ähmung   Die Überlegung findet ihren Zeitpunkt weit schicklicher nach als vor der Tat. Wenn sie vorher, oder in dem Augenblick der Entscheidung selbst, ins Spiel tritt: so scheint sie nur die zum Handeln nötige Kraft, die aus dem herrlichen Gefühl quillt, zu verwirren, zu hemmen und zu unterdrücken; dagegen sich nachher, wenn die Handlung abgetan ist, der Gebrauch von ihr machen läßt, zu welchem sie dem Menschen eigentlich gegeben ist, nämlich sich dessen, was in dem Verfahren fehlerhaft und gebrechlich war, bewußt zu werden, und das Gefühl für andere künftige Fälle zu regulieren. Das Leben selbst ist ein Kampf mit dem Schicksal; und es verhält sich auch mit dem Handeln wie nüt dem Ringen. Der Athlet kann, in dem Augenblick, da er seilen Gegner umfaßt hält, schlechthin nach keiner anderen Rücksicht, als nach bloßen augenblicklichen Eingebungen verfahren; und derjenige, der berechnen wollte, welche Muskeln er anstrengen, und welche Glieder er in Bewegung setzen soll, um zu überwinden, würde unfehlbar den kürzeren ziehen, und unterliegen. Aber nachher, wenn er gesiegt hat oder am Boden liegt, mag es zweckmäßig und an seinem Ort sein, zu überlegen, durch welchen Druck er seinen Gegner niederwarf, oder welch ein Bein er ihm hätte stellen sollen, um sich aufrecht zu erhalten. Wer das Leben nicht, wie ein solcher Ringer, umfaßt hält, und tausendgliedrig, nach allen Windungen des Kampfs, nach allen Widerständen, Drücken, Ausweichungen und Reaktionen, empfindet und spürt: der wird, was er will, in keinem Gespräch, durchsetzen; vielweniger in einer Schlacht. - Heinrich von Kleist

Lähmung (2) Während sich ihr Körper durch seine Nähe entflammte, vermochte er nur ihren Namen zu flüstern: »Elena!« Dabei verspürte er eine derartige Lähmung in Armen, Beinen und Geschlecht, daß er nicht weitertanzen konnte. Was er bei der Nennung ihres Namens empfand, war die Gegenwart seiner Mutter, und zwar war sie so, wie er sie als kleiner Junge erlebt hatte: eine überlebensgroße Frauengestalt mit schwellenden Kurven, von losen weißen Gewändern verhüllt, mit Brüsten, die ihn genährt hatten und an die er sich lange über die Zeit der Entwöhnung hinaus geklammert hatte, bis ihm das ganze, dunkle Rätsel des Fleisches bewußt geworden war.

Jedesmal, wenn er die Brüste großer, stattlicher Frauen sah, die seiner Mutter ähnelten, überkam ihn ein Verlangen, zu saugen, zu kauen, zu beißen, den Brüsten weh zu tun, sein Gesicht in ihnen zu vergraben, unter ihrer prallen Fülle zu ersticken, seinen. Mund ganz mit den Warzen zu füllen. - (nin)

Lähmung (3) Schon hatte die sich entwickelnde Krankheit ihm die Flügel gelähmt. Er trank Selterser Wasser, während er seiner Gesellschaft die köstlichsten Weine vorgesetzt, und wenn er sonst bei solchen Gelegenheiten mit der unermüdlichsten Beweglichkeit den Tisch umkreiste, um einzuschenken und die Unterhaltung anzufachen, wo sie stockte, so saß er heute den ganzen Abend an seinem Lehnstuhl gefesselt. Nach Tische nahm die Unterhaltung zwischen Hippel und Hoffmann eine Wendung, die, wie sie Erinnerungen aus ihrer Jugendzeit herbeirief, auch des Todes und Sterbens erwähnen ließ. Der Herausgeber, mit unter den Geladenen, warf, vielleicht ihm selbst unbewußt, ein Wort dazwischen, dessen Sinn ungefähr das bekannte »das Leben ist der Güter höchstes nicht« war; aber Hoffmann fuhr ihm mit einer Heftigkeit, die so den ganzen Abend nicht zum Ausbruch gekommen war, entgegen: »Nein, nein, leben, leben, nur leben, — unter welcher Bedingung es auch sein möge!« Es lag etwas Entsetzliches in der Art, wie er diese Worte herausstieß, und sein Wunsch ist später auf eine furchtbare Weise in Erfüllung gegangen.

Denn er lebte zwar von da ab wirklich noch fünf Monate; — aber unter welchen Bedingungen! Mit jedem Tage, möchte man sagen, versagte ein oder das andere Glied seines Körpers mehr und mehr den Dienst; Füße und Hände, Folge der sich ausbildenden Rückenmarksdarre (tabes dorsalis) starben ganz ab, ebenso einzelne Teile des innern Organismus, und den Tag vor seinem Tode, wo die Lähmung bis hinauf an den Hals getreten war, glaubte er sich völlig genesen, weil er nirgend Schmerz mehr fühlte. - E.T.A. Hoffmanns Leben und Nachlass. Von Julius Eduard Hitzig. Frankfurt am Main 1986 (it 1986, zuerst ca. 1825)

Lähmung (4)

Lähmung (5)  Von der Tür her drang ein leises Knistern und das schwache Knarren der Türangeln. Da dieser Teil des Zimmers in vollkommenem Dunkel lag, konnte Crane nichts erkennen. Er wußte natürlich, daß es der Mörder sein mußte, und fühlte, wie ihn eine schreckliche Lähmung ergriff. Es war ein merkwürdiges Gefühl von Bewegungsunfähigkeit, wie er es manchmal in Träumen gehabt hatte, wenn er über eine Klippe rutschte oder in einem nicht funktionierenden Auto einen Hügel hinunterraste, aber er wußte, daß er jetzt nicht träumte. Das Geräusch kam auf leisen Sohlen näher, direkt und unbarmherzig auf ihn zu. Er hielt den Atem an, während ihm der Gedanke durchs Gehirn fuhr, daß es Dr. Livermore sein mußte. Er fragte sich, ob der Arzt ein Messer bei sich hätte oder ihn erwürgen wollte, getraute sich aber nicht, sich zu bewegen oder zu schreien, falls der Doktor eine Pistole hatte.

Jetzt war das Geräusch ganz nahe am Bett, und außer dem Mondlicht auf dem Boden sah man noch etwas glänzen. Plötzlich beugte sich eine Gestalt über Crane, der im Bett hochfuhr und sie packte und über sich zog, wobei seine Finger nach der Kehle suchten. Gleichzeitig riß er mit einem um den Eindringling geschlungenen Bein diesen um und wälzte sich auf ihn.

Er lag auf einer Frau, und sie war nackt. Sie griff mit beiden Händen nach seinem Kopf und küßte ihn. Es war Mrs. Heyworth, und er sah ihre Augen im Mondlicht irr glänzen. Crane machte sich von ihr frei, und für einen Moment schaltete er völlig ab. Er hörte sich selbst schreien, dann sprang er aus dem offenen Fenster. - Jonathan Latimer, Mord bei Vollmond. Zürich 1991 (zuerst 1935)

 

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