krieg  Mir träumte, ich gehe durch eine Stadt und sehe nichts als die gesichtslose Menge, die geschäftig an mir vorübereilte, da plötzlich merkte ich eine Bewegung, die, noch fern, durch die Menge zu wandern begann. Der Strom der Geschäftigen schien sich zu stauen und gleichzeitig auch so zu teilen, als gäbe er irgend jemand Besondrem den ungehinderten Durchgang frei. -

Die Bewegung kam näher; auch ich blieb stehen und blickte gleich den anderen dahin, wo das Sich-Teilen deutlich wurde, und plötzlich trat eine Alte hervor, nackt, mit mumienhaftem Gesicht, doch großgewachsen und auf kräftigen Beinen, ihre vollen Hängebrüste schwappten, und sie war vom Kinn bis unter den Nabel mit dichten Bartstoppeln bewachsen, die undeutlich ins Schamhaar übergingen oder auch in ein schwarzes, völlig offnes Geschlecht - Auch ihre Augen waren schwarz. - Sie schritt herrisch; sie beachtete uns nicht; sie schritt langsam, gleichgültig, anscheinend ziellos; sie schritt dahin, ohne etwas zu sagen, und es war, als schaue sie ins Leere, und sie achtete in nichts auf die Menge, die mit einem leisen Grauen, doch auch ohne Überraschung die Nackte ansah. Auch ich sah die Alte so dahingehn; sie ging nicht unfern von mir vorüber und entschwand wie seitwärts in der Menge, die langsam sich wieder hinter ihr zutat, und die Stimme einer jungen Frau sagte erbebend: Das war der Krieg. - Franz Fühmann, 13 Träume, nach (fue)

Krieg (2) Der Krieg ist es, der die Menschen und ihre Zeit zu dem machte, was sie sind. Ein Geschlecht wie das unsere ist noch nie in die Arena der Erde geschritten, um unter sich die Macht über sein Zeitalter auszuringen. Denn noch nie trat eine Generation aus einem Tore so dunkel und gewaltig wie aus dem dieses Krieges in das lichte Leben zurück.

Und das können wir nicht leugnen, so gern mancher wohl möchte: Der Krieg, aller Dinge Vater, ist auch der unsere; er hat uns gehämmert,  gemeißelt und gehärtet zu dem, was wir sind. Und immer, solange des Lebens schwingendes Rad noch in uns kreist, wird dieser Krieg die Achse sein, um die es schwirrt. Er hat uns erzogen zum Kampf, und Kämpfer werden wir bleiben, solange wir sind. Wohl ist er gestorben, sind seine Schlachtfelder verlassen und verrufen wie Folterkammer und Galgenberg, doch sein Geist ist in seine Fronknechte gezogen und läßt sie nie aus seinem Dienst. Und ist er in uns, so ist er überall, denn wir  formen die Welt, nicht anders, Anschauende im schöpferischsten Sinne. Hört Ihr nicht, wie er aus  tausend Städten brüllt, wie rings Gewitter uns umtürmen wie damals, als der Ring der Schlachten uns umschloß? Seht Ihr nicht, wie seine Flamme aus den Augen eines jedes einzelnen glüht?

Manchmal wohl schläft er, doch wenn die Erde bebt, entspritzt er kochend allen Vulkanen. -  Ernst Jünger, Der Kampf als inneres Erlebnis (1926)

Krieg (3) 1941 pinnte ich mir Ritterkreuzträger über mein Bett. Mölders, Kretschmar und Günther Prien.
»Junge, du machst die ganze Tapete kaputt.«
Günther Prien, den Sieger von Scapa Flow, schnitt ich aus der »Berliner Illustrierten« aus, ganz groß mit weißem Telefon. Über eine Ecke malte ich mit Ausziehtusche einen Trauerflor.
Frau Kröhl beanstandete, daß auch Mannschaften das Ritterkreuz bekämen.
»Dabei hat sie Hände wie'ne Waschfrau«, sagte meine Mutter.

Ich schrieb Briefe: »An einen unbekannten Soldaten.« Antwort bekam ich nie. Manfred schrieb auch an unbekannte Soldaten, der kriegte Granatsplitter geschickt und einen Beutel Buchweizen. Buchweizengrütze mit Milch.

Manfred hatte von seinem Vater eine Sammlung von Gewehrkugeln geerbt: belgische, französische, polnische; aus Kupfer und aus Messing.
Im Weltkrieg hätten die Franzosen sogar Dum-Dum-Geschosse verwendet. Am Gewehr extra eine Vorrichtung zum Abbrechen der Geschoßspitze. Die zerrissen das ganze Fleisch. Faustgroße Löcher. Und das sei doch nicht der Sinn der Sache, daß man Menschen möglichst übel zurichte. Man wolle sie ja auch eigentlich gar nicht töten, sie sollten ja nur aus dem Gefecht gezogen werden.

Bauchschuß, das stellte sich Manfred am schrecklichsten vor. Wenn denn so die grünen Gedärme raushängen und Erde kommt da dran: wie paniert; wie beim Baden die Büx, wenn man sich auf den Sand setzt. Wegen der Bauchschüsse

dürften die Soldaten vor dem Angriff nichts essen. Sonst dringe der Speisebrei bei Verletzungen in die Bauchhöhle, Erbsensuppe oder Kartoffelsalat, und alles vereitere. Wenn er wählen könnte, würde er einen Oberschenkeldurchschuß wählen. Fleischwunde natürlich.
Es gäbe ja auch Gehirnerschütterung oder Typhus, das wäre noch besser.

Und bloß kein Nahkampf!
Beim Angreifen würde er so tun, als ob er sich den Fuß verknackst habe. Und später, wenn alles vorbei ist, sich wieder dazustellen. Hinfallen - das könne ja mal passieren.
Oder sich ergeben. - Walter Kempowski, Tadellöser & Wolff. Ein bürgerlicher Roman. München 1971.

Krieg (4)

Niemals können die Zerstörung wirkenden Kräfte
Ständig erringen den Sieg und das Leben auf ewig vernichten,
Noch auch können die Kräfte, die alles erschaffen und mehren,
Alles Geschaffne auf ewige Zeit am Leben erhalten.
Also waltet der Krieg in unentschiedenem Wettstreit
Seit undenklicher Zeit in den Reihen der Urelemente.
Denn bald hier, bald dort sind die Lebenskräfte im Vorteil,
Ähnlich erliegen sie auch, und die Totenklage vermischt sich
Mit dem Gewimmer der Kindlein, die eben das Licht erst erblicken.
Niemals folgt dem Tage die Nacht und der Nacht dann der Morgen,
Der nicht Kindergewimmer vernähme vermischt mit dem Jammer,
Der schrilltönend den Tod und das schwarze Begräbnis begleitet.

- (luk)

Krieg (5)  Der thrakische Ares liebt den Kampf um seiner selbst willen. Seine Schwester Eris sucht immer wieder nach Gelegenheiten für einen Krieg, indem sie Gerüchte verbreitet und Eifersucht stiftet. So wie sie hat auch ihr Bruder keinerlei dezidierte Vorliebe für diese oder jene Partei, diese oder jene Stadt. Wenn die Lust zu töten ihn überfällt, kämpft er auf dieser oder jener Seite, mordend und zerstörend. Alle Götter, von Zeus und Hera angefangen, hassen ihn, ausgenommen Eris und Aphrodite, die eine widernatürliche Leidenschaft für ihn hegt, und Hades, der gierig auf die jungen Krieger wartet, die in grausamen Schlachten fallen.  - (myth)

Krieg (6)  Die 281. Division, mit mangelhafter Winterkleidung hinausgeschickt und durch den Frost sogleich fast aufgerieben, erhielt den Namen »Die Asthma-Division«.

An einer Grabenkreuzung fror ein Kommissar, der dort im Handgemenge von einem deutschen Gefreiten erschlagen wurde, im Stehen ein. Dieser Gefreite hat häufig fremde Offiziere durch die Stellung zu geleiten und pflegt sie dabei an seinem Kommissar vorbeizufuhren, gleich einem Bildhauer, der seine Arbeit zeigt.

Ein russischer Oberst wurde mit den Resten seines Regiments gefangen, das seit Wochen im Kessel gewesen war. Gefragt, woher er die Verpflegung für die Truppe genommen habe, antwortete er, sie hatten sich von Leichen genährt. Auf Vorhaltungen fügte er hinzu, daß er aber nur von den Lebern gezehrt habe. - Ernst Jünger, Strahlungen (2. März 1942)

Krieg (7)  Die Marquise Claude La-Checherelle und Maude spielten nach dem Abendessen immer das Leiterspiel. Es war ein Ritual, bei dem ich gerne zusah. Die Marquise bewegte ihre Figur immer in militärischer Ordnung und gab uns dabei unheimliche Berichte über Schlachten, die sie in ganz Europa und Afrika gefochten und gewonnen hatte. Die schüchterne Maude traute sich fast nie, diese häufig wiederkehrenden Kriegserinnerungen zu unterbrechen.

»Wir standen bis zum Hals im Schlamm«, pflegte die Marquise zu sagen, während sie den Würfel auf das Brett schleuderte. »Dem Hauptmann und mir pfiffen die Kugeln durch die Schiffchen, als wir aus den Gräben hervorspähten. Die Deutschen stießen gnadenlos mit ihrer schweren Artillerie vor. Panzer ließen ihre Maschinengewehre knattern wie rächende Roboter. Die Lage war verzweifelt. Wir waren todmüde, doch die Pflicht hielt uns taumelnd auf unseren Posten. ›Die einzige Hoffnung ist ein direkter Angriff, mon capitaine, wir stehen an beiden Flanken unter Feuer.‹ Der breite Kiefer des Hauptmanns zog sich sichtbar zusammen: ›Das wäre kaltblütiger Mord an der Truppe‹, erwiderte er, wobei seine blauen Augen scharf aus seinem schlammverkrusteten Gesicht blickten. Ich ergriff seinen Arm und deutete auf das Meer hinter uns. ›Wohin sollen wir uns zurückziehen?< sagte ich mit vor Aufregung rauher Stimme. ›Ist es nicht besser, im Kampf zu sterben, als von den Panzern in den Schlamm gestampft zu werden ?‹ >Ich muß mich, wie immer, Ihrem Rat beugen<, sagte der Hauptmann, ›en avant!‹ Und deshalb wendete sich die Schlacht von Ypres zu unseren Gunsten«, fuhr die Marquise bescheiden fort. »Die meisten von uns wurden vernichtet, einige ertranken bei dem Versuch, über den Kanal nach Dover zu schwimmen. Unser kleines Bataillon zwang die deutschen Panzer nach vierundzwanzig-stündigem ununterbrochenem Beschuß zum Rückzug.«   - (hoer)

Krieg (8)  Wer kein Privileg hat, ist gezwungen zu arbeiten. Der Privilegierte wiederum muß Krieg führen. So wie der Mensch ohne Privileg gezwungen ist zu arbeiten, muß der Privilegierte Krieg führen.

Der Krieg selbst hat das Privileg, ein Spiel zu sein. Er ist keine vernünftige Tätigkeit wie die anderen, die nur für das vorausberechnete Ergebnis sinnvoll sind. Der Krieg kann zwar vom Standpunkt der Nützlichkeit aus betrachtet werden: eine Stadt, ein Land können angegriffen werden und müssen sich verteidigen. Aber ohne die Zügellosigkeit in dem Land oder in den Städten, die ihre Nachbarn überfallen, ohne es nötig zu haben, könnten die Menschen den Krieg vermeiden. Der Anfang des Krieges ist die Folge von Zügellosigkeit, sogar dann, wenn er wirklich hier und da das unvermeidliche Ergebnis der Verarmung eines Gebietes ist, dessen Einwohner andernorts etwas suchen müssen, wovon sie weiterleben könnten.

Getrieben wurden diejenigen, von denen die Initiative zum Krieg ergriffen wurde, meistens von einem Ausbruch des Übermutes. Darum konnte der Krieg lange Zeit die Bedeutung eines Spiels haben — eines erschreckenden Spiels, aber eines Spiels.

Zu Zeiten Gilles de Rais' ist der Krieg immer noch das Spiel der Herren. Die Privilegierten begeistert dieses Spiel, wenn es das Volk auch niederschlägt. Es hat für die Privilegierten den letzten Sinn, den die Arbeit für die armen Leute nicht haben kann. Der Sinn der Arbeit ist ihrem Ergebnis untergeordnet, der Sinn des Krieges ist nichts anderes als der Krieg; der Krieg selbst fasziniert und erschreckt. Wer ähnlich wie Gilles de Rais in der Erwartung auf dies schreckliche Aufeinanderprallen der Heere lebt, Entsetzensschreie und Leid hinterlassend, kennt nichts, was ihm diese heftige Erregung sonst gäbe. Die Tatsache, daß die heutigen Generationen so gut wie nichts mehr von einer Exaltation wissen, die, obschon der Tod ihre Grundlage war, damals den am wenigsten verächtlichen Sinn und Zweck darstellte, ist dazu angetan, uns in dieser Welt dem Gefühl unserer Ohnmacht zu überlassen. Werden wir nicht blind, wenn die wahnwitzige Wahrheit von einst sich uns enthüllt?  - Georges Bataille, Gilles de Rais. Frankfurt/Main, Berlin, Wien 1975 (zuerst 1965)

Krieg (9)

Krieg (10, wohltätiger)  Wir glauben beobachtet zu haben, daß der Krieg ein echtes Bedürfnis im Menschen befriedigt, vielleicht im Zusammenhang mit der unter drittens erwähnten Grausamkeit, vielleicht aber auch nicht. Wir haben festgestellt, daß der Mensch nach einer Generation des Friedens ruhelos oder niedergeschlagen wird. Der unsterbliche wenn nicht allwissende Schwan von Avon bemerkt, der Frieden scheine eine Krankheit zu erzeugen, die sich zu einer Art Geschwür entwickle und zum Krieg aufplatze, »Krieg«, sagte er, »Ist das Geschwür von viel Wohlstand und viel Frieden, das aufbricht; es zeigt kein äußrer Grund, warum der Mensch dran stirbt.« Nach dieser Deutung wird der Frieden als schleichende Krankheit betrachtet, während das Aufbrechen des Geschwürs, der Krieg, eher wohltätig anzusehen ist als umgekehrt. Das Komitee weist auf zwei Möglichkeiten hin, durch die Wohlstand und Frieden die Menschheit zerstören könnten, falls der Krieg verhindert wird: durch Verweichlichung oder durch Drüsenleiden, die zu einem Dämmerzustand der Rasse führen. Zum Thema Verweichlichung muß angefügt werden, daß Kriege die Geburtenrate verdoppeln. Frauen dulden den Krieg, weil er die Virilität der Männer fördert. Fünftens. Schließlich kommen wir zu der Überlegung, die wahrscheinlich alle Tiere auf der Welt außer dem Menschen anstellen würden, daß nämlich der Krieg eine unschätzbare Wohltat für die Schöpfung als Ganzes ist, weil er eine schwache Hoffnung auf Ausrottung der menschlichen Rasse bietet.  - T. H. White, Das Buch Merlin. Düsseldorf u. Köln 1982

Krieg (10, wohltätiger 2)  Shakespeare, der zum Krieg offenbar die gleiche Einstellung hatte wie die Deutschen und ihr toller Verteidiger Nietzsche, sagt in einer Szene - die er angeblich für Beaumont & Fletcher geschrieben hat -, der Krieg heile mit Blut die kranke Erde und kuriere die Welt von der Pleuritis ihrer Menschen. Vielleicht darf ich in Parenthese und ohne Respektlosigkeit hinzufügen, daß der Barde beim Thema Krieg merkwürdig gefühllos zu sein schien. König Heinrich V. ist das abstoßendste Stück, das ich kenne, und Heinrich selbst der abstoßendste Held.  - T. H. White, Das Buch Merlin. Düsseldorf u. Köln 1982

Zerstörung Machtmittel Todesart
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VB

Frieden

Synonyme

Antbnym