ianist   Das zweite Gemälde in Erskines Zimmer zeigt einen Herrn in voller Größe am Piano sitzend, im Profil von rechts hinten, nackt bis auf den mit Notenpapier bedeckten Schoß. Mit der rechten Hand hält er einen Akkord, der von Watt mühelos als der  C-Dur-Grundakkord in seiner zweiten Umkehrung erkannt wurde, während er mit der anderen die Muschel seines linken Ohrs vergrößert. Sein rechter Fuß, dem der linke von oben Nachdruck verleiht, tritt mit aller Macht auf  das Forte-Pedal. Den kräftigen  Muskeln  von Nacken, Arm, Rumpf, Bauch, Lende, Oberschenkel und Wade, die wie angestrengte Saiten vorspringen, hatte Mr. O'Connery alle Fertigkeiten jesuitischen Tastsinns angedeihen lassen. Schweißperlen in so vollendeter Darstellung, daß sie eines Heem würdig gewesen wären, waren zahlreich über pektorale, subaxillare und hypogastrische Flächen verteilt. Die rechte Brustwarze, der ein langes, rotes, einsames Haar entsproß, war im Stadium   unverkennbarer Schwellung, ein reizendes Detail. Der Oberkörper war über die  Tastatur gebeugt,   und  der  Ausdruck  des   leicht  dem Betrachter zugewandten Gesichts glich dem eines Mannes, der drauf und dran war, sich nach vielen Tagen eines besonders harten Stuhls zu entledigen, seine Stirn war nämlich  zerfurcht,  die Augen  waren  zugekniffen,  die  Nasenlöcher geweitet, der Mund stand halb offen, und der Unterkiefer hing herab als eine nicht schöner vorstellbare Synthese aus Angst, Konzentration, Anstrengung, Erregung und Selbstaufopferung, als eine Illustration der auf ein musikalisches Wesen ausgeübten außerordentlichen Wirkung der leisen Kakophonie ferner, sich in den verklingenden  Akkord einmischender Obertöne. Mr. O'Connerys Liebe zum bedeutsamen Detail zeigte sich auch in der Malweise der Zehennägel, die auffallend üppig wucherten und vom Schmutz zu strotzen schienen. Auch den Füßen hätte ein wenig Wasser nicht geschadet, die Beine waren auch nicht frisch und  appetitlich zu nennen, Arschbacken und Bauch schrien nach  einem  Sitzbad  zumindest, die Brust sah abstoßend aus, der Hals war wirklich dreckig,  und in den Ohren hätte man mit bester Aussicht auf baldiges Keimen etwas einsäen können. - (wat)

Pianist (2)  ohren im konzert  der pianist läßt seine finger in die flasche rinnen, die ein klavier ist, und die flasche spritzt die finger als kölnischwasser in die ohrengalerie. die ohren aber haben keine feinen nasen. daher lassen sie das kölnischwasser in die ohrenständer rinnen, die innen hohl sind bis zu den plüschpolstern, auf denen sie als tiefe brunnen sitzen, und gähnen einander in den mund.  - Ernst Jandl, Laut und Luise. Frankfurt am Main 1990 (zuerst 1970)

Pianist (3, inspirierter)  

- N. N.

Pianist (4)    Paasch hatte das Klavier übernommen. Spielte im Alleingang. Spielte in die erste, zweite, dritte Morgenstunde, spielte dem Gebäude das Dach ab, die oberste, die darauf folgende, die über ihnen liegende Etage, legte alle Schichten frei, ließ Himmel und Regen und Wolken in den Saal, bis die in der MENSA Verbliebenen, die Examinierten, die Durchgefallenen, die noch-nicht-Examinierten, alle in den Morgen ragten, Ol-sens Geschäftstüchtigkeit (doppeltbezahlte Planstelle, Eigenheim, Auto) zerknülltes Papier war; Staruslaus sein Hörspiel schrieb, das an einem Tag aufgeführt in allen Sprachen zugleich verstanden wurde, Tyrannei und Willkür, denn dagegen schrieb er, wie Gewürm in die tiefste Erdspalte krochen; der Sänger und Amerikanist die Aussicht vom Empire State Building (102 Stockwerke) genoß. Lisa Delauney allen Dingen, nur durch das Auflegen ihrer kleinen Hand Flügel verlieh; J.W.Stalins Bild an weißer Wand sich in das aus Mais gefügte Gesicht N.S. Chruschtschows wandelte und viel später dann in das des Heben Gottes; Arlecq und Einde (oder war es lsabel) Hand in Hand durch das milde Grau der Straßen gingen, vorbei an erloschenen Schaufenstern, schweigenden Plakaten, leeren Parkbänken, durch Baumreihen, auf Wiesen zwischen einem Dreieck von Straßen, indes Paasch sich auf das Dach des Hochhauses emporspielte, die zeitschlagenden Zyklopen verdrängte, das Klavier an die Stelle der Glocke setzte, in der Leere des Herzens, welche der Zustand des Weisen ist, sich selbst, Name, Stand, Berufs- und Familiensinn, in der erhebenden Wirkung der Musik auflösend. - Fritz Rudolf Fries, Der Weg nach Oobliadooh. Leipzig 1993 (zuerst 1975)
 
 

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