-
(bin)
Fleisch (2) Verzehrt
jemand das Fleisch einer Frau, wird er unverhofft
zu Vermögen kommen. - (
byz
)
Fleisch (3) Das schneeweiße Bettlaken ließ
ihre Arme und Schultern frei; es fiel ihm schwer, den Blick von dem entblößten,
faltigen, bleichen, furchtbar alten Fleisch abzuwenden. Ihre mit einem
Tropf verbundenen Arme waren mit Gurten am Bettrand befestigt. In ihrer
Kehle steckte ein geriffelter Schlauch. Kabel, die an Aufzeichnungsgeräte
angeschlossen waren, kamen unter dem Laken hervor. Man hatte ihr das Nachthemd
ausgezogen; man hatte ihr nicht ermöglicht, das Haar zu einem Knoten zu
stecken, wie sie es seit Jahren jeden Morgen tat. Mit ihrem offenen langen
grauen Haar war sie nicht mehr ganz seine Großmutter;
sie war eine arme Kreatur aus Fleisch, sehr jung und sehr alt zugleich,
die jetzt der Medizin ausgeliefert war. - Michel
Houellebecq
,
Elementarteilchen. München 2001 (zuerst 1998)
Fleisch (4) Warum das männliche und das weibliche
Geschlecht entsteht, werde ich mit fortschreitender Rede erklären. Was
aber von beiden seinen Weg und die Harmonie findet, wird, als ein Feuchtes,
vom Feuer bewegt. In der Bewegung wird es entzündet
und zieht die Nahrung von dem, was in die Frau an Speisen und Atemluft
hineingeht, an sich, und zwar zuerst überall in gleicher Weise, solange
es noch locker ist. Von der Bewegung und dem Feuer
aber wird es trocken und fest, und wenn es fest wird, wird es ringsum dichter.
Dann hat das Feuer, das innen eingeschlossen ist, nicht mehr die Möglichkeit,
ausreichend Nahrung an sich zu ziehen, und es kann die Luft nicht ausstoßen
wegen der Dichtigkeit des Umgebenden. So zehrt es das innen vorhandene
Feuchte auf. Was nun seiner Natur nach in dem festen Kern hart und trocken
ist, wird von dem Feuer nicht für die Ernährung aufgebraucht, sondern es
wird stark und konsistent durch Verschwinden des Feuchten, und diese Teile
nennt man Knochen und Sehnen. Das Feuer baut den
Körper aus der Mischung durch Bewegung des Feuchten
der Natur gemäß aus folgenden Ursachen auf: Durch das Feste und Trockene
kann es nicht lange hindurchdringen, weil es von ihm keine Nahrung bekommt,
durch das Feuchte und Weiche aber kann es; denn das ist ihm Nahrung. Aber
auch in diesem ist Trockenheit vorhanden, die vom Feuer nicht aufgezehrt
wird. Das aber verfestigt sich ineinander. Das Feuer, das ganz innen eingesperrt
ist, ist in größter Menge vorhanden und hat sich den größten Durchgang
geschaffen. Denn die meiste Feuchtigkeit war an der Stelle vorhanden, die
man den Bauch nennt, und von dort drang es (das Feuer) nach außen, als
es keine Nahrung (mehr) fand, und machte Durchgänge für die Atemluft und
Zuweg und Ausgang für die Nahrung. Der feuchte Teil des Feuers aber, der
im übrigen Körper abgeschlossen war, schuf sich an diesen Stellen drei
Umgänge, die hohle Adern genannt werden. In den Teilen aber, die dazwischen
liegen, konsolidiert sich der Rest des Wassers
und wird fest. Das nennt man Fleisch. - (
hi
)
Fleisch (5)
FLEISCH Leichen. Es entsteht Streit. Alle schreien: Sehr, sehr richtig! Wer denkt an so verlorene Fernen? (stürzen an die Kellerfenster und schreien auf die Straße:)
Denkt uns: geknechtet und gekrochen, |
- (
benn
)
Fleisch (6) GAUDÍ Welcher Unterschied besteht zwischen einem Strumpfband und einem Architrav? Schließlich sind beide von Fleisch.
MANGANELLI Von Fleisch?
GAUDÍ Gewiß doch, Fleisch; damit meine ich nicht, daß sie eine Allegorie
auf das Fleisch sind, sondern daß sie wahrhaftig Fleisch sind; warum sonst hätte
ich einer unkeuschen Liebe zu einem Portal wegen die Verdammnis riskiert, warum
hätte ich mich mit Türklinken und Schirmständern an anrüchigen Orten verabredet,
warum hätte ich Decken, Simsen und Balkonen Anträge gemacht, die mich noch heute
schamrot werden lassen, warum Nächte unzüchtiger Schlaflosigkeit verbracht,
um einem Kamin zu huldigen? Fleisch, mein Freund, Fleisch; Krankheit, Unreinheit,
Tod. Fleischliche Sünden, steinerne Sünden; wenn dein Fleisch nicht mehr eins
ist mit deinem sündigen Tun, verwandeln sie dich, einen Fleischfresser, in versteinertes
Fleisch, und was kommt nach und nach aus dir heraus? Dein innerstes Gestein,
die weißen Steine deines Gebeins; und aus diesen Steinen habe ich meine Kathedralen
gebaut, die Häuser, Schlafgemächer, zweideutigen Türgriffe, die Ohren, die sich
öffneten zum Fluch des einzigen Ohrs, das in den Himmeln
sich wahrhaft zu öffnen vermag. . . Sie denken, ich war eine Kanaille?
Ich war es, jawohl, aber auf so schamhaft allegorische Weise! Ich hatte die
Aufgabe, eine allegorische Art des Sündigens zu finden: deshalb hat mich Gott,
der ein Bonmot zu schätzen weiß, von einer Trambahn zermalmen lassen. Eine sehr
subtile, eine sehr feinsinnige Allegorie. Vielen, fürchte ich, ist
das entgangen. - Giorgio Manganelli, Von der Unzucht mit Steinen.
Antoni Gaudí y Cornet. In: Unmögliche Interviews. Berlin 1996
Fleisch (7) DAS STÜCK FLEISCH Jedes Stück
Fleisch ist eine Art Fabrik: Blutmühlen und -keltern. Röhren, Hochöfen, Bottiche
liegen hier nahe bei Stampfhämmern, Fettpolstern.
Dampf steigt auf, siedend.
Düstre oder helle Feuer glühen rötlich. Bloßgelegte Bäche führen Schlacken und
Galle.
Und all das erkaltet langsam wieder zur Nacht, zum Tod. Alsbald, wenn
nicht der Brand, gehen doch andere chemische Reaktionen vor sich, die Pestilenzgerüche
auslösen. - Francis Ponge, Im Namen der Dinge. Frankfurt am Main 1973
(BS 336, zuerst 1942)
Fleisch (8) Mein Körper aus Fleisch das
lebt das Fleisch das wimmelt und sanft zu Flüssigkeiten zerläuft das zu Creme
zerläuft das Fleisch das zerläuft zerläuft zerläuft das milde und süße Wasser
meines Fleisches das Blut meiner Hand ich habe Schmerzen sanft an meinem geschundenen
Fleisch das zum Laufen zerläuft ich renne ich fliehe ich bin ein niederträchtiges
Individuum mit geschundenem Fleisch geschunden von Existenz
an diesen Mauern. - Jean-Paul Sartre,
Der Ekel. Reinbek bei Hamburg 2004 (zuerst 1938)
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