Hier eine sehr ungenügende Zusammenfassung des Werks von Defontenay:
Ein Bolid stürzt über dem Himalaya ab. Man findet darin eine
Cassette. Sie enthält starische Manuskripte. Der Autor erzählt
die Entdeckung folgendermaßen:
»Trotz meines kalten Ekels angesichts dieses häßlichen
Schauspiels
trieb mich doch die Neugier dazu
die himmische Masse genau zu prüfen
die einen Augenblick lang vielleicht in der Hand Brahmas
gelegen hatte oder die zumindest lange am Himmel umhergeirrt ist in den oberen Fluten
des Sternenmeers. Ich räumte den Schnee weg in dem dieser Stein
des Himmels lag und darauf konnte ich die glimmerartige und ein wenig rauhe Scheibe seines
Bruchs sehen geschmückt mit den leuchtendsten Pailletten... «
(Diese typographische Anordnung weist bereits auf eine gewisse
Originalität hin. Das hat es seitdem sogar nicht mehr wiedergegeben.)
Das Sonnensystem , der Kassiopeia setzt sich zusammen aus: einer Sonne,
Ruliel, um die herum sich drehen:
1. Altheter (Sonne) »von durchsichtigem Grün«;
2. Star (Planet) und fünf Satelliten: Tassul, Lessur, Rudar, Elier
(»eine diaphane, feste und kompakte Kugel, wie eine Kristallerde. aber
durchsichtig wie die gute, erträgliche Luft«) und Urias (eine
leuchtendrote Sonne);
3. Erragror (eine Sonne »mit reinblauer Scheibe«).
Auf Star umfaßt die Vegetation unter anderem den Syphus, den Tarrios
und den Bramil. »Das Blattwerk des Syphus ist von einer Orangenfarbe,
die von der Samtigkeit des Blätterrands abgeschwächt wird; seine
Blüten sind Trauben von zartem Grün...
»Wir streifen durch geheimnisvolle Wälder, in deren Baumdickicht,
Korallen ähnlich oder grünen und gelben Madreporen, die mit
schönen blauen, harten und widerstandsfähigen Blüten bedeckten
Steinäste wie Elfenbeinklingen mannshoch emporragten. Diese Art Waldkoralle
kam uns vor wie eine besondere Gattung monokotyledonischer Bäume, deren
Epiderm einen sehr dicken Kalkbelag absondert, der dann, wenn er an der Luft
hart wird, den Stamm und die Zweige wie ein Futteral umgibt und den Blüten
die Konsistenz, den Glanz und die Härte des Porzellans verleiht. Der
Tarrio ist ein Meerbaum, »der riesige Wälder über die
flüssige Fläche der Ozeane hängt«. Was die Bramilen
angeht, »so setzen sie sich mittels eines krallenbewehrten
Tuberkelfußes, den sie in die feuchte Erde rammen, am Rande
fließender Gewässer fest.« »Unsere unvorhergesehene
Ankunft am Ufer eines Flusses verursacht dort einen eigenartigen Tumult.
Unzählige Bäumchen mit grünen, leuchtenden Blättern fliegen
wie Vögel auf und fliehen in die Lüfte, anstelle von Flügeln
mit Zweigen und Blättern schlagend, und lassen sich in einiger Entfernung
an den Böschungen nieder.« Die bemerkenswertesten unter den
Tieren sind der Psargina, »ein Vierbeiner mit weichem, dichtem
Pelz«, der eine »Innenhaut besitzt, die ein Gas abzusondern
vermag, das fünfzehn- oder zwanzigmal leichter ist als die Luft und
ihm erlaubt, sich wie ein Ballon in die Lüfte zu erheben«, und
der Gitos, ein blauer Vogel mit goldenem Schnabel und goldenen Flügeln,
ein domestizierter Vogel. Die Schiffe werden von Talersis, »riesigen
Meerungeheuern« gezogen, die ein wenig an die Anti-Wale Fouriers erinnern.
Zwei Rassen bewohnten Star, die eine »vornehm, schön und
stark«, die andere »klein und haarig«. Nur die erstere
gehört der menschlichen Gattung an, die andere ist lediglich eine
»Nation perfektionierter Tiere«, es sind die
»Repleux«. Die Mischlinge zwischen Mensch und Repleux sind
unfruchtbar; es sind die »Cetraciten«. Zu Anfang gab es
drei Nationen: die Savelcen, die Trelioren und die Ponarbaten.
Mythologie der Savelcen: »Im Anfang war auf Erde und im Himmel
Panether, der später der Fürst der Götter wurde. Doch neben
ihm existierte auch seit Ewigkeit ein Oxiur, eine Art kleiner Wurm: Da Panether
als Gefährten und Zeitgenossen nur Oxiur hatte, paarte er sich mit ihm,
und daraus entstand eine Maikäferlarve.Als Panether dieses vollkommene
Tier sah, vereinigte er sich mit dem Maikäfer und das Ergebnis dieser
Vereinigung war die Fledermaus. Hier begann Panether bereits stolz sein Werk
zu betrachten, und aus seiner Liebschaft mit der Fledermaus entstand der
erste Mensch namens Poub und die erste Frau, die Minelis geheißen wurde.
Ms Panether dieses wunderbare Geschöpf sah, wollte er es dem Mann streitig
machen, doch der hatte Minelis bereits zu seiner Gefährtin gemacht,
und die beiden ersten Menschen hatten zusammen mehrere Kinder. Es wird jedoch
erzählt, daß Panether, wild vor Liebe und Begierde, Minelis zur
Pflichtvergessenheit trieb und daß die Frucht dieser Untreue die Geburt
mehrerer Götter war, die unter der Aufsicht und Herrschaft des großen
Panether die Dinge der Natur lenkten. Die Götter, Söhne Panethers,
waren unfruchtbar, aber die Menschen vermehrten sich unendlich.« Die
Ponarbaten »hatten keine Vorstellung von Göttern. Ihre Philosophen
oder ersten Moralisten schrieben die Schöpfung oder Urzeugung des Menschen
jahrhundertelangen Veränderungen der Tiergattung zu, von denen einige
Exemplare zufällig höhere Arten zeugten, die die Geschlechter
begründeten. So ist ihnen zufolge der Mensch aus dem Repleux entstanden,
der selber einige tausend Jahrtausende zuvor aus der nächst niederen
Tiergattung entstanden ist und so weiter.« Die Salvecen huldigen
dem Sternenkult; an der Stirnseite ihrer Tempel, die so etwas wie Museen
sind, stehen folgende Worte: Arbeit und Verschwendungssucht. Die Salvecen
waren religiösen Meinungsverschiedenheiten ausgesetzt; die Ponarbaten
widmeten sich dem materiellen Luxus; die Tre lioren domestizierten die
Repleux' und entdeckten die Menseden oder Longeviten der Insel Tustot,
Menschen mit dunkelblauem Haar, »zartgrünen« Augen,
geschlechtslos und unsterblich. Nach einer 800 Jahre währenden Periode
der Ruhe gingen dem Auf treten der »langsamen Pest«, bei der man
nach mehreren Jahren entsetzlicher Leiden an einem »Ubermaß
an Wollust« starb, Erdbeben und Überschwemmungen voraus. Darauf
verkündete Farnozas die Notwendigkeit des Selbstmords, des Mords und
derAusloschung der menschlichen Gattung. Während dieser Zeit stellte
Ramzuel, ein Bewohner der Insel Infressia, Untersuchungen über die
Schwerkraft an, da er »die Möglichkeit erkannt hatte, seinem
Handeln harmonische Ausgewogenheit zu verleihen, ohne die Kraft zu
zerstören, die die Moleküle zusammenhält.« Mit Hilfe
dreier berühmter und gelehrter Nemseden baut er zwei Abaren, riesige
Maschinen in Eiform, »außen verkleidet mit einer
Metallhülle, die lediglich an bestimmten Stellen von kleinen, mit einem
Gewebe aus dem gleichen Metall bedeckten Verglasungen durchbrochen waren.
Auf dieses Metallblättchen, das die Abaren von allen Seiten einhüllte,
wurde nun die physikalische Einwirkung gerichtet, die die Grundlage von Ramzuels
Endeckung bildete und die bei den von den Metallblättchen eingehüllten
Körpern die Wirkung der Schwerkraft aufhob oder die Abaren sogar dazu
brachte, gegen die Erdanziehung zu kämpfen.« Während Farnozas
die letzten Menschen am Kap des Abgrunds vernichtet oder Selbstmord begehen
läßt, verlassen Ramzuel, seine Fa milie und die drei Nemseden
Star auf ihren beidenAbaren. Auf der Erde blieben nur noch die nicht von
der langsamen Pest befallenen Cetraciten und Repleux zurück. Die Cetraciten
stillen zugun sten ihrer Repleux-Verwandten einen Adel. »Die Menschen
hatten keinen Adel gekannt. Der dumme und eitle Gedanke, der solche
Unterscheidungen aufkommen ließ, wäre nie im Kopfe eines Menschen
entstanden.« Bei den Repleux »bedeutete die Armee alles«
und Portamt, der Gesetzgeber der Cetraciten, ließ »die
Tyrannei eines religiösen Aberglaubens - den des Oxyure -
schwer auf dem Volke lasten.« Die Abaren legen auf dem Tassul an,
dem ersten Satelliten, der von »mit den Organen von Mann und Frau
versehenen« Hermaphroditen bewohnt ist, und die »allein durch
ihre eigene Fähigkeit in der Lage waren, Menschen zu zeugen und zu
gebären ... Sie fanden in sich selber lebhaft sprudelnde Quellen
natürlicher Glückseligkeiten. Das am weitesten verbreitete Tier
dieses Globus ist eine Art Reptil, Kugel genannt, das, wie sein Name schon
sagt, die Form einer Fleischkugel von fahlemWeiß, ohne sichtbare
äußere Glieder oder Anhängsel, hat. Dieses Reptil lebt von
trockenem Gras und es geht oder besser es rollt durch der Haut übermittelte
Muskelkontraktionen auf dem Boden. Es flößte den Stariern lange
Zeit Ekel ein. Sie konnten diese fleischige Masse, die dick war wie ein
Männerkopf, mit einer Mundspalte über zwei Löchern, in denen
zwei immer starre, bewegungslose und wimpernlose Augen funkelten, nicht ohne
Entsetzen sehen.« Ramzuel stirbt und hinterläßt etwa hundert
Kinder Angesichts des allzu großen Wachstums der Bevolkerung
verläßt ein Teil der Starianer Tassul in Richtung Lessur
»In Lessur haben Nord und Zephir unterschiedliche Düfte«
und die Atmosphäre ist nicht blau, sondern golden. Bei den Lessurianern
»hatten die Zeugung und die sie begleitende Lust als
Beförderungsmittel häufig einen sympathetischen Magnetismus, dessen
Entladung in einer selben Umarmung und einer selben Liebe die Lebenskräfte
kombinierte.« Einige Starianer lassen sich in Lessur nieder, und
zweihundert Jahre danach brechen fünfhundert von ihnen in Abaren nach
Rudar auf Dort:
»In der Luft ein schwarzer Nebel
Wirft seinen Schleier, seinen Knebel
Weit über diese schwarze Erd'
Sowie den Himmel, unbekannt und doch begehrt.
Die Wasser, deren dichte Schlämme nützen,
Sie dringen vor und bilden schwarze Pfützen
Mitunter auch Morastkloaken,
Durch welche fahle Monster staken.«
Die Rudarianer sind groß, mager und knochig. »Ihre
einförmig silbrige Haut strahlt in einem ziemlich leuchtenden Metallglanz.
Ihr Kopf ist anstelle der Haare mit engstehenden, langen und glänzenden
Schuppen bedeckt, die bei jeder Bewegung der Schädelmuskein ein
Geräusch von sich geben, das dem der Klapperschlangen ähnlich ist.
Ihre smaragdgrünen Augen haben feuergelbe Augäpfel und besitzen
eine eigenartige Phosphoreszenz. ...
Bei den Rudarianern ist der Tod wirklich ein lebendiges und sichtbares Wesen;
es ist eine stoffliche Gattung von der Form und dem Rauminhalt einer
länglichen Blase, um die Außenhülle herum mit Membranen oder
herabhängenden Lamellen versehen, die ihm als Flügel dienen. Diese
Wesen, die nichts mit den anderen Wesen dieser Welt gemein haben, weder von
der Organisation noch von der Art her, sind für die menschliche Gattung
und für das Tierreich der alles verschlingende Feind und das Grab eines
jeglichen Lebens, denn die einzige Nahrung, die die Existenz dieser Toten
zu beleben und zu bewahren vermag, sind die Seele der Menschen und die
Lebenskräfte der Tiere, die sie anzuziehen und aus der Ferne auszulutschen
die Fähigkeit besitzen, wobei sich ihre Muskelhaut bläht. Nichts
anderes als unstoffliche Seelen oder Lebensgeister können ihnen Nahrung
sein und sie stärken. ...
Die Toten selbst können nur durch das heißeste Feuer umkommen,
weshalb die Rudarianer Waffen erfunden haben, die, mit einem mächtigen
Feuer geladen, manchmal auf einen einzigen Schlag die Vögel der
Menschenbestattungen zu vernichten vermögen.«
Die Starianer machen auch eine Reise nach Elier: »Pflanzen und
Minerale, Meere und atmosphärische Dämpfe sind hier absolut
durchsichtig. Nur die Menschen und die höheren Tierarten heben sich
vor allem durch eine milchige Lichtdurchlässigkeit ihres Körpers
ab. Lediglich ihre Augen, wie die unseren kon struiert, sind von einem
völlig undurchsichtigen Weiß. Die Muskeln dieser Menschenrasse
sehen aus wie farbige Asbestbündel. Das Blut, das in ihren Adern
fließt, ist der Lymphe gleich; das Venenblut scheint Chylus oder Milch
zu sein.« Acht Jahrhunderte sind vergangen; die Starianer beschließen
unter der Führung Marcucars mit hundert Abaren auf den
»Mutterplaneten« zurückzukehren. Die Repleux unterwerftn
sich sofort und die Starianer besetzen wieder ihren Planeten. Die drei
ehrwürdigen Nemseden geben ihnen den »Kult des Menschen« zur
Religion: Respekt, Vollkommenheit, Vergöttlichung des menschlichen Wesens.
Das Ziel eines jeden individuellen Lebens ist es,
»Gott zu werden«.
In politischer Hinsicht: Unabhängigkeit eines jeden gegenüber allen.
Beschränkung des Eigentums.
Der willentlich verursachte Schmerz ist eine Ruchlosigkeit und der Krieg
eine Freveltat.
* J.J. Marchand hat herausgefunden, daß Charles
Monselet in La lorgnette litteraire darüber geschrieben hatte
(1857), S. 69: »Defontenay. Seltsame, nebulöse Phantasie«.
9 Gemeint ist der Roman Les enfants du Limon (Die
Kinder des alten Limon).
- Raymond
Quenau
: Striche,
Zeichen und Buchstaben. Edition text und kritik - Frühe Texte der Moderne.
München 1990 (zuerst 1950)
Magie ist = Kunst, die Sinnenwelt willkührlich zu gebrauchen. -
Novalis, Vorarbeiten zu verschiedenen Fragmentsammlungen (entst. 1798)