- Valerius Maximus, nach
(
gsv
)
Flüstern (2) Seine Taschen waren leer, sein Blut war in Wallung, und er entflammte, wenn er die Herumtreiberinnen streifte, die an den Straßenecken flüsterten: "Kommst du mit, hübscher Junge?" Aber er wagte nicht, ihnen zu folgen, er konnte sie ja nicht bezahlen; und er erwartete auch etwas anderes, andere, weniger feile Küsse.
Dennoch liebte er die Orte, wo es von Dirnen wimmelte, ihre Tanzlokale, ihre
Cafés, ihre Straßen; er liebte es, sie zu streifen, sie
anzusprechen, sie zu duzen, ihre starken Parfüms zu
wittern, ihre Nähe zu fühlen. Immerhin waren es Frauen, Frauen für die Liebe.
Er empfand keineswegs jene angeborene Verachtung für sie wie die Männer mit
Familiensinn. - Maupassant, Bel-ami. Hattingen
1961 (zuerst 1885)
Flüstern (3) ein anfall von melancholie
hat goldenberg befallen, da sitzt er mit zitternden händen, hilflos, seine zahne
beissen in die lippen als ob er schmerzen litte, sein atem keucht unter einer
imaginären anstrengung. das erbrechen steigt bis zur
zungenwurzel, goldenberg ist gelähmt, sein verstand
erklärt ihm die details, leitet die wirkungen von irgendwelchen fiktiven und
harmlosen ursachen ab, zeigt sich in bester laune, aber sein körper behauptet
das gegen teil, die organe flüstern: goldenberg, es geht zu ende, und goldenberg
will wissen warum und die organe sagen, das ist egal, es gibt keine ursachen,
die kannst du dir erfinden, es gibt nur erscheinungen.
- Konrad Bayer, der sechste sinn. Roman. Reinbek bei Hamburg 1969
Flüstern (3) Nachmittags, während es draußen dämmert,
die Möbel im Zimmer versinken, zieht mich der Hausherr beiseite und flüstert
mir folgendes zu. Dabei klingt er heiser, und indem er flüstert und sich seine
und meine Ohren ans Flüstern gewöhnt haben, wird seine Stimme noch leiser, so
daß nach einigen Minuten das anfängliche Flüstern verglichen mit dem jetzigen
Flüstern Geröhr und Gebrüll war. Jetzt also leiser, und je leiser, desto schneller,
die Endsilben schon unhörbar, Einhalten zum Atemholen inmitten der Sätze, sind
es Sätze? Wörter gleich in Paaren, bald nur Summton,
auf- und abschwellend, von Atem übertönt, so sitzen
wir, mit geblähten Nasenflügeln, bei der Gardine, im Sofa, hinter den Händen,
die Standuhr schlägt, es betäubt uns, wir finden uns erwachend am Boden, die
Hände schützend vor den Ohren. - Reinhard
Lettau, In der Umgebung. In: R. L., Feinde. München 1968
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