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York Tagsüber blieb einem, war man einmal auf der Straße unterwegs,
nichts anderes übrig, als bis zur Erschöpfung zu marschieren; da war kein Ort
zum Ankerwerfen: die hufeisenförmigen Bars mit ihrer schwirrenden und dann plötzlich
reglos auf den Hockern festgeschraubten menschlichen Krone erregten Brechreiz
in mir wie die Aborte des Lagers Hoyerswerda an den Dünnpfifftagen. Zu Mittag
spritzte die Menge aus den Türen der Wolkenkratzer heraus wie aus den undichten
Stellen einer Presse. Keine Bäume, keinerlei Grün hier: es ist eine Stadt im
Sinne Baudelaires, ohne das unregelmäßig Vegetabile, auf die die Sonne herabbrennt
und die Quecksilbersäule im Riesenthermometer auf Times Square mächtig hochtreibt.
Am zweiten und dritten Tag irrte ich armselig und bereits entmutigt zwischen
Madison und 5th Avenue hin und her, zur Lunchzeit bloß vom Central Park angelockt:
dort gab es in der Nähe des Zoos die Terrasse einer Snackbar, wo man ganz nah
am Raubtier- und Uringeruch, aber zumindest unter den Bäumen aß. Am ersten Tag
war ich mutiger und ging den Broadway hinunter von Madison bis zum Battery Park,
erstaunt über diesen wechselhaften, bald stattlichen, bald heruntergekommenen,
bald bevölkerten, bald leeren, bald kellerkühlen, bald brutal von der Sonne
angefallenen Schlauch. Die Mitte der Fahrbahn rauchte da und dort und gab träge
weiße Dampfringe von sich wie eine stehende Lokomotive. Von den hochaufragenden
Häusermauern fielen überall die Wassertropfen der Klimaanlagen auf den Bürgersteig.
Doch das Ende des Broadway entschädigte mich: in zwei Kilometern Entfernung
sieht man plötzlich, wie die Perspektive der Straße vertikal in den Hochwald
der Wolkenkratzer eine schmale leere Scharte schlägt, die vom Licht überflutet
wird, und man ahnt, daß sie endlich auf das Meer geht: mir schien, daß das,
was mich an diese Stadt binden könnte, hier lag, in diesen Schneisen voll von
aufgewirbelter Luft und brutalem Wind, die zwischen der Battery und der Wallstreet
zur See hinführen. -
(
grac2
)
New York (2) Großes ist schwierig zu beschreiben. Groß, dieses Wort reicht nicht aus! Größer, das paßt schon besser. Doch auch dieses Wort ist unpassend. Denn hier ist alles sehr groß. Alles ist hoch. Sehr höher. Sehr gewaltig. Ja, sehr gewaltig, das paßt schon besser. Es ist eine Gewalt: groß, hoch, höher und schwierig zu beschreiben.
Alle Bauwerke sind groß ausgeführt. Auch Gedenkstätten sind höher und gewaltiger. Man liest große Schriften. Groß ist das Auge des vorübergehenden Menschen.
Ein winziger Himmel über den Straßen.
Und bei aller Größe umher ist der Himmel so winzig, daß er noch höher ist als
ein Himmel sonst. Noch gewaltiger als ein Himmel sonst. Noch schwieriger zu
beschreiben als ein Himmel sonst. - Günter Bruno Fuchs, Reiseplan
für Westberliner. München 1973
New
York (3) Das nackte Tageslicht zeigte nur Schmutz und Fremdartigkeit und
die verderblichen Schwellungen sich auftürmender Steine, wo der Mond Schönheit
und alten Zauber angedeutet hatte, und die Menschenmassen, die in den klammähnlichen
Straßen wimmelten, waren gedrungene Fremde von dunkler Gesichtsfarbe mit harten
Zügen und schmalen Augen, gewandte Fremde ohne Träume und ohne Beziehung zu
ihrer Umwelt, die einem blauäugigen Menschen aus altem Stamm mit der Liebe zu
schönen, grünen Pfaden und den weißen Kirchtürmen eines New-England-Dorfes im
Herzen nichts bedeuten konnten. So kam statt der Gedichte, auf die ich gehofft
hatte, nur schaudernde Schwärze und unsägliche Einsamkeit, und ich erkannte
schließlich eine furchtbare Wahrheit, die niemand bisher verlauten
zu lassen gewagt hatte - das nicht einmal zu flüsternde Geheimnis der Geheimnisse
-, die Tatsache, daß diese Stadt aus Stein und Lärm keine spürbare Fortsetzung
des alten New York ist, so wie London eine von Alt-London
und Paris eine von Alt-Paris ist, sondern daß es in der Tat völlig tot ist,
sein hingestreckter Leichnam ist schlecht einbalsamiert und von merkwürdigen
belebten Dingen heimgesucht, die nichts mehr mit dem zu tun haben, was es im
Leben war. Nach dieser Entdeckung konnte ich nicht mehr ruhig schlafen, obwohl
mich so etwas wie resignierende Ruhe überkam, als ich allmählich die Gewohnheit
annahm, tagsüber die Straßen zu meiden und mich nur nachts hinauszuwagen, wenn
die Dunkelheit das wenige, was von der Vergangenheit sich noch geisterhaft herumtreibt,
und alte, weiße Torbögen sich noch der kräftigen Gestalten erinnern, die sie
einst durchschritten. Mit dieser Entspannungsmethode konnte ich sogar ein paar
Gedichte schreiben und davon absehen, zu meiner Familie nach Hause zurückzukehren,
damit es nicht so aussähe, als ob ich als unwürdiger und unterwürfiger Geschlagener
zurückkehre. - Aus:
H.P. Lovecraft, Stadt ohne Namen. Frankfurt am Main 1997 (st 2756, Phantastische
Bibliothek 346)
New York (4) New York Ist kalt, glitzernd, böse. Die Gebäude beherrschen alles. Eine Art atomarer Raserei haftet dem Getriebe an; je wilder das Tempo, desto mehr nimmt der Geist ab. Eine ständige Gärung, aber sie könnte ebensogut in einem Reagenzglas vor sich gehen. Niemand weiß, was das Ganze soll. Niemand lenkt den Kräftestrom. Ungeheuerlich. Bizarr. Verwirrend. Eine riesige rückläufige Brandung, vollkommen ungeordnet.
Wenn ich an diese Stadt denke, in der ich geboren wurde und groß geworden
bin, an dieses Manhattan, das Whitman besungen hat, schießt mir eine
blinde, weiße Wut in den Bauch. New York! Die weißen Gefängnisse, die von Maden
wimmelnden Gehsteige, die nach Brot anstehenden Menschenschlangen, die wie Paläste
aussehenden Opiumhöhlen, die Stromer, die es dort gibt, die Aussätzigen, die
organisierten Räuberbanden und vor allem der ennui, die Gleichförmigkeit
der Gesichter, Straßen, Beine, Häuser, Wolkenkratzer, Mahlzeiten, Plakate, Berufe,
Verbrechen, Liebesaffären . . . Eine ganze Stadt über einem gähnenden Abgrund
des Nichts erbaut. Sinnlos. Vollkommen sinnlos. Und die 42. Straße! Mittelpunkt
der Welt nennt man sie. Wo ist denn dann der Arsch der Welt? Du kannst mit ausgestreckter
Hand dahergehen, und man wirft dir Asche in die Mütze, Reich oder arm, sie gehen
ihres Weges mit zurückgeworfenem Kopf und brechen sich fast den . Hals, um emporzublicken
zu ihren schonen, weißen Gefäng-., nissen. Sie gehen dahin wie blinde Gänse,
und die Suchschein-; werfer bestrahlen ihre leeren Gesichter mit ekstatischen
Flecken. - (krebs)
New York (5)
New York. Büro und Anzeige Für Fernande Vela Unter den Multiplikationen |
- Federico García Lorca, nach
(mus)
New York (6)
- Christophe
Jacrot
, New York in black
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