Ein Stechinsekt.
Loyce stach ungestüm auf das Wesen ein. Es wich zurück, summte wie rasend. Loyce rollte sich ab und kroch zur Tür. Tommy und Janet standen unbeweglich wie Statuen da, mit leeren Gesichtern. Blickten ausdruckslos. Loyce stach erneut zu. Diesmal traf das Messer. Das Ding kreischte auf und taumelte. Es schlug gegen die Wand und flatterte zu Boden.
Etwas stülpte sich über sein Bewußtsein. Eine Wand aus Kraft, Energie, ein fremdes Bewußtsein, das in ihn eindrang. Er war plötzlich gelähmt. Das Bewußtsein erfüllte sein eigenes, berührte ihn kurz, bestürzend. Eine völlig fremde Präsenz, die sich über ihn legte - und dann flackernd erlosch, als das Ding zu einem kraftlosen Haufen auf dem Teppich zusammensank.
Es war tot. Er drehte es mit dem Fuß um. Es war ein Insekt,
eine Art Fliege. Gelbes T-Shirt, Jeans.
Sein Sohn Jimmy ... - Philip
K. Dick, Der Gehenkte, in: Das Vater-Ding. Zürich 2000 (zuerst
1953)
Summen (2) Er schloß die Augen und schob sich weg vom Zaun. Er fühlte sich wie in einer gewaltigen Strömung, in einem stürmischen Meer, das an ihm zerrte, über ihn hinwegbrandete und ihn festhielt, wo er stand. Er konnte sich nicht losreißen. Er war gefangen. Er straffte sich und kämpfte dagegen an. Ein Schritt... noch ein Schritt... ein dritter -
Und dann hörte er es.
Oder besser, erfühlte es. Es war kein Laut. Es war wie ein Summen, ähnlich wie Meeresrauschen, in seinem Kopf. Das Summen plätscherte gegen seine Gedanken und umspülte ihn sanft. Er hielt inne. Das Rauschen war leise und rhythmisch. Aber hartnäckig - drängend. Es begann, sich aufzuspalten und Gestalt anzunehmen - Gestalt und Substanz. Es floß, zerbrach in einzelne Sinneswahrnehmungen, Bilder, Szenen.
Szenen - aus einer anderen Welt, ihrer Welt. Die Wanze sprach zu ihm, erzählte ihm von ihrer Welt, spann mit ängstlicher Hast Szene um Szene.
»Hör auf«, murmelte Jimmy mit belegter Stimme. - Philip
K. Dick, Marsianer kommen in Wolken. In: Ders., Variante zwei.
Sämtliche Erzählungen Bd. 3. Zürich 1995 (zuerst 1953)
Summen (3) »Abuhtol ist schon hier!« sagte
er. Ich hatte dieses Wort noch nie zuvor gehört, und ich überlegte, ob ich danach
fragen sollte, als ich ein Geräusch bemerkte, das wie ein Summen in meinen Ohren
war. Das Geräusch wurde ständig lauter, bis es wie die Vibration einer gewaltigen
Rassel war. Es blieb einen kurzen Augenblick und nahm allmählich ab, bis alles
wieder still war. Ich zitterte so stark, daß ich kaum stehen konnte, und doch
waren meine Gedanken klar. Einige Minuten davor war mir schwindelig gewesen,
doch war dieses Gefühl ganz einem Zustand äußerster Klarheit gewichen. Das Geräusch
erinnerte mich an einen Science-Fiction-Film, in dem eine riesige Biene
mit ihren Flügeln schlagend aus einer atomaren Strahlungszone kommt. Ich lachte
über den Gedanken. Ich sah Don Juan in seine entspannte Haltung zurückfallen.
Und plötzlich näherte sich mir das Bild der riesigen Biene wieder. Es war wirklicher
als gewöhnliche Gedanken. Ich sah es allein, umgeben von außergewöhnlicher Klarheit.
Alles andere war aus meinen Gedanken gedrängt. Dieser Zustand geistiger Klarheit,
der ohne Beispiel in meinem Leben war, erzeugte einen neuen Augenblick der Angst.
Ich begann zu schwitzen. Ich beugte mich zu Don Jüan, um ihm zu sagen, daß ich
Angst hatte. Sein Gesicht war nur einige Zentimeter von meinem entfernt. Er
sah mich an, aber seine Augen waren die Augen einer Biene. Sie sahen wie runde
Gläser aus, die ihr eigenes Licht in der Dunkelheit hatten. Seine Lippen waren
vorgeschoben und machten ein plapperndes Geräusch: »Pehtu-peh-tu-pet-tuh.« Ich
sprang zurück und wäre fast an die Felswand gestoßen. Scheinbar endlos lange
spürte ich unerträgliche Furcht. Ich schluchzte und wimmerte. Der Schweiß war
auf meiner Haut gefroren, und ich fühlte eine quälende Steifheit. Dann hörte
ich Don Jüans Stimme: »Steh auf! Beweg dich! Steh auf!« Das Bild verschwand,
und ich konnte wieder sein vertrautes Gesicht sehen. »Ich hole etwas Wasser«,
sagte ich nach einem neuen, endlosen Augenblick. Meine Stimme schlug um. Ich
konnte die Worte kaum aussprechen. Don Jüan nickte. Während ich wegging, merkte
ich, daß meine Furcht genauso schnell und geheimnisvoll verschwand, wie sie
gekommen war. -
Carlos Castaneda, Die Lehren des Don Juan. Ein Yaqui-Weg des Wissens. Frankfurt
am Main 1980
Summen (4) Als die Mücke zum
ersten Male den Löwen brüllen hörte, da sprach sie zur Henne: »Der summt aber
komisch.« »Summen ist gut«, fand die Henne. »Sondern?« fragte die Mücke. »Er
gackert«, antwortete die Henne, »aber das tut er allerdings
komisch.« - Günther Anders, nach: Der Rabe 38 ,
Zürich 1993
Summen (4) Die Kellergänge
unter den Häusern von Berlin sind in der Regel sauber, und die Mehrzahl von
ihnen ist ausreichend beleuchtet. Und sie waren in diesem Winter warm, der Frost
drang noch kaum bis auf ihre Gründe hinab. Es gab Plätze dort unten - besonders
einen bestimmten Platz meinte ich, den ich häufig aufsuchte -, wo ich stundenlang
gesessen hatte, auf einer Holzkiste, Zigaretten geraucht und dem unfaßbaren
Massiv der Riesenstadt Berlin, die mir zu Häupten schlief, gelauscht hatte.
Selbstverständlich war es still hier unten, man hörte nichts, höchstwahrscheinlich
wären hier unten nur Explosionen zu hören gewesen. Es war nur ein leises Summen
in der Stille, vielleicht nur in meiner Einbildung, oder vielleicht summte nur
die von der Riesenlast über mir zusammengepreßte Luft in meinen Gehörwindungen.
Die Stadt über meinem Kopf war wie ein ungeheurer Generator, dessen unablässige
Vibration kaum merklich in allem Gestein war, wo sie jenem feinen, fernher kommenden
Summen glich, es war unerklärlich vorhanden in allen Betonfundamenten, die mich
umgaben, und in der unvorstellbaren Zahl roter und brauner Ziegel, die zusammengesetzt
waren und hinabreichten und das Häusermeer der Stadt Berlin in der Erde verankerten.
-
(ich)
|
||
![]() |
||
![]() |
![]() |
|
![]() |
||
|
|
|
![]() ![]() |
![]() ![]() |