alkon  welche die Zeit zerknicken denn ich bin schon die neunte Woche, sagte er, hier. In der Luftschneise. Auf dem Balkon. Wo man Lust hat die Nacht zu verbringen wenn der Tag heiß war. Wo kaum Platz zum stehen ist weil die Liege sich streckt. Wo die elektrischen Schläge aus jenen Schichten des Himmels kommen welche die Zeit zerknicken: sie entspringen einer gescheitelten Stille nämlich einem Stadtteil den jeder kennt der weiß wo der Flughafen ist nämlich, sagte er, einer Quelle des Dröhnens nämlich hier auf dem Balkon. Erst ein leicht quälendes Kräuseln in der Luft später ein Ausbruch wie glühend und in Sekundenschnelle ins Gelände geschleudert, ins Ohr. Wellenschläge wie Wellenschlag, zu sehen zu hören ein brüllender stampfender schwellender Schmerz und man duckt sich wie unter Hieben, und, schweißgeboren, sagte er, wenn es wieder vorüber ist.

Welche die Zeit zerknicken, sagte er, Hammerschläge auf einem Wellblechdach, vis à vis hinter der grün gebohnerten Natur eines Gartenrelikts. Mit Kreissägen, Schweißbrennern, Silbermasten, Blechfetzen.  - Aus: Friederike Mayröcker, rot ist unten. In: F. M., Gesammelte Prosa 1949 bis 1975. Frankfurt am Main 1989 (zuerst 1977)

Balkon (2)

- Nicole Claveloux (Illustr. zu Confessions d'un monte-en-l'air)

Balkon (3)

- Helmut Newton

Balkon (4)

Balkon (5)  „Ein sonderbarer Ort", sagte der Papst und tastete sich im Licht der Blitze zu einer Tür, die in einer Ecke des Zimmers zu sehen war.

Und da standen sie plötzlich auf einem Balkon etwa 400 Meter über dem Meeresspiegel, mitten in einem tobenden Sturm.
Der Balkon schwankte, als unterliege er dem Schlingern und Stampfen des Meeres, und das war gar nicht lustig. Auf der Suche nach einem Zugang, der es ihnen erlaubte, wieder ins Innere des Turms zu gelangen, gingen sie diesen Balkon entlang, der rings um das ganze Gebäude zu laufen schien. Nach mehrstündigem Gehen, das durch den heftigen Wind zur Qual wurde, gelangten sie ans Ufer eines Weihers, aus dem jeden Augenblick riesige Karpfen emporsprangen - der kleinste von ihnen hätte ein Schaf verschlingen können. Am Ufer war ein Kahn festgemacht. Natürlich war er für sie bestimmt. Sie stiegen ein und schifften zwei Tage und zwei Nächte lang umher. Um die Mitte des dritten Tages landeten sie an einem felsigen, verlassenen Gestade, dessen Stille nur von kurzen Hornstoßen unterbrochen wurde.

Sie stiegen unverzüglich an Land, sammelten Muscheln, um sich aus ihnen ein Mahl zu bereiten, und stellten dabei fest, daß die Felsen gar keine Felsen waren, sondern Muscheln von ungewöhnlicher Größe. Mit dem Sammeln mußten sie aufhören; Verblüfft sahen sie eine Art Koloß vor sich auftauchen, der beim Laufen ein kristallisches Geräusch von sich gab. Sie nutzten die Gelegenheit und fragten ihn:
„Zu Monsieur Raymond Poincaré, if you please?"

„Der hat sich an einem Hammelkeulenknochen verschluckt und ist soeben gestorben."

„An einem Hammelkeulenknochen verschluckt? Dann ist er also ein Hund?"

„Wieso ein Hund? Kommen Sie mit und sehen Sie ihn sich an."

Sie ließen ihre Muscheln liegen und folgten dem Koloß. Sie umgingen einen mit Zwiebeln bepflanzten Hügel und kamen zu einem Rollsteig, der sie rasch zu einer Art weitläufigem Hühnerstall transportierte. Über ihm wirbelten Tausende von Schwärmen buntfarbiger Fliegen.

„Der Zähnefriedhof", erklärte ihnen der Koloß kurzangebunden.

Sie traten von dem Rollsteig herunter und gelangten zu Fuß, quer durch die Riegen und den Hühnerstall hindurch, in weniger als fünf Minuten zu einem kleinen, von einer Eiche überragten Hügel. Nach dem Durchmesser seines Stammes zu urteilen, mußte dieser ehrwürdige Baum mindestens aus der Kreidezeit stammen. Er bedeckte mit seinem Schatten eine Bodenfläche, die nicht kleiner als die verheerten Landstriche Frankreichs gewesen sein dürfte.

„Monsieur Raymond Poincaré", vermeldete der Koloß salbungsvoll und stellte vor:

„Seine Heiligkeit Papst Pius VII., Madame Bäckerin, verheiratete Bäcker."

Dies versetzte den Papst und die Bäckerin, die Monsieur Raymond Poincaré noch immer nirgends erblickten, in gelindes Erstaunen. Pius VII,, der sich plötzlich entsann, daß der Koloß vom Ableben des Zahnarztes gesprochen hatte, fragte:
„Ach, ich dachte... sagten Sie nicht, Monsieur Poincaré sei beim Verschlucken eines Hammelkeulenknochens ums Leben gekommen?"

„Allerdings, und er hat sich in eine Eiche verwandelt."    - Benjamin Péret, Es war einmal eine Bäckerin ... , in: B. P., Die Schande der Dichter. Prosa, Lyrik, Briefe. Hamburg 1985 (Edition Nautilus)

 

Wohnung

 

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