hr  Ein wesentlicher Gegenstand hat seinen Abschied genommen: die Uhr in ihren vielfältigen Spielformen. Man darf nicht vergessen, daß im bäuerlichen Haushalt, neben Kamin und Herd, auch die Uhr ein würdevolles und lebendiges Element darstellte. Im bürgerlichen oder im kleinbürgerlichen Wohnraum findet man die Pendeluhr zumeist am Marmorkamin, der selbst von einem Wandspiegel überhöht ist, und diese drei Faktoren als Einheit stellen die außerordentliche symbolische Verdichtung der bürgerlichen Atmosphäre dar.

Denn die Uhr ist für die Zeit etwa was der Spiegel für den Raum: Wie das Bild im Spiegel einen Horizont markiert und die Introjektion des Raumes durchführt, wird auch paradoxerweise die Uhr zum Sinnbild der Dauer und der Introjektion der Zeit. Die Bauernuhren sind sehr begehrte Gegenstände, weil sie die Zeit unversehens in die Intimität ihrer Gehäuse einfangen, was äußerst beruhigend wirkt. Das Zeitmessen ist etwas Beängstigendes, wenn es an unsere sozialen Verpflichtungen gemahnt, dagegen etwas Besänftigendes, wenn es die Zeit verdinglicht und so zerstückelt, wie man vom Brotlaib Scheiben abschneidet. Alle kennen auch die Wirkung des Tickens einer Uhr im Zimmer: Es heimelt an, weil es mit dem Ticken im Inneren unseres Körpers verwandt ist.

Die Uhr ist ein mechanisches Herz, welches unserem eigenen Herzen Zuversicht einflößt.  - (baud)

Uhr (2) ZU SPÄT GEKOMMEN  Die Uhr im Schulhof sah beschädigt aus durch meine Schuld. Sie stand auf »zu spät«. Und auf den Flur drang aus den Klassentüren, die ich streifte, Murmeln von geheimer Beratung. Lehrer und Schüler dahinter waren Freund. Oder alles schwieg still, als erwarte man einen. Unhörbar rührte ich die Klinke an. Die Sonne tränkte den Flecken, wo ich stand. Da schändete ich meinen grünen Tag, um einzutreten. Niemand schien mich zu kennen, auch nur zu sehen. Wie der Teufel den Schatten des Peter Schlemihl, hatte der Lehrer mir meinen Namen zu Anfang der Unterrichtsstunde einbehalten. Ich sollte nicht mehr an die Reihe kommen. Leise schaffte ich mit bis Glockenschlag. Aber es war kein Segen dabei.  - (ben2)

Uhr (3) Wie das Weib fort war, discurirten wir anfangs mit einander über verschiedene gleichgültige Dinge und es fiel mir lange Zeit kein böser Gedanke ein, wiewohl ich die Uhr des Schusters immer vor mir hängen sah. Erst zuletzt fiel diese Uhr mir auf, daß sie so schön sei; ich nahm sie von der Wand herunter, besichtigte sie genau, machte sie auch auf, und fragte den Schuster, was diese Uhr gekostet? worauf er mir antwortete, daß sie, nebst einem Erbsenkettchen und silbernen Petschierstöckchen, 14 fl. gekostet habe; das Kettchen aber, das oben in einem Schranke sich befinde, nehme er blos an Feiertagen, wo ich es einmal würde sehen können. Ich äußerte, daß ich Lust hätte, sie zu kaufen, wenn ich einmal genug Geld dazu beisammen haben würde; wozu er sich auch ganz bereitwillig zeigte. Aber die Uhr kam mir nicht aus den Augen und aus dem Sinne; immer sie betrachtend ging ich in der Stube auf und ab und bald kam mir der Gedanke, sie zu nehmen und davon zu laufen, sobald nur einmal der Schuster würde aus der Stube gegangen sein. Aber dieser rührte sich nicht von seiner Werkstatt und arbeitete immer emsig fort an dem Obertheile von ein Paar Schuhen. Der Reiz zur Uhr nahm in mir immer mehr überhand, und fortwährend auf und abgehend sinnirte ich, wie ich diese Uhr bekommen könnte, und, da der Schuster immerfort sitzen blieb, so gerieth ich zuletzt auf den Gedanken: wie wäre es denn, wenn du ihn erschlügest? Ich sah den Hammer, nahm ihn vor des Schusters Augen in meine Hand und that, als wenn ich damit spiele. Aber ich vollzog noch nicht die That, weil ich noch immer mit mir in der Überlegung war, daß es doch nichts (nicht recht) sei, wenn ich ihn erschlage. Mit dem Hammer in der Hand ging ich wohl ein Paar Minuten, noch immer überlegend, hinter dem Rücken des Schusters auf und ab. Bald wurden aber die Begierden nach der Uhr zu stark in mir; da dachte ich denn: nun darfst du machen, sonst kommt auch noch die Schusterin daher! Und jetzt, als der Schuster in der besten Arbeit war, erhob ich auf einmal den Hammer und schlug ihn damit aus Leibeskräften auf die linke Seite beim Schlafbein, so daß er sogleich heftig blutend, ohne sich zu rühren, ohne einen Laut von sich zu geben, von seinem Stuhle herabfiel, Ich dachte mir, daß ich ihn gleich recht treffen wolle. — Wohl eine Viertelstunde mag es sein, daß ich überlegend auf und abging, wie ich doch diese Uhr bekommen könnte; endlich schlug ich zu; und dieses war nun mein letzter und auch mein ärgster Gedanke.

Ich weiß selbst nicht, was ich damals für eine unglückliche Stunde hatte, daß ich auf einmal zu der Taschenuhr eine so große Begierde bekam. Zuvor habe ich nie daran gedacht. Auch wäre ich in des Schusters Haus gar nicht hinein gekommen, wenn ich nicht einen zerrissenen Stiefel gehabt hätte.

Sobald der Schuster zu Boden lag, steckte ich eiligst die Uhr zu mir und ging hinauf (ins obere Stockwerk), das Kettchen zu suchen. Im kleinen Stübchen steckte der Schlüssel im Schrank und weil ich mir dachte, daß hier die Schustersleute gewiß ihre besten Sachen verwahrt haben würden, sah ich nach, fand aber hier das Kettchen nicht, sondern nur zwei Hammelfelle zu Beinkleidern, die ich zu mir nahm, Wie ich mit den Fellen schon auf der Treppe stand, um wieder herab zu gehen, bemerkte ich oben auf dem Vorplatze noch zwei Schränke, kehrte daher wieder um und sprengte mit einer Erdäpfelhacke die Leisten daran herunter und dachte mir: nun vielleicht ist da das Uhrkettchen darin, das ich gern zur Uhr gehabt hätte. Ich wühlte alles durcheinander und fand das Uhrkettchen nicht; aber ich fand in einer Schublade 6 fl. 30 kr. in lauter halben Guldenstücken und eine silberne Florschnalle. In eben diesem Kasten befand sich auch ein Hut mit einer silbernen Florschnalle von Filigran-Arbeit, die ich abschnitt und ebenfalls zu mir nahm.

Mein Hauptzweck war immer nur das silberne Kettchen zu finden und blos während dem Suchen kamen mir halt diese Sachen in den Weg, die ich bei dieser Gelegenheit mit nahm.

Wie ich nun alle diese Sachen hatte, ging ich wieder in die Stube hinunter, um auch noch ein Stück Kalbleder mit mir zu nehmen. Da hörte ich, daß der Schuster noch stark röchelte und gab ihm mit dem Hammer noch einige Streiche auf den Schlaf und auf das Ohr hin und dann dachte ich, daß ich den Schuster doch in das Kämmerchen hineinthun müsse, damit ihn sein Weib, wenn sie nach Haus komme, nicht sogleich erblicke. So zog ich ihn dann nun aus der Stube in die Kammer neben das Bette. - Anselm von Feuerbach, Merkwürdige Verbrechen. Frankfurt am Main 1993 (Die Andere Bibliothek 98, zuerst 1828 f.)

Uhr (4)  Wo ist wohl Nekola hin, der verträumte Junge, der nicht zur Schule ging, doch die Uhr zu lesen gelernt hatte, und so hockte er vor dem Haus in Zalabi und schaute auf seine Armbanduhr, angestrengt schaute er zu, wie der Sekundenzeiger hüpfte, und so hockte er und hielt mit zwei Fingern die große Armbanduhr umfaßt, damit ihm die Zeit nicht davonlief, fest hielt er die Uhr, und der Sekundenzeiger versetzte ihn jahrelang in nimmermüdes Staunen, so daß er keine Zeit fand, Gärtner zu werden, denn er konnte sich einfach nicht von dem tickenden Sekundenzeiger losreißen und setzte sich hin und sah unablässig zu, wie ihm die Zeit an seinem Arm davonlief... Und ging er, dann rempelte er die Leute an, da er auch beim Gehen auf seine Uhr gucken mußte, und so steckte man ihn schließlich in eine Anstalt, wo er mit furchtbar ernstem Gesicht den Sekundenzeiger verfolgte, so lange verfolgte, bis er in der Anstalt starb, während der Stunden- und der kleine Sekundenzeiger weiter kreisten, solange die Feder sie antrieb. Wo ist der Nekola hin, der tief ins Herz der Zeit hatte eindringen wollen?  - Bohumil Hrabal, Gotteskinder. In: Ders., Leben ohne Smoking. Frankfurt am Main 1993 (BS 1124, zuerst 1986)

Uhr (5)   Was die gelehrten Frauen betrifft: so brauchen sie ihre Bücher etwa so wie ihre Uhr, nämlich sie zu tragen, damit gesehen werde, daß sie eine haben; ob sie zwar gemeiniglich still steht oder nicht nach der Sonne gestellt ist.  - Immanuel Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (1798)

Uhr (6)

Unter den Experimenten, die ich dem Publikum im Jahre 1847 vorführte, war meine Uhr eines von jenen, die am meisten Wirkung erzielten, und sogar heute, wo man mit Recht oder Unrecht annimmt, die Elektrizität hätte dabei eine gewisse Rolle gespielt, muß man es bewundern. Es gibt gewisse Zuschauer, die zu Vorstellungen von Zauberkünstlern gehen, weniger aus Freude an dem Unbegreiflichen, als um ihren sehr oft zweifelhaften Scharfsinn zu beweisen. Für diese ist das Experiment Die Uhr in der Luft ganz schnell erklärt: Es gelingt mit Hilfe der Elektrizität. Das genügt ihnen so ziemlich.

Für den gewissenhaften Beobachter jedoch, für den Gelehrten, für den Kenner eben ist es sehr schwer, ein solches Urteil zu fällen, denn er weiß, daß für die Erzielung einer elektromagnetischen Wirkung der elektrische Strom allein nicht genügt, es sind auch noch Apparate notwendig, die ein gewisses Volumen einnehmen. So gibt es sogar im einfachsten Telegrafen Zahnräder, einen Elektromagneten, ein Brett, Hebel, Stützen usw. Bei meiner Uhr in der Luft sah man nichts von alledem; es gab nur ein durchsichtiges Glaszifferblatt, in dessen Mitte sich ein Zeiger befand. Das Zifferblatt hing völlig frei an dünnen Schnüren, dessenungeachtet drehte sich der Zeiger je nach Wunsch der Zuschauer nach rechts oder links, blieb stehen oder ging weiter.

Eine ebenfalls aus Glas bestehende Glocke, die darunter hing, gab die Stunde an, die die Uhr zeigte, oder aber jene, die man ihr bezeichnete. Diese beiden Gegenstände wurden vor und nach dem Experiment dem Publikum übergeben, damit sie nachgeprüft werden konnten. Am Schluß reichte ich einem Zuschauer eine Schnur, an welcher der Haken befestigt war; er hängte die Glocke daran und ließ sie auf seinen Befehl erklingen. - Die Memoiren des Zauberers Robert-Houdin. Hg. Alexander Adrion. Frankfurt am Main 1981 (it 506, zuerst 1858)

Uhr (7)

L'HORLOGE

Horloge! dieu sinistre, effrayant, impassible,
Dont le doigt nous menace et nous dit: « Souviens-toi!
Les vibrantes Douleurs dans ton cœur plein d'effroi
Se planteront bientôt comme dans uns cible;

DIE UHR

Die Uhr! ein finstrer Gott des Schreckens, des Gleichmuts, dessen Finger uns droht und zu uns spricht: »Gedenke! Die Schmerzen werden schwirrend bald in dein entsetztes Herz sich wie in eine Scheibe bohren;

Le Plaisir vaporeux fuira vers l'horizon
Ainsi qu'une sylphide au fand de la coulisse;
Chaque instant te dévore un morceau du delice
A chaque homme accordé pour toute sa saison.

Die Lust wird als ein leichter Dunst zum Horizont entfliehen, wie eine Sylphide in die Kulissen; jeder Augenblick verschlingt dir ein Stück der Wonne, die jedem Menschen für seine ganze Lebenszeit gewährt ist.

Trois mille six cents fois par heure, la Seconde
Chuchote : Souviens-toi! — Rapide avec sa voix
D'insecte, Maintenant dit: Je suis Autrefois,
Et j'ai pompé ta vie avec ma trompe immonde

Dreitausendsechshundertmal in der Stunde raunt die Sekunde: Gedenke! — Rasch mit seiner Insektenstimme spricht das Jetzt: Ich bin das Ehemals, und ich sog dein Leben mit meinem schmutzigen Rüssel aus.

Remember ! Souviens-toi, prodigue! Esto memor !
(Mon gosier de metal parle toutes les langues.)
Les minutes, mortel folâtre, sont des gangues
Qu'il ne faut pas lâcher sans en extraire l'or!

Remember, gedenke! Verschwender!-Esto memor! (Meine metallne Kehle spricht alle Sprachen.) Die Minuten, närrischer Sterblicher, sind Adern, deren Gold, eh man sie fahren läßt, es auszuziehen gilt!

Souviens-toi que le Temps est un joueur avide
Qui gagne sans tricher, ä tout coup ! c'est la loi.
Le jour décroît; la nuit augmente; souviens-toi!
Le gouffre a toujours soif; la clepsydre se vide.

Gedenke, daß die Zeit ein raffgieriger Spieler ist, der ohne zu betrügen jedesmal gewinnt! das ist Gesetz. Der Tag nimmt ab; die Nacht wächst; gedenke! Der Abgrund dürstet immer; die Wasseruhr vertropft.

Tantât sonnera l'heure ou le divin Hasard,
Oü l'auguste Vertu, ton épouse encor vierge,
Ou le Repentir même ( oh ! la dernière auberge!),
Où tout te dira: Meurs, vieux lâche, il est trop tard!»   

Bald schlägt die Stunde, wo der göttergleiche Zufall, wo die erhabene Tugend, dein noch immer jungfräuliches Gemahl, wo selbst die Reue (oh! die letzte Herberge!), wo alles zu dir sprechen wird: Stirb, alter Feigling! es ist zu spät!«

- Charles Baudelaire, Die Blumen des Bösen (zuerst 1857) Übs. Friedhelm Kemp (Fischer Tb. 737, 1966)
 
Zeit Unruhe Zeitmessung
Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe
Verwandte Begriffe
  Synonyme