uru  In der kleinen kalifornischen Stadt Ojay, ein paar Kilometer von Hollywood entfernt, als Vorortgemeinde zu dem Städte-Konglomerat Los Angeles gehörend, sind Hunderte von wissenschaftlichen Außenseiter-Gesellschaften registriert, Forschungsinstitute und sektiererische Geheimbünde, die alle glauben, etwas dem Lebensprozeß abgelauscht zu haben, die sogar manchmal einen neuen Akzent gefunden haben, den sie der leidenden Mitwelt, der an sich gleichgültigen, aber trotzdem neugierigen, mitzuteilen sich berufen fühlen — sie alle verfügen über große und kleinere Gefolgschaften, sie publizieren Mitteilungsblätter und geben Bücher heraus, veranstalten Vorträge und Geldsammlungen. Sie rufen, sie appellieren, und sie nehmen Geld ein.

Es gibt dort auch Hunderte von Gurus mit einer gepflegten und distinguierten Kundschaft, die sich in allen Lebenslagen beraten läßt, Leute, die es sich auch Geld kosten lassen — in Hollywood verdient man zeitweilig viel Geld. - Franz Jung, Erinnerung an einen Verschollenen. Ernst Fuhrmanns Lehre von den Zusammenhängen. In: Franz Jung, Schriften, Bd. 1, Salzhausen / Frankfurt am Main 1981

Guru (2) Unmittelbar nach Kriegsende fiel dann Fuhrmanns bedeutendstes Werk als Dichter. Es konzentriert sich auf die Person des Sehers, des Lehrers, der zu seinen Schülern spricht, des Künders von Erkenntnissen über das Wesen und die Geheimnisse der Natur, die Fuhrmann sichtbar werden läßt in der Urgeschichte der Menschheitskulturen, in den Sagen und Legenden, der Entstehung der Sprache bis zu den heutigen Formen der gesellschaftlichen Bindungen, dem Werdegang alles Lebenden schlechthin — noch ohne die Differenz zwischen dem Seienden und Scheinenden, dem Bleibenden und dem Zerfall. In diesem Lehrgedicht ist bereits der spätere Fuhrmann zu erkennen, es ist die Keimzelle biosophischen Denkens.

Fuhrmann sah Ideal und Vorbild im indischen Guru — dem Denkenden, der mit dem All eins ist, dem Lebenden in dem Leben ringsum, sichtbar gemacht in der Diktion der Propheten, dem Priester. Für den Guru bedeuten alle Erkenntnisse nichts, die einer sich erst mühsam er-werben muß, Objekte des Zweifels, dem Guru steht es nicht an, sich etwas anzueignen durch Lernen — er weiß es bereits aus dem Einswerden mit all dem Lebenden. Er ist weise, weil die Natur bereits von höchster Weis-heit ist. Aber der Guru ist ohne Gefolgschaft, ohne den Kreis der mitdenkenden und mitwissenden Jünger nicht vorstellbar. Fuhrmann hat, um dies hier vorwegzunehmen, diese Schüler nicht gefunden, keine Mitdenkenden, sondern allenfalls Gefolgsleute, die ihm in Bewunderung und Verehrung ergeben gewesen sind. Fuhrmann ist in dem Bemühen, Werk und Existenz ins Gleichgewicht zu bringen, mit vollem Bewußtsein dieses unlöslichen Konfliktes gerade an dieser Art von Gefolgschaft gescheitert.

Man hat oft genug nicht nur von seinen Gegnern, auch von seiten seiner Freunde auf die vielen Widersprüche hingewiesen, die sich im Privatleben Ernst Fuhrmanns fänden, sein Verhalten vielen seiner Anhänger gegenüber, Gutmeinenden, die ihm hätten zu einem breiteren Wirkungskreis verhelfen wollen und die er nur allzu oft provokativ abgewiesen hat. Es ist keineswegs leicht gewesen, durch das oft sehr rauhe Klima seiner Atmosphäre zu ihm vorzudringen. Aber das sind die Widersprüche, die dem Menschen zu eigen sind, der keine Kompromisse gelten lassen wird, der Unrecht tut und lieber jedes Unrecht auf sich nehmen wird, um selbst die Möglichkeit eines Einlenkens für den mehr allgemeineren Gebrauch einer Idee oder Gedankenverknüpfung im Keim zu ersticken. - Aus: Franz Jung, Erinnerung an einen Verschollenen. Ernst Fuhrmanns Lehre von den Zusammenhängen. In: Franz Jung, Schriften, Bd. 1, Salzhausen / Frankfurt am Main 1981

Guru (3)   Vivekananda starb 1902 noch nicht vierzigjährig: aber von den Generationen der »Meister« ist er wohl als einziger noch populär. Er war ein Schüler des geheimnisvollen und faszinierenden Ramakrishna, wanderte durch Indien, geriet in Not und Elend, wurde Missionar im Abendland und gründete die Vedanta-Society, die heute noch in Kalifornien gedeiht und nüchterne, vernünftige Köpfe wie Isherwood oder den zurückgetretenen Satiriker Aldous Huxley zu überzeugen vermochte. Vivekananda genießt großes Ansehen in Indien, und in den Augen der Welt gehört er zu denen, die dem Abendland das Geheimnis Indiens erklärten. Instinktiv mißtraue ich ihm. Trotzdem kann ich ihm eine gewisse Sympathie nicht versagen: Die Portraits zeigen uns einen dicken Mann mit einem irdischen Gesicht; aber hinter seiner Gestalt ahnt man die Zeichen jenes »Geistes«, der von der Theosophie bis zu den Veden, von Madame Blavatsky bis zu Gandhi reicht und der dann bei Krishnamurti, dem letzten der Propheten, enden sollte. Vielleicht ist dieser Gedankengang nicht ehrlich: aber das alles sieht mir nach einer kosmischen Entdramatisierung - einer Popularisierung der EWIGKEIT - aus, die mich weit mehr abstößt als das Lottospiel der neapolitanischen Träumerinnen. Ein Abendländer und (ehemaliger) Christ stimmt wohl einer Sache ohne Tragödie nicht zu, lebt nicht ohne Tod. Und trotzdem muß Vivekananda eine außergewöhnliche Persönlichkeit gewesen sein: ein großer Organisator, ein Demagoge des Vedanta, dazu ein Mann mit Humor.  - Giorgio Manganelli, Das indische Experiment. Berlin 2004 (zuerst 1992)

Guru (4)  

- Rosalind Solomon

Guru (5)  

Jaron Lenier

- Foto Michael Llewellyn, nach: Cyberspace. Ausflüge in virtuelle Welten. Hg. Manfred Waffender. Reinbek bei Hamburg 1991

Id genus omne Erloesungsbranche Inder
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