irche   Mein Kriegskommissar ist immer noch nicht da. Ich suche ihn im Stab, im Garten, in der Kirche. Das Kirchentor steht offen, ich gehe hinein, und mir entgegen glimmen, vom Deckel eines aufgebrochenen Sarges, zwei silberne Totenschädel. Vor Schrecken stürze ich nach unten, in die unterirdischen Gewölbe. Eine Eichentreppe führt von hier hinauf zum Altar. Und ich sehe eine Menge Lichter, oben, direkt unter der Kuppel vorbeihuschen. Ich sehe den Kriegskommissar, den Chef der Sonderabteilung und Kosaken mit Kerzen in den Händen. Sie antworten auf meinen schwachen Ruf und holen mich aus dem Keller.

Die Totenschädel, die sich als Schnitzwerk auf einem Katafalk erweisen, schrecken mich nicht mehr, und wir setzen die Durchsuchung gemeinsam fort, denn es war eine Durchsuchung, angeordnet, nachdem man in der Wohnung des Priesters Berge von Soldatenuniformen gefunden hatte.

Blitzend mit den gestickten Pferdeköpfen unserer Ärmelaufschläge, flüsternd und mit den Sporen klirrend, ziehen wir unsere Kreise in dem hallenden Gebäude, tropfendes Wachs in den Händen. Gottesmütter, mit Edelsteinen besetzt, verfolgen unseren Weg mit rosigen Pupillen, wie denen von Mäusen, die Flamme in unseren Fingern flackert, und quadratische Schatten krümmen sich auf den Statuen des heiligen Petrus, des heiligen Franziskus, des heiligen Vinzenz, auf ihren roten Wangen und ihren lockigen, karminrot gemalten Bärten.

Wir ziehen unsere Kreise und suchen. Unter unseren Fingern springen Elfenbeinknöpfe auf, teilen sich in zwei Hälften geschnittene Ikonen und eröffnen uns unterirdische Gewölbe und in Schimmel erblühende Höhlen. Das Gotteshaus ist alt und voller Geheimnis. Es birgt hinter seinen Hochglanzwänden Geheimgänge, Nischen und Flügeltüren, die sich geräuschlos öffnen.

Oh, dummer Priester, der an den Nägeln des Erlösers die Leibchen seiner Pfarrtöchter aufhängt! Hinter der Pforte fanden wir einen Koffer mit Goldmünzen, einen saffianledernen Sack mit Banknoten und Etuis Pariser Juweliere mit Smaragdringen.

Dann zählten wir das Geld im Zimmer des Kommissars. Türme aus Goldstücken, Teppiche aus Geldscheinen, der Wind, der stoßweise in die Kerzenflammen blies, der Krähenwahnsinn in den Augen von Pani Eliza, das Donnergelächter Romualds und das unaufhörliche Brüllen der Glocken, geläutet von Pan Robacki, dem wahnsinnig gewordenen Glöckner.

»Fort, — sagte ich zu mir, — fort von diesen zwinkernden Madonnen, betrogen von Soldaten . . .« - Isaak Babel, Die Reiterarmee. Berlin 1994 (Friedenauer Presse, neu übs. von Peter Urban - zuerst 1926)

Kirche (2) Eines Abends schlummerte Trivulzio, der in der Nacht vorher nicht geschlafen hatte, an dem Grabe ein, und als er aufwachte, fand er die Kirche bereits geschlossen. Er entschied sich leicht dafür, die Nacht hier zu verbringen, da er gern seiner Trauer nachhing und seine Schwermut nährte. Er hörte nacheinander die Stunden schlagen, und er hätte bei jeder gewünscht, daß es die seines Todes sei.

Endlich schlug es Mitternacht. Da öffnete sich die Tür zur Sakristei, und Trivulzio sah den Mesner eintreten, die Laterne in der einen und einen Besen in der anderen Hand. Doch dieser Mesner war nur ein Skelett. Er hatte ein wenig Haut im Gesicht und etwas, was sehr eingefallenen Augen glich, aber sein Chorhemd, das eng an den Knochen anlag, ließ gut genug erkennen, daß die Gestalt überhaupt kein Fleisch mehr hatte.

Der fürchterliche Mesner setzte die Laterne auf den Hauptaltar und entzündete die Kerzen wie zur Vesper. Dann ging er daran, die Kirche auszukehren und die Bänke abzustauben. Er kam sogar einige Male an Trivulzio vorüber, schien ihn aber nicht zu bemerken.

Schließlich ging er zur Tür der Sakristei und läutete das Glöckchen, das sich immer dort befindet. Da öffneten sich die Grabstätten, die Toten erschienen, eingehüllt in Leichentücher, und stimmten in sehr schwermütigem Ton Litaneien an. - (sar)

Kirche (3)  Wer nicht weiß, daß die Kongreßhalle im Tiergarten »Schwangere Auster« oder auch »Jimmy Carters Lächeln« genannt wird, der Palast der Republik »Palazzo Prozzo« und die Philharmonie »Zirkus Karajani«, kann gleich einpacken und wegziehen. Schon weniger bekannt sind die unchristlichen Spitznamen für einige Kirchen: Da ist zum Beispiel der »Seelengasometer« in Lichterfelde - die Bauweise der dortigen Johanniskirche gemahnt ein wenig an eine Gasanstalt - oder das »Kraftwerk Christi« in Dahlem oder auch die »Jenseitsmorchel« alias Gedächtniskirche auf dem Breitscheidplatz, deren neuere Gebäude nach ihrem Architekten auch »Eiermanns Entlüftungsanlage« genannt werden. - TAZ-BERLIN  vom 4. Mai 1991

Kirche (4)  Man muß an der Kirche die Lüge empfinden, nicht nur die Unwahrheit — so weit die Aufklärung ins Volk treiben, daß die Priester alle mit schlechtem Gewissen Priester werden —, ebenso muß man es mit dem Staate machen. Das ist Aufgabe der Aufklärung, den Fürsten und Staatsmännern ihr ganzes Gebaren zur absichtlichen Lüge zu machen, sie um das gute Gewissen zu bringen und die unbewußte Tartüfferie aus dem Leibe des europäischen Menschen wieder herauszubringen. - Friedrich Nietzsche, Nachlass ("Die Unschuld des Werdens" II)

Kirche (5)  Eine unterirdische, den Toten geweihte Kirche am Ufer der Tiber, deren Wände mit Totenschädeln von oben bis unten, gräßlich-zierlich geschmückt sind, in deren Wandnischen die zusammengetrockneten Körper einiger unter freiem Himmel gestorbener Armen leibhaftig, noch mit ihren Lumpen bedeckt, Stäbe in den knöchernen Händen haltend, dem Eintretenden fürchterlich entgegengrinsen, und die durch eine transparente Inschrift, worin Jugend, Pracht und Stolz mit Flammenschrift an die Vergänglichkeit alles Irdischen erinnert werden, erleuchtet wird. Darüber eine ordentliche Kirche voll von Menschen und Pfaffen; davor drei schwarz gekleidete Männer mit großer eherner Büchse, die sie, ernst zu Totenopfern auffordernd, gegen die Ankommenden schütteln.   - Karl Philipp Moritz, Italienische Reise, nach (heb)

Kirche (6)  Er merkt, daß ein Mann, der uriniert, ein Mann, der sich zurückzieht, um sich zu entleeren, etwas gänzlich anderes ist als ein Mann, der durch die Straßen der Stadt schlendert, er ist ein Mann, der nicht lügt, der sich als Kreatur, als Nahrungsdurchgang, als vergänglich erkennt, zugleich sieht er in dem, der da auf die Kacheln gestützt uriniert, den Menschen, der an seinen eigenen Ausscheidungen verzweifelt — an der unheimlichen Effizienz seines Körpers, an der Ungewißheit darüber, was es wohl bedeutet, daß der Mensch seine Genitalien zum Urinieren benützt Der geringste aller Orte ist zugleich eine Katakombe, und der Wärter der öffentlichen Bedürfnisanstalt merkt, daß die Gebärde des Urinierens ein Flehen enthält, daß die Schande und Wirklichkeit in einem ist, das Geringste und das Höchste, und sein Pissoir ist für ihn jetzt eine Kirche und er selbst ihr Zelebrant. - (pill)

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