-
Heinrich von Kleist
Lähmung (2) Während sich ihr Körper durch seine Nähe entflammte, vermochte er nur ihren Namen zu flüstern: »Elena!« Dabei verspürte er eine derartige Lähmung in Armen, Beinen und Geschlecht, daß er nicht weitertanzen konnte. Was er bei der Nennung ihres Namens empfand, war die Gegenwart seiner Mutter, und zwar war sie so, wie er sie als kleiner Junge erlebt hatte: eine überlebensgroße Frauengestalt mit schwellenden Kurven, von losen weißen Gewändern verhüllt, mit Brüsten, die ihn genährt hatten und an die er sich lange über die Zeit der Entwöhnung hinaus geklammert hatte, bis ihm das ganze, dunkle Rätsel des Fleisches bewußt geworden war.
Jedesmal, wenn er die Brüste großer, stattlicher Frauen sah, die seiner Mutter
ähnelten, überkam ihn ein Verlangen, zu saugen, zu
kauen, zu beißen, den Brüsten weh zu tun, sein Gesicht
in ihnen zu vergraben, unter ihrer prallen Fülle zu ersticken, seinen. Mund
ganz mit den Warzen zu füllen. - (
nin
)
Lähmung (3) Schon hatte die sich entwickelnde Krankheit ihm die Flügel gelähmt. Er trank Selterser Wasser, während er seiner Gesellschaft die köstlichsten Weine vorgesetzt, und wenn er sonst bei solchen Gelegenheiten mit der unermüdlichsten Beweglichkeit den Tisch umkreiste, um einzuschenken und die Unterhaltung anzufachen, wo sie stockte, so saß er heute den ganzen Abend an seinem Lehnstuhl gefesselt. Nach Tische nahm die Unterhaltung zwischen Hippel und Hoffmann eine Wendung, die, wie sie Erinnerungen aus ihrer Jugendzeit herbeirief, auch des Todes und Sterbens erwähnen ließ. Der Herausgeber, mit unter den Geladenen, warf, vielleicht ihm selbst unbewußt, ein Wort dazwischen, dessen Sinn ungefähr das bekannte »das Leben ist der Güter höchstes nicht« war; aber Hoffmann fuhr ihm mit einer Heftigkeit, die so den ganzen Abend nicht zum Ausbruch gekommen war, entgegen: »Nein, nein, leben, leben, nur leben, — unter welcher Bedingung es auch sein möge!« Es lag etwas Entsetzliches in der Art, wie er diese Worte herausstieß, und sein Wunsch ist später auf eine furchtbare Weise in Erfüllung gegangen.
Denn er lebte zwar von da ab wirklich noch fünf Monate; — aber unter welchen
Bedingungen! Mit jedem Tage, möchte man sagen, versagte ein oder das andere
Glied seines Körpers mehr und mehr den Dienst; Füße und Hände, Folge der sich
ausbildenden Rückenmarksdarre (tabes dorsalis) starben ganz ab, ebenso einzelne
Teile des innern Organismus, und den Tag vor seinem Tode, wo die Lähmung bis
hinauf an den Hals getreten war, glaubte er sich völlig genesen, weil er nirgend
Schmerz mehr fühlte. - E.T.A. Hoffmanns Leben und Nachlass. Von Julius Eduard Hitzig.
Frankfurt am Main 1986 (it 1986, zuerst ca. 1825)
Lähmung (4)
Lähmung (5) Von der Tür her drang ein leises Knistern und das schwache Knarren der Türangeln. Da dieser Teil des Zimmers in vollkommenem Dunkel lag, konnte Crane nichts erkennen. Er wußte natürlich, daß es der Mörder sein mußte, und fühlte, wie ihn eine schreckliche Lähmung ergriff. Es war ein merkwürdiges Gefühl von Bewegungsunfähigkeit, wie er es manchmal in Träumen gehabt hatte, wenn er über eine Klippe rutschte oder in einem nicht funktionierenden Auto einen Hügel hinunterraste, aber er wußte, daß er jetzt nicht träumte. Das Geräusch kam auf leisen Sohlen näher, direkt und unbarmherzig auf ihn zu. Er hielt den Atem an, während ihm der Gedanke durchs Gehirn fuhr, daß es Dr. Livermore sein mußte. Er fragte sich, ob der Arzt ein Messer bei sich hätte oder ihn erwürgen wollte, getraute sich aber nicht, sich zu bewegen oder zu schreien, falls der Doktor eine Pistole hatte.
Jetzt war das Geräusch ganz nahe am Bett, und außer dem Mondlicht auf dem Boden sah man noch etwas glänzen. Plötzlich beugte sich eine Gestalt über Crane, der im Bett hochfuhr und sie packte und über sich zog, wobei seine Finger nach der Kehle suchten. Gleichzeitig riß er mit einem um den Eindringling geschlungenen Bein diesen um und wälzte sich auf ihn.
Er lag auf einer Frau, und sie war nackt. Sie griff mit beiden Händen nach
seinem Kopf und küßte ihn. Es war Mrs. Heyworth, und er sah ihre Augen im Mondlicht
irr glänzen. Crane machte sich von ihr frei, und für einen Moment schaltete
er völlig ab. Er hörte sich selbst schreien, dann sprang er aus dem offenen
Fenster. - Jonathan Latimer,
Mord bei Vollmond. Zürich 1991 (zuerst 1935)
|
||
|
||