachen, daß die alte Generalinn — man weiß nicht, ob durch seine Prosa oder seine Verse — von Grund des Herzens gerührt ihm versprach, alles zu versuchen, um ihn an das Ziel seiner Wünsche zu bringen. Hassan fühlte sich durch dieses Versprechen getröstet, und verplauderte den übrigen Theil des Tages mit der Mutter der Häßlichkeit.  - (101)

Unterwürfigkeit (10)

- Bruno Schulz

Unterwürfigkeit (11) Wer, um zu bestehen, auf die Willenlosigkeit Anderer rechnen muß, der ist ein Machwerk dieser Anderen, wie der Herr ein Machwerk des Dieners ist. Hörte die Unterwürfigkeit auf,-so war's um die Herrschaft geschehen.  - Max Stirner, Der Einzige und sein Eigentum. - Nach:  Max Stirner, Der Einzige und sein Eigentum nd andere Schriften. Hg. H G Helms. München 1968
 

Feigheit Macht Schwäche

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