rdrutsch Die
Nachricht von einem nichtssagenden Geschehen, vielleicht
jener winzige Erdrutsch auf dem Felde des jähzornigen Bauern, war auf unerklärlichen
Wegen bis hinunter in die Stadt gelangt, und dabei war sie immer mehr entstellt
worden und zu einer Tragödie angeschwollen. Ähnliche Geschichten waren keineswegs
selten; im Grunde war das etwas ganz Normales im Leben. Aber diesmal ging es
auf Giovannis Kosten. Er freilich hatte keine Schuld daran; aber jedenfalls
kam er mit leeren Händen zurück und würde eine jämmerliche Figur machen. »Sofern
nicht...« Aber dabei lächelte er, indem er das Widersinnige der Sache ermaß.
Der Wagen hatte die Häuser von Sant' Elmo hinter sich gelassen; in steilen Kehren versank die Straße in der dunklen Höhlung des Tales, keine lebende Seele ringsum. Leise knirschte der Kies unter dem abwärts rollenden Wagen; die beiden Scheinwerfer tasteten den Weg zu beiden Seiten ab, streiften hin und wieder die gegenüberliegende Talwand, die tief hängenden Wolken, unheimliche Felsen, abgestorbene Bäume. Der Wagen fuhr langsam hinab, fast war es, als werde er von einer letzten Hoffnung zurückgehalten.
Plötzlich setzte der Motor aus, oder wenigstens schien es so; denn Giovanni
hörte in seinem Rücken - vielleicht war es eine Halluzination oder auch nicht
- nein, er hörte in seinem Rücken das Einsetzen eines ungeheuren Rauschens,
das die Erde zu erschüttern schien; und ein unaussprechlicher Aufruhr, der -
wie seltsam - der Freude nicht unähnlich war, überwältigte sein Herz. - Dino Buzzati, Die Maschine des Aldo Christofari. Frankfurt
am Main 1985
Fünf Stunden donnerten die Gießbäche, Felsen und Schuttlawinen; die Bergflanke bebte. Fünf Stunden kauerte die Geliebte neben dem Gehaßten, unverletzt, naß bis zur Haut, frierend, obwohl es warm war. Fünf Stunden schrien und keilten hufoben die Mulis und rüttelten durch das verknäulte Geschirr den Wagenkasten, der ohne Räder hintüber auf dem Steinmeer saß, bedeckt von grauenvoller Dunkelheit.
In der sechsten hob sich die Regenbank, der Mond jagte hinter finsteren Schleiern und bestrahlte im Winkel den weich lehnenden Leichnam, dessen Blicke erglitzerten, loschen, glitzerten. Sein höhnisch zudringliches Schillern steigerte die Angst der Verlassenen. Aus Angst, er sei nur betäubt gewesen, wagte sie nicht, ihm die Lider zu schließen; aus Angst vor den Muren wagte sie keine Flucht. Zwanzig Klafter tiefer gischtete der Wildfluß, Ziel aller Wächten und Tobel. Wohin flüchten? zu wem? Niemandem konnte sie begegnen, der nicht Böses vorhatte, niemand in der Mauretanischen Mark öffnete nachts ein Haus, die Nächte waren von Raubkatzen durchschlichen. Nicht einmal wehren konnte sie sich: Dom Firmians Schwertgurt, beim Fallen hinausgeschleudert, ruhte unter Klötzen begraben am Grunde der Schlüfte. Auch beten konnte sie nicht mehr, hatte der Bischof doch alles Fromme in ihr zunichte gemacht.
Unheimliche Geräusche spielten mit ihren aufgepeitschten Sinnen: vor
dem Rumpeln und Schroten der Wasser im Tal das
Gurgeln zum Tal; Hall und Nachhall von Steinschlägen; das Knarren im fernen
Hochwald, Windesgesause; Fauchen; Geflatter; knackendes Astwerk; am unheimlichsten
das Zwitschern und Seufzen des Geriesels in der Kleidung des Toten, der
zu stöhnen schien. »Dom Firmian? lebt Ihr?« Ihre Hand schreckte zurück.
Kalt und starr nickte der Herr von Trianna. Was da stöhnte, stöhnte unter
dem Fahrzeug, dessen Längsbaum die Kruppe eines der Maulesel zerwirkte.
Das zweite Tier, in der Qual des Verendens, erwachte zu schauriger Klage,
die den Luchs anlocken würde. Ein großer Vogel strich ein. Wo er die Schwingen
faltete, ragten aus den Felsmassen die bespornten Beine des Bereiters.
Sie bekreuzigte sich. Der Geier faßte Stand und hackte. - Wolf von
Niebelschütz, Die Kinder der Finsternis. Zürich 1989 (Haffmans Taschenbuch
1033, zuerst 1959)
Erdrutsch (3)
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