- Martin
Walser, Das Einhorn. Frankfurt am Main 1966
Strand (2) In meinen Vorstellungen von etwas richtig Herrlichem, ist auch immer eine Wanderung zusammen mit jemanden, den man liebt, am Meeresstrand entlang. Man braucht nicht reden; geht nur Seite an Seite und fühlt, wie man im Gleichklang ist, und man empfindet jede Vibration des andern, auf welcher Wellenlänge auch immer.
Gehe ich einsam am Meeresstrand, so fühle ich mich im Zusammenhang mit der
ganzen Menschheit; aber ich empfange auch Impulse von oben, von höheren Regionen,
komme in Extase und werde buchstäblich emporgehoben. -
August
Strindberg
Strand (3) Die Sonne goß Feuer vom Himmel.
Der Lärm vom Strand übertönte noch den des Ozeans. Auf der Strandpromenade schlug
ein italienischer Wassermelonenverkäufer mit einem Messer au ein Blech und rief
mit wilder Stimme nach Käufern. Jeder brüllte auf seine
Weise: Verkäufer von Popcorn und warmen Würstchen, Eiscreme und Erdnüssen, Zuckerwatte
und Maiskolben. Ich kam an einer Bude vorbei, in der ein Geschöpf,
halb Frau, halb Fisch, ausgestellt war; an einem Wachsfigurenkabinett mit den
Gestalten von Marie Antoinette, Buffalo Bill und John Wilkes Booth; in einer
anderen Bude saß im Dunkeln ein Astrologe mit Turban, umgeben von Karten und
Globen der Himmelskonstellationen, und stellte Horoskope. Pygmäen tanzten vor
einem kleinen Zirkus, ihre schwarzen Gesichter waren weiß bemalt, und alle waren
mit einem Strick lose aneinandergebunden. Ein mechanischer Affe blies seinen
Bauch wie einen Blasebalg auf und lachte heiser. Negerjungen schossen auf Blechenten.
Ein halbnackter Mann mit schwarzem Bart und Haaren bis auf die Schultern, verhökerte
einen Trank, der die Muskeln stärken, die Haut verschönern und verlorene Manneskraft
wiederbringen sollte. Er zerbrach mit seinen Händen
schwere Ketten und verbog Münzen zwischen seinen Fingern.
Ein wenig weiter kündigte ein Medium an, daß sie die Geister Verstorbener herbeirufen,
die Zukunft voraussagen und in Liebes- und Ehegeschichten Rat erteilen könne.
-
Isaac Bashevis Singer, Ein Tag in Coney Island. In: I.B.S., Der
Kabbalist
vom East Broadway.
München 1978 (zuerst 1972)
Strand (4)
Strand (4) Ein Stück STRAND,
an dem keinerlei Meer liegt; rötlich fahler Sand, der kein Leben kennt, unwirkliches,
zerbröckeltes Gefels, beinahe zermalmte Kieselsteine, Staub lebloser Meteoriten.
Ein Ort geduldiger, analphabeüscher Traurigkeit oder vielleicht Gleichgültigkeit;
denn man weiß nicht, was für eine Beziehung dieser Strand zu dem nicht vorhandenen
Meer unterhält. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß als zweiter Ort ein Meer
vorhanden ist; während die Meteoriten, die sicherlich da sind, den Strand nicht
zu treffen scheinen, sondern entweder seit eh und je dort zertrümmert Hegen
oder nie den zersplitterten Frieden des Sturzes erlangen werden. Der STRAND
hat also keine Erinnerung an das Meer noch Hoffnung auf das Meer, noch bedrängt
ihn ein Meeresprojekt; es könnte ihm also selbst jeglicher Begriff von Meer
oder Welle überhaupt, auch von Fluß oder See oder jeglichem Wasser völlig fremd
sein; bestünde nicht die unanzweifelbare Tatsache, daß dies ein Strand ist und
nicht einfach ein leerer Fleck. Also wird er, da er STRAND ist, in irgendeiner
Beziehung zur Hypothese des Wassers stehen; und es ist nicht unmöglich, daß
der Strand und die Pfütze auf ihren wechselvollen Reisewegen einander bisweilen
nahe genug kommen, um sich beide einen für sie sinnvollen Zustand vorstellen
zu können. Aber das ist eine bare Hypothese; und es kann sein, daß dem Strand
das Meer nur namentlich bewußt ist und er nichts anderes braucht. -
Giorgio Manganelli, System. In: (
irrt
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