»Ist das dunkelgefärbte Gesicht mit der Stumpfnase nicht oft reizender, als das hochgestirnte mit der Adlernase trotz der Regelmäßigkeit des Letztem? Ist oft nicht ein Mund mit rosigen, aufgeworfnen Lippen reizender, als jener schmalgespaltene, ernste, wehmüthige, manchmal, trotz der schmalen Lippen, ausdruckslose?«
Der unwiderstehliche Reiz der deutschen Frau aber liegt weder in Schmollmund
noch Stupsnase: »Er besteht — und zwar hauptsächlich — in jenen Reizen der Seele
und des Geistes, die man nur ahnt und fühlt und nennt, ohne sie expliciren zu
können ... Anmuth, Bescheidenheit, Sanftmuth, Ergebung,
Milde, Frohsinn, Hingebung, Huld, Innigkeit, Treue, Naivetät,
Humor, Herzlichkeit, Unbefangenheit und hundert andere mehr.« Diese Reize »blühen,
entzücken und fesseln, wenn die vergänglichen Reize der Form längst verwelkt
sind«. - (lex
)
Reize, weibliche (2) Die alten Dichter nannten deren
zehn bis zwanzig; ein französischer Poet bedingte sogar dreißig, um ein Weib
vollkommen schön zu nennen. Der eine forderte das blaue Auge und schwarze Haar,
der andere das schwarze Auge und blonde Haar. Aber die weibliche Schönheit
ist so tausendfacher Nuancen fähig, wie die Tonleiter harmonischer Modulationen.
Wäre der Begriff Schönheit stereotyp, so gäbe es keine Schönheiten mehr. — Wir
sagen, die Rose ist schön und doch ist es nur jede relativ zu einer anderen.
Die Variationen all der verschiedenen Reize, ihre wechselvolle Zusammenstellung
bildet eben das, was wir immer wieder neu, überraschend, reizend, schön nennen.
— Das Weib kann reizend sein, ohne schön zu heißen. Reizend
ist, was anzieht, besticht, frappiert. Schönheit ist Harmonie — sie kann erfreuen,
entzücken, überraschen und dennoch kalt lassen, d. h. nicht reizend sein. —
Wir wollen uns hier der Aufzählung der körperlichen Reize entheben, welche die
vergeistigte Sinnlichkeit der Griechen und Römer, die schwelgerische Phantasie
ihrer Dichter und Bildner zur Bedingung machte, und von den Reizen sprechen,
welche, abgesehen von der Außerlichkeit, das Weib reizend erscheinen lassen.
Unser christlich-modernes Schönheitsgefühl hat den Reiz des Weibes noch tiefer
gesucht, als auf Stirne, Mund und Nacken. Schon der Troubadour des Mittelalters
besang nicht allein Mund und Augen, Locken und Wangen seiner Herrin, sondern
ihre Huld, ihre Minnigkeit, ihre Sittsamkeit, ihre Treue etc., während der epikuräische
Moslim diese Eigenschaften bei seinen Schönen weder
zu kennen, noch zu fühlen scheint, da er stets nur von dem Auge der Gazelle,
vom Haar duftend wie Moschus, vom Mund wie Honig, und von Rosenwangen spricht.
— Die aufsteigende Kultur hat das Weib nicht nur in sich, sondern auch in der
Seele, in der Empfindung des Mannes mehr vergeistigt. — Und so erkennt der Mann
der Kultur im Weibe einen doppelten Reiz, den der Form: den körperlichen, ausgeprägten,
und jenen der Seele, den unbewußten, undefinierbaren.
Beide im wesentlichen Zusammenhange, schmelzen in ihrer Gefühlsanschauung auch
in eins, und er nennt oft ein Weib reizend, er fühlt ihren Reiz, ohne sich klar
der Eigenschaften all, die ihn bezaubern, bewußt zu sein. — So läßt er den Reiz
weder der körperlichen, noch der geistigen Schönen ausschließlich zusprechen.
Der deutschen Frauen unwiderstehlicher Reiz aber
besteht nicht allein in jenen verschiedenen Abschweifungen von den Schönheitsformen,
die als normal angenommen sind, er besteht — und zwar hauptsächlich — in jenen
Reizen der Seele und des Geistes, die man nur ahnt, fühlt und nennt, ohne sie
explizieren zu können: ihre Zahl ist so reichhaltig, so unermeßlich, wie das
deutsche Gemüt; sie heißen Anmut, Bescheidenheit, Sanftmut,
Ergebung, Milde, Frohsinn, Hingebung, Huld, Innigkeit, Treue, Naivität, Humor,
Herzlichkeit, Unbefangenheit und hundert andre mehr. Diese blühen, entzücken
und fesseln, wenn die vergänglichen Reize der Form längst verwelkt sind. -
(
conv
)
Reize, weibliche (3) Seine Frau fuhr nackt und
in ihrer ganzen Schönheit aus dem Bett. Wie eine berühmte Schauspielerin pflegte
sie im Bett nur Chanel No. 5 zu tragen, was die Sinne seiner Exzellenz aufstacheln
und sein bürokratisches Genie einschläfern
sollte, das in den Tagen der Republik von Salò sein Bestes gegeben hatte. Nur
in eine Daunendecke und ihre Entrüstung gehüllt, verließ die Dame das Zimmer.
Der ängstliche Blick Seiner Exzellenz folgte ihr. -
Leonardo Sciascia, Der Tag der Eule. Zürich 1991
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