Irre, literarische   

»Das Salz, das die Sonne gleichzeitig mit dem Salzwasser, das sie pumpt, an sich zieht, muß sehr stark zur eklipsialen Wirkungsweise beitragen.

Ich glaube, daß die Eklipse der stärkende und sympathische Knoten oder die allgemeine Kopulation für die ganze Natur ist und daß in dem Augenblick, in dem sich die Sonne und der Mond begegnen, sie sich gegenseitig widerspiegeln; und die Wirkung der Rückstrahlung hat die Eigenschaft, das Salz zum Schmelzen zu bringen, das sich über der Sonne ausbreitet; es ist das, was sie verfinstern kann. Ich glaube nicht, diese Finsternis dem chimärischen Grund zuschreiben zu können, daß ein kleiner Gegenstand unseren Augen einen größeren verbergen kann.«

»Das ist sicherlich falsch«, sagte Coltet ernst.

»Und daß die Sonne kalt ist ebenfalls«, fügte der Baron hinzu.

»Man weiß es nicht«, sagte Astolphe. »Eines Tages wird es einem Gelehrten vielleicht gelingen, es zu beweisen oder zumindest eine Wahrscheinlichkeitshypothese daraus zu machen.«

»Entschuldigen Sie bitte, meine Herren«, sagte Chambernac, »es handelt sich hier nicht um Wahrheit.«

»Es handelt sich um Irrsinn«, sagte Coltet.

»Nein. Nein. Es handelt sich weder um Wahrheit noch um Irrsinn. Ich vertrete hier einen ganz anderen Standpunkt. Also: ich nenne ›literarischen Irren‹ einen - gedruckten Autor, gedruckt, das ist wesentlich.«

»Warum?« fragte man.

»Weil das beweist, daß er sich genügend gesellschaftliche Anpassungsfähigkeit bewahrt hat, um nicht eingesperrt zu werden und um ein Buch zu veröffentlichen, was, wie ich glaube, eine ziemlich komplexe Tätigkeit ist. Ich sage also: ein gedruckter Autor, dessen Hirngespinste (ich gebrauche dieses Wort nicht als Schimpfwort) sich von all denen entfernen, zu denen sich die Gesellschaft, in der er lebt, bekennt, entweder diese Gesellschaft in ihrer Gesamtheit oder die verschiedenen, selbst kleinsten Gruppen, aus denen sie sich zusammensetzt, die nichts mit früheren Lehren zu tun haben und die ferner keinen Widerhall gehabt haben. Kurzum, ein literarischer Irrer< hat weder Meister noch Schüler. So kann etwa Fourier, trotz der Überspanntheit mancher seiner Behauptungen, nicht als solcher gelten, da er Schüler gehabt und man ihm eine Statue errichtet hat.«

»Dann kann also ein literarischer Irrer aufhören, es zu sein«, sagte Astolphe.

»Natürlich. Es genügt, daß er schließlich Bewunderer findet, ich meine: aufrichtige.«

»Aber schließlich sind nicht alle unbekannten Autoren literarische Irre.«

»Nein, natürlich nicht; sie müssen auch Dinge schreiben, die ein Durchschnittsmensch wie ich höchst eigentümlich findet. Ich möchte noch hinzufügen, daß ich mich auf das 19. Jahrhundert beschränkt habe, weil es darüber hinaus äußerst schwierig wird, über die wirkliche Eigentümlichkeit einer Erzählung zu urteilen. Man muß auch Moden sowie Sitten und Gebräuche in Betracht ziehen.«

»Trotzdem scheint mir das alles nicht ganz klar zu sein«, sagte der Baron.

»Na«, sagte Madame Hachamoth, die gerade wieder aufgetaucht war, nachdem sie im Zimmer nebenan den Tod des alten Limon beweint hatte, »na, Sie reden immer noch von Ihren Bestußten. Mein Gott«, rief sie aus, »mach, daß ich nie der Verschrobenheit anheimfalle«.   - (lim)

 

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