-Bahn  Er war fett und schwarz; seine roten Lippen hoben sich scharf von dem bläulichen Zahnfleisch ab und wirkten in dem runden, gedunsenen, schweißtriefenden Gesicht wie frisch gehäutet. Sein schwammiger Wanst war in ein rotgemustertes, am Hals offenstehendes Sporthemd gezwängt, das unter den Armen durchgeschwitzt war. Die kurzen Ärmel ließen enorme, von glänzender schwarzer Haut umhüllte Bizepsmuskeln frei; die Beine jedoch waren so mager, daß der Mann deformiert zu sein schien. Sie steckten in einer schwarzen Hose, die prall saß wie eine Wurstpelle und in der Leistenbeuge scheuerte. Ihm war offensichtlich weder in seiner Haut wohl noch in seiner Hose. Er sah aus, als könne er sich nicht entscheiden, auf wen er wütend sein sollte — auf die mutterschänderische Hitze, auf die mutterschänderische Hose oder auf seine mutterschänderischen weißen Arbeitgeber.

Ein großer, breiter Weißer mit klobigem Gesicht, der aussah, als ob er seit seiner Geburt einen Zwanzig-Tonnen-Lastwagen gefahren hätte, saß auf der anderen Gangseite. Er blickte angewidert auf den fetten Schwarzen. Fat Sam fing den Blick auf und zuckte zurück, als hätte der Mann ihn geohrfeigt. Als er sich schnell nach einem Blitzableiter für die Wut des Weißen umsah, entdeckte er den Blinden, der mit dem Gesicht zu ihm auf dem ersten Sitz jenseits der Tür saß. Der Blinde saß teilnahmslos da, starrte Fat Sam an, ohne ihn zu sehen, und schnitt ein bitterböses Gesicht. Aber wie alle Farbigen haßte es Fat Sam, angestarrt zu werden, und dieser Mutterschänder dort glotzte ihn auf eine Weise an, die ihm das Blut zum Sieden brachte.

«Was glotzte denn so, du Mutterschänder?» schrie er kampflustig.

Der Blinde konnte nicht wissen, daß Fat Sam zu ihm sprach; er wußte bloß, daß der Mutterschänder mit der großen Klappe, der gerade so blöde Selbstgespräche geführt hatte, nun auch noch Streit mit einem anderen Kerl suchte, bloß weil der zu ihm hinschaute. Aber irgendwie konnte er verstehen, daß der Mutterschänder so böse war. Hatte bestimmt so'n weißen Mutterschänder mit seiner Alten erwischt... Soller doch besser achtgeben, der Armleuchter, dachte er mitleidlos; wenn sie so 'ne Nutte is, musser halt aufpassen ... Zumindest sollte er seine schmutzige Wäsche nicht vor allen Leuten waschen. Unwillkürlich machte er eine Handbewegung zum Boden hin und murmelte: «Quatsch doch nich so viel, Mann!»

Die Geste traf Fat Sam wie der Strahl aus einem Schweißbrenner, und er stieg mit seinen beiden schwarzen Füßen drauf ein, wie sie in Harlem sagen. Der Mutterschänder winkt ab, als wenn 'ch 'n Hund wär, dachte er bitter. Fehlt bloß noch, dasser Kusch macht... un das vor all die beschissenen Weißen... Das versteckte Lächeln der Weißen erboste ihn mehr als die Geste des Blinden — das heißt, daß der alte Mann blind war, hatte er noch gar nicht bemerkt. Die blöden Weißen traten ihm sowieso von allen Seiten in den Arsch, und jetzt sagte sein eigener Seelenbruder ihm auch: Halt den Arsch still, damit die Weißen besser hintreten können — sinngemäß wenigstens...

«Wenn‘s dir nich paßt, wie ich red, du Mutterschänder, dann leck mich doch am Arsch!» brüllte er dem Blinden zu. «Ich kenn euch kackbraune Onkel Toms! Ihr denkt, ich bin 'ne Blamage für die Rasse.»

Der Blinde merkte erst, daß er gemeint war, als er eine Schwester protestierend sagen hörte: «So red man nich zu 'nem alten Mann. Schämen sollste dich, wo der dir gah nix getan hat.»

Er ärgerte sich weniger über das, was Fat Sam gesagt hatte, als über diese blöde Ziege, die ihn einen alten Mann nannte. Sonst hätte er gar nicht geantwortet. Aber so...

«Mir is scheißegal, ob du 'ne Blamage für die Rasse bist oder nich! » schrie er, und da ihm nichts anderes einfiel, fügte er hinzu: «Ich will bloß meine Kohlen wieder.»

Der große weiße Mann blickte Fat Sam vorwurfsvoll an, als hätte er ihn bei dem Versuch erwischt, einen Blinden zu bestehlen.

Fat Sam fing den Blick auf, und er wurde dadurch noch wütender auf den Blinden. «Kohlen!» schrie er. «Was denn für beschissene Kohlen?»

Die weißen Fahrgäste schauten sich schuldbewußt um: Was war aus den Kohlen des alten Mannes geworden? Aber die nächsten Worte des Blinden beruhigten sie.

«Die, um die de mich beschissen hast — du un die annern Mutterschänder !»

«Ich?» rief Fat Sam im Ton gekränkter Unschuld. «Ich soll dich um deine Kohlen beschissen haben? Ich kenn dich ja gah nich, Mutterschänder!»

«Wenn du mich nich kennst, Mutterschänder, was redst du dann mit mir?»

«Ich red mit dir? Ich red überhaupt nich mit dir, du blöder Hund. Ich hab bloß gefragt, warum du mich so anglotzt — un du redst blöd daher, damit die Weißen hier glauben, ich hätt dich beschissen... »

«Weiße?» schrie der Blinde, Es hätte nicht entsetzter klingen können, wenn Fat Sam erklärt hätte, der Waggon sei voll von Schlangen. «Wo? Wo?»

«Hier, du Mutterschänder!» krähte Fat Sam triumphierend. «Um dich rum. Überall!»

Die anderen Neger im Waggon blickten weg, damit niemand auf die Idee kommen sollte, sie hätten etwas mit diesen Leuten zu tun. Die weißen Fahrgäste schauten verstohlen herüber.

Der große weiße Mann verstand etwas falsch und gewann irgendwie den Eindruck, sie redeten über ihn. Er wurde rot vor Zorn.

Jetzt geschah es, daß auch der geschniegelte, dicke, gelbhäutige Geistliche in schwarzem Mohairanzug, der neben dem großen Weißen saß, die aufkeimende Spannung zwischen den Rassen bemerkte. Vorsichtig ließ er die aufgeschlagene New York Times sinken, hinter deren Seiten er sich versteckt hatte, und spähte über den Rand der Zeitung zu den Streitenden hinüber.

«Brüder! Meine Brüder!» mahnte er. «Ihr könnt eure Meinungsverschiedenheiten doch auch ohne Anwendung von Gewalt austragen.»

«Was heißt da Gewalt?» rief der große weiße Mann. «Was diese Nigger brauchen, ist Disziplin!»

«Gib acht, Mutterschänder — gib acht!» warnte der Blinde. Ob er den dicken Schwarzen oder den großen Weißen warnen wollte, blieb unklar. Aber seine Stimme klang so einschüchternd, daß der dicke, gelbhäutige Geistliche blitzschnell wieder hinter seiner Zeitung verschwand.

Fat Sam glaubte, die Drohung des alten Mannes habe ihm gegolten. Er sprang auf. «Redste mit mir, Mutterschänder?»

Der große weiße Mann sprang auch auf und stieß ihn auf den Sitz zurück.

Als er den Tumult um sich herum vernahm, stand auch der Blinde auf; er wollte sich nicht im Sitzen überrumpeln lassen.

Der große weiße Mann erblickte ihn und brüllte: «Und du setzt dich auch wieder hin!»

Der Blinde blieb stehen, da er nicht wußte, daß der Weiße ihn gemeint hatte.

Der Weiße stürzte durch den Gang auf ihn zu und stieß ihn auf den Sitz. Der Blinde machte ein erschrockenes Gesicht. Aber es hätte vielleicht doch alles noch friedlich enden können, wenn der Weiße ihn nicht geohrfeigt hätte.

Der Blinde wußte, daß der Weiße ihn auf den Sitz gestoßen hatte, aber er dachte, die Ohrfeige stamme von seinem Seelenbruder, der die Wut des Weißen habe ausnutzen wollen. Es war plausibel.

«Was hauste mich denn, du Mutterschänder?» schimpfte er.

«Wenn du jetzt nicht das Maul hältst und dich benimmst, kriegst du noch eine», drohte der Weiße.

Jetzt wußte der Blinde, daß es der Weiße gewesen war, der ihn geohrfeigt hatte. Er erhob sich wieder, langsam und bedrohlich, und stützte sich mit dem Arm gegen die Rücklehne. «Wenn du mich noch mal schlägst, weißer Mann, dann jag ich dich in die Luft.»

Der Weiße war verblüfft, denn er hatte gleich gemerkt, daß der Alte blind war. «Willst du mir drohen, Boy?» fragte er erstaunt.

Der dicke Geistliche wollte noch immer den Friedensstifter spielen und predigte hinter seiner Zeitung hervor: «Friede, ihr lieben Leute! Gott kennt keine Farbe nich.»

«Ach nee?» höhnte der Blinde, zog eine eine Pistole unter seinem alten blaugestreiften Kittel hervor und schoß auf den weißen Mann.

Der Knall erschütterte Fensterscheiben, Trommelfelle, Vernunft und Reflexe. Der große weiße Mann schrumpfte urplötzlich zur Größe eines Zwerges, und die Luft entwich pfeifend aus seinen Lungen.

Fat Sams verschwitzte schwarze Haut wurde mit einem Schlag strohtrocken und verfärbte sich hellgrau.

Aber die Kugel, blind wie der Schütze, war in die Richtung geflogen, in die die Pistole gezielt hatte, nämlich durch die Seiten der New York Times in das Herz des dicken Geistlichen. «Uh!» grunzten Hochwürden und brauchten hinfort keine Bibel mehr.

Die Totenstille, die auf den Schuß folgte, war zwar dem Ereignis angemessen, aber unbeabsichtigt. Nach dem Knall waren alle Fahrgäste einen Augenblick lang wie versteinert gewesen. Mit dem scharfen Geruch der Pulvergase kehrte das Reaktionsvermögen zurück.

Eine Schwester sprang auf und schrie: «Ein Blinder mit einer Pistole!» — wie nur eine Negerin schreien kann, in der vierhundertjährige Erfahrung mit Gewalttätigkeiten gespeichert ist. Ihr Mund öffnete sich zu einem riesigen ovalen Loch, groß genug, daß die Pistole des Blinden drinnen hätte verschwinden können; die braunfleckigen Zähne und der weißliche Belag auf ihrer Zunge waren deutlich zu erkennen.

«Ein Blinder mit einer Pistole... BLIND... MIT EINER PISTOLE...» - Chester Himes: Blind, mit einer Pistole. Reinbek bei Hamburg 1970 (zuerst 1969)

U-Bahn (2)  »Ich habe keine Lust, Sie umzubringen!« Dann wie zu sich selbst und in einem trotz der mitschwingenden Drohung weniger aggressiven Ton: »... Nicht im Augenblick.« Darauf erwidere ich, um zum Ausdruck zu bringen, daß es mir sehr fern liegt, auf eine mögliche Aggression gefaßt zu sein, die sich gegen mich richten könnte: »Ich denke gar nicht daran«, ein Satz, auf den der andere mir ein kaltschnäuzig abschließendes »Na also« zurückgibt, das deutlich macht, daß die Sache - wenn überhaupt eine Sache strittig gewesen war - klargestellt und der Zwischenfall - wenn es sich um einen solchen handelte - beigelegt ist.

Das Ganze spielte sich in der Metro ab, in der ersten Klasse, Mein Gesprächspartner und ich saßen mit dem Rücken zueinander, er auf einer ansonsten leeren Sitzbank, ich auf einem Klappsitz. Er war ein Mann von etwas über dreißig, sehr dunkelhaarig, mit einem blassen Gesicht, das glattrasiert war bis auf die dichten Koteletten, die ihm halb über die Ohren reichten, zweifellos von recht hohem Wuchs (daher sein selbstbewußtes Gehabe), und keineswegs häßlich, wenn er auch ein wenig vulgär wirkte. War er besoffen? Oder einfach ein Witzbold, der dem alten Herren, der ich bin, Angst einjagen wollte? Ich werde es nie erfahren, und zwar umso weniger, als ich nach unserem kurzen Wortwechsel unseren Wagen zum Umsteigen verlassen mußte.

Ich vermerke nur, daß der Mann, der mir bis dahin den Rücken zugedreht hatte, in dem Augenblick, als er mich so unvermittelt ansprach, die Zeitung Le Monde las. In dieser Ausgabe - ich wußte es, weil ich dieselbe Zeitung ein oder zwei Stunden zuvor in den Händen gehabt hatte - berichtete ein Artikel, daß in einer Wohnung im fünften Arrondissement fünf junge Frauen aus Deutschland festgenommen worden waren, die im Verdacht standen, mit der Baader-Meinhof-Gruppe und den Roten Brigaden in Verbindung zu stehen. Gewiß war der, der mich angesprochen hatte, kein Terrorist, aber ich vermute, daß er bei der Lektüre des betreffenden Artikels nicht ohne Sympathie an solche Dinge dachte: an Entführungen, Geiselnahmen, Mord am Nächstbesten oder an jede Form von Bruch mit den Grundregeln, die das bürgerliche Leben schützen. - (leiris2)

U-Bahn (3)   In der gedrängt vollen Untergrundbahn, wenn wir zum Beispiel vom Strand kamen, zog sie ihr Kleid verkehrt herum an, so daß der Schlitz nach vorne kam, nahm meine Hand und legte sie auf ihre Möse. Wenn der Wagen dicht besetzt war und wir gut geschützt in einer Ecke standen, zog sie meinen Piephahn aus dem Latz und hielt ihn wie einen Vogel in beiden Händen. Manchmal wurde sie übermütig und hängte ihre Handtasche an ihm auf.   - Henry Miller, Wendekreis des Steinbocks, Reinbek bei Hamburg  1972 (zuerst 1939)

U-Bahn (4)  

U-Bahn (5)

Untergrundbahn

Die weichen Schauer. Blütenfrühe. Wie
aus warmen Fellen kommt es aus den Wäldern.
Ein Rot schwärmt auf. Das große Blut steigt an.

Durch all den Frühling kommt die fremde Frau.
Der Strumpf am Spann ist da. Doch, wo er endet,
ist weit von mir. Ich schluchze auf der Schwelle:
laues Geblühe, fremde Feuchtigkeiten.

Oh, wie ihr Mund die laue Luft verpraßt!
Du Rosenhirn, Meer-Blut, du Götter-Zwielicht,
du Erdenbeet, wie strömen deine Hüften
so kühl den Gang hervor, in dem du gehst!

Dunkel: nun lebt es unter ihren Kleidern:
nur weißes Tier, gelöst und stummer Duft.

Ein armer Hirnhund, schwer mit Gott behangen.
Ich bin der Stirn so satt. Oh, ein Gerüste
von Blütenkolben löste sanft sie ab
und schwölle mit und schauerte und triefte.

So losgelöst. So müde. Ich will wandern.
Blutlos die Wege. Lieder aus den Gärten.
Schatten und Sinnflut. Fernes Glück: ein Sterben
hin in des Meeres erlösend tiefes Blau.

 - (benn)

U-Bahn (6)

- Bettina Rheims

U-Bahn (7) Ich spürte, daß eine Hand ganz sanft mein Kleid berührte, wie aus Versehen. Mein Mantel stand offen, ich trug ein Sommerkleid, und eine Hand strich sachte über den Stoff und tastete sich vor zu meinem Schoß. Ich stand ganz still. Der Mann, der vor mir stand, war so hochgewachsen, daß ich sein Gesicht nicht erkennen konnte. Ich wollte aber auch gar nicht aufblicken. Ich war nicht sicher, ob er es war, ich wollte nicht wissen, wer es war. Jedenfalls streichelte die Hand das Kleid, verstärkte allmählich den Druck und tastete wieder nach meiner Möse. Ich machte eine winzige Bewegung, um sie der Hand ein wenig entgegenzuheben, sie sollte sie besser fühlen können. Die Finger wußten jetzt genau, wo es langging, und modellierten geschickt die Lippen. Ich spürte, wie in mir die Lust hochstieg. Der Zug schleuderte, ich warf mich gegen die ganze Hand. Die wurde immer dreister, denn sie hatte nun die Lippen ergriffen. Meine Wollust war derart, daß ich einen Orgasmus kommen fühlte. Ich rieb mich unmerklich an der Hand. Sie schien zu begreifen, was in mir vorging. Jedenfalls hörte sie nicht auf, mich zu streicheln. Dann kam ich. Ich bebte am ganzen Körper. Die Metro fuhr in eine Station ein, der Strom der Menschen schwemmte mich hinaus, der Mann war verschwunden.   - (nin)

U-Bahn (8)  Nach ein paar Beobachtungsfahrten kam ich zu der Ansicht, daß es außerhalb der Linie selbst — ich meine die Stationen mit ihren Bahnsteigen und die fast ständig fahrenden Züge — keine geeigneten Lebensbedingungen für sie gab. Ich schloß also Abstellgleise, Abzweigungen und Depots aus und gelangte zu der schrecklichen Gewißheit durch das, was als Rest blieb, in diesem Reich des Dämmers, wo der Begriff des Restes ein ums andere Mal wiederkehrte. Dieses ihr Leben, das ich hier skizziere (einige werden sagen, das ich suggeriere), schien mir bedingt durch brutalste und unerbittlichste Notwendigkeit; indem ich verschiedene Möglichkeiten nacheinander ausschloß, tauchte am Ende die einzige verbleibende Möglichkeit auf. Ihr Ort, jetzt war es nur zu klar, ist nirgendwo; sie leben in der U-Bahn, in den U-Bahn-Zügen, sind ständig unterwegs. Ihr Leben und ihre Leukozyten-Zirkulation — sie sind ja so bleich! — begünstigt die Anonymität, die sie bis heute schützt.

Einmal zu diesem Schluß gekommen, ergab sich das übrige von selbst. Außer frühmorgens und spät in der Nacht sind die Züge der Anglo nie leer, denn die Einwohner von Buenos Aires sind Nachtschwärmer, es gibt immer noch ein Kommen und Gehen von Fahrgästen, bevor die Gitter der Stationen geschlossen werden. Man könnte sich einen letzten, unnötigen Zug vorstellen, der dem Fahrplan zuliebe verkehrt, obgleich niemand mehr einsteigt, aber gesehen habe ich den nie. Oder vielleicht doch, ich habe ihn manchmal gesehen, doch nur für mich war er wirklich leer; seine wenigen Fahrgäste waren einige von ihnen, die noch in der Nacht erbarmungslose Vorschriften befolgten. Nie habe ich die Art ihres Refugiums ausfindig machen können, in das sie sich während der drei toten Stunden von zwei bis fünf Uhr morgens, in denen die Anglo nicht verkehrt, zwangsläufig zurückziehen müssen. Entweder bleiben sie in einem Zug, der auf ein Abstellgleis fährt (in diesem Fall kann der Zugführer nur einer von ihnen sein), oder sie mischen sich vorübergehend unter das Reinigungspersonal. Letzteres ist wegen der Einheitskleidung und der persönlichen Beziehungen am wenigsten wahrscheinlich; ich vermute eher, daß sie den Verbindungstunnel zwischen der Station Once und dem Hafen benutzen, der den gewöhnlichen Fahrgästen unbekannt ist. Und warum ist auf der Station José Maria Moreno der Raum mit der Aufschrift Zutritt verboten voller  Papierrollen,   ganz  abgesehen  von  dieser  sonderbaren Truhe, in der man so manches verwahren kann? Die sichtbare Nachgiebigkeit dieser Tür gibt Anlaß zu den schlimmsten Vermutungen.  - Julio Cortázar, Ende der Etappe. Die Erzählungen Bd. 4. Frankfurt am Main 1998

U-Bahn (9)  »Wenn du mir all das erzählen würdest, was du gehört und gesehen hast, dürfte eine gute Viertelstunde vergehen«, sagte ich lachend.

»Dürfte eine gute Viertelstunde vergehen, was, Bruno. Dann sag mir mal, wie es möglich ist, daß ich plötzlich fühle, daß die Metro hält, und ich mich von meiner Alten, von Lan und all dem losreiße und sehe, daß wir in Saint-Germain-des-Prés sind, ganze anderthalb Minuten von Odeon entfernt.«

Nie habe ich das, was Johnny sagt, sehr ernst genommen, doch die Art, wie er mich ansah, machte mich frösteln.

»Kaum anderthalb Minuten in deiner Zeit und in der Zeit von der da«, sagt Johnny grollend. »Und auch nach der Uhr der Metro und nach meiner Uhr, zum Teufel mit ihnen. Wie ist es dann möglich, daß ich eine Viertelstunde lang gedacht habe, sag mir mal, Bruno. Wie kann man in anderthalb Minuten eine Viertelstunde lang denken? Ich schwöre dir, daß ich an dem Tag nicht ein Blättchen, nicht ein Bröselchen geraucht habe«, fügte er, wie ein Kind sich entschuldigend, hinzu. »Und dann ist es mir wieder passiert, und jetzt passiert es mir überall. Aber«, sagte er listig, »nur in der Metro kann ich es merken, denn in der Metro fahren ist wie in einer Uhr stecken. Die Stationen sind die Minuten, verstehst du, das ist eure Zeit, die jetzige; aber ich weiß, daß es eine andere gibt, und ich hab darüber nachgedacht und nachgedacht. ..«   - Julio  Cortázar, Der Verfolger. In: J.C., Südliche Autobahn. Die Erzählungen Band 2. Frankfurt am Main 1998

U-Bahn (9)  

- Bruce Davidson

U-Bahn (10)    Es gibt nur zwei Arten, in New York U-Bahn zu fahren: Zieh dich an wie ein Zimmermann oder Klempner - wie irgendwer, der routinemäßig Werkzeuge rumschleppt - oder trage eine Schußwaffe. Ich kann mit Werkzeug nicht so umgehen, als wüßte ich, was ich tue, und wenn ich einkassiert wurde und eine Wumme dabei hatte, erwartete mich ein langer Zuchthausaufenthalt. Ich legte einen dunklen Anzug zu einem blauen Cambraihemd mit dunkelblauem Strickbinder an. Ein schwerbeschäftigter Architekt. Ich zog meinen neuen Attachékoffer unter der Couch vor. Die Seiten aus schwarzem Stoff waren dehnbar und faßten eine Masse Zeug, doch deswegen wollte ich ihn nicht. Der Attachekoffer ist aus Kevlar - das gleiche Zeug, das die Cops für kugelsichere Westen verwenden. Es sieht aus wie Nylon, bricht aber jedes Messer und stoppt Kugeln. Er hat sogar einen Schulterriemen, damit man die Hand frei hat.

Ich klappte den Koffer auf und warf einen Packen Millimeterpapier rein, ein paar Stifte, einen alten Bauplan von einer Kläranlage und einen kleinen Taschenrechner. Ich fügte einen metallenen Teleskopzeigestock hinzu, wie sie Architekten gebrauchen, um auf die Besonderheiten ihrer Baupläne hinzuweisen; er taugt genausogut dazu, sich Leute weit genug vom Leibe zu halten, damit sie einen nicht abstechen können. Dann wühlte ich herum, bis ich die Plastikreißschiene fand, die der Maulwurf für mich gemacht hatte. Sie sah wie das Original aus, doch wenn man mit den Händen beide Enden umfaßt und beim Auseinanderhebeln stark ruckelt, kommt man zu einem rasierscharfen Messer. Perfekt zum Zustechen, aber völlig sauber und legal. Die CIA verwendet diese Messer, wenn sie die Sicherheitskontrollen am Flughafen austricksen, ihre beste Eigenschaft aber ist die Art, wie sie im Körper abbrechen - du kannst Plastik höllenscharf machen, doch es bleibt sehr spröde.  - Andrew Vachss, Strega. Frankfurt am Main und Berlin 1994

U-Bahn (11)

- N. N.

U-Bahn (12)

- N.N.

U-Bahn (13)

- Arnau Alemany

U-Bahn (14)

- John Conn

U-Bahn (15)  Wenn ich wie eben, als ich mit der Métro nach Paris fuhr, ein hübsches Mädchen sehe, mit schönen Augen, einem hübschen Mund, einer hübschen sinnlichen Nase, einem schönen Teint und dem wollüstigen Gesichtsausdruck, den ich an Frauen so gern habe, dann sage ich mir: «Ja, ja, das ist vorbei.» Als ich jung war und ganz mit Lesen beschäftigt war, sagte ich mir: «Darüber sprechen wir später.»  - (leau)

U-Bahn (16)  

- Alessandro Gallo

U-Bahn (17)  Neulich, in der U-Bahn. Der Mann, der mir gegenübersaß, packte aus seinem Aktenkoffer eine Tüte mit Wurstsemmeln und begann zu fressen. Er biß riesige Brocken ab, die nicht ganz in sein Maul paßten, obgleich es groß war. Wie ein Knebel hing das Zeug über den Lippen, Tomatenscheiben quollen zwischen der Wurst heraus und versauten sein Jackett. Er schnaufte schwer durch die Nase, grunzte, würgte den Brocken hinunter und rülpste. Soße lief ihm am Kinn herab.

Die Mundwinkel der Umsitzenden krümmten sich, dem vollen Abteil war jedes Gespräch vergangen. Nun fing der gar nicht dicke Mensch damit an, kleine Sunkisttüten zu leeren, per Strohhalm. Ohne vorher die Wurstsemmelmasse ganz geschluckt zu haben. Draus resultierte ein Geräusch zwischen dem Suppeschlürfen alter Weiber und der Weinkelter durch nackte Füße. Unruhe breitete sich aus. - Helmut Krausser, Schweine und Elefanten. Reinbek bei Hamburg 1999

U-Bahn (18)

- Ellen von Unwerth [?]

ÖPNV Fortbewegungsmittel
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