nkündigung Schon
seit gestern ist die Neue Welt gegenwärtig; zwar nicht dem Auge, denn die Küste
ist noch zu weit entfernt, obwohl das Schiff Kurs auf Süden genommen hat und
sich nun von Kap São Agostino bis Rio parallel zum Kontinent bewegt. Mindestens
zwei, vielleicht auch drei Tage lang wird uns Amerika nur aus der Ferne begleiten.
Es sind auch nicht die großen Seevögel, die das Ende unserer Reise ankündigen:
kreischende, tyrannische Tropikvögel, die im Flug die Meergänse zwingen, ihre
Beute fahren zu lassen; denn diese Vögel wagen sich weit aufs Meer hinaus, was
schon Kolumbus zu seinem Schaden erfahren mußte, als
er, noch mitten auf dem Ozean, ihren Flug bereits als seinen Sieg begrüßte.
Auch nicht die seit einigen Tagen seltener auftauchenden fliegenden Fische,
die mit einem Schlag ihres Schwanzes aus dem Wasser schnellen und dank ihrer
ausgespannten Flossen weit durch die Luft segeln, silberne Funken, die über
dem blauen Tiegel des Meeres in alle Richtungen stieben. Die Neue Welt kündigt
sich dem Reisenden, der sich ihr nähert, zuerst als ein Duft an, ganz anders
als der, den seit meiner Abreise aus Paris eine Wortassoziation in mir beschwor,
ein Duft, der sich jemandem, der ihn nie gerochen hat, nur schwer beschreiben
läßt.
Zunächst scheint es, als könnten sich die Meereslüfte der vergangenen Wochen
nicht mehr frei bewegen; sie stoßen gleichsam gegen eine unsichtbare Wand; reglos
geworden, beanspruchen sie nicht mehr die Aufmerksamkeit, die sich nun Gerüchen
anderer Art zuwenden kann, Gerüchen, die keine vergangene Erfahrung zu definieren
erlaubt; Waldlüfte wechseln ab mit Treibhausdüften, Inbegriff des Pflanzenreichs,
dessen spezifische Frische so stark konzentriert ist, daß sie einen Geruchsrausch
verursacht, der letzte Ton eines mächtigen Akkords, der sich in Arpeggien auflöst,
als wolle er die verschiedenen aufeinanderfolgenden Wohlgerüche voneinander
scheiden und zugleich miteinander verschmelzen. Das kann nur verstehen, wer
schon einmal seine Nase in eine exotische, frisch geöffnete Pfefferschote gesteckt
und in irgendeinem botequim des brasilianischen sertão an den
klebrigen schwarzen Spiralen des fumo de rölo gerochen
hat - fermentierten und zu meterlangen Schnüren zusammengerollten Tabakblättern
-, und wer in der Vereinigung dieser verwandten Gerüche
jenes Amerika wiederentdeckt, das viertausend Jahre lang allein ihr Geheimnis
kannte. - (
str2
)
Ankündigung (2) Ich entsinne mich, daß ich
einmal, als ich zerstreut aus einem offenen Fenster hinaussah, einen Moment
lang einen kleinen, ganz nahen Baum für einen von einer Gruppe viel größerer
Bäume hielt, die etwas weiter weg standen. Er hatte die gleiche Größe wie diese
anderen, weil er aber deutlicher und schärfer im Umriß und in den Einzelheiten
war, schien er nicht in Einklang mit ihnen. Es war nur eine Verfälschung des
Gesetzes der Luftperspektive, aber es erschreckte,
ja entsetzte mich beinahe. Wir sind ja so abhängig vom ordnungsmäßigen Funktionieren
der vertrauten Naturgesetze, daß wir jede scheinbare Abweichung davon als eine
Bedrohung unserer Sicherheit empfinden, als Ankündigung unausdenkbaren Unheils.
- Ambrose Bierce, Das verfluchte Ding. In: A.B., Mein Lieblingsmord. Frankfurt
am Main 1974 (it 39)
Ankündigung (3) Den Gipfelpunkt der Prahlerei erreichte ein gewisser Johannes Stephanus Stollbergerus mit einem Katalog, den er 1626 in Nürnberg herausgab und in dem die Bücher angeführt waren, die er spater einmal zu schreiben gedachte.
Natürlich erblickte der größte Teil der angekündigten Bücher niemals das Licht der Welt. Nicht nur, weil der illustre Autor oft nur scherzte und es ihm nicht im Traum einficl, diese Bücher zu schreiben, sondern auch, weil sich oft schwerwiegende Hindernisse in den Weg stellten, Kriege, Krankheit oder sogar der Tod des Verfassers. '
Nach und nach vermehrte sich die Zahl der angekündigten Bücher in solchem Maße, daß es sich zu lohnen schien, sich mit ihnen auf wissenschaftlicher Basis zu beschäftigen und das angesammelte Material aufzuarbeiten. Der Deutsche Welschius unternahm es Ende des 16. Jahrhunderts, die bahnbrechende Arbeit durchzuführen, er verfaßte einen Katalog der ungeschriebenen Bücher. Der Name dieses unerhörten Kuriosums lautet: Catalogus librorum ineditorum. Die damaligen Geister waren abgehärtet genug, um solche Narreteien ohne Schaden aufnehmen zu können, das Beispiel regte sogar zur Nachahmung an, und der Holländer Theodorus Jansonius ab Almeloeven machte sich bereits ans Werk und faßte die versprochenen, aber niemals erschienenen Bücher in einem alphabetisch geordneten Katalog zusammen. (Bibliotheca promissa. Gouda 1692.)
Inzwischen häufte sich das Material immer weiter an, und es wurde notwendig, Ergänzungen herauszugeben. Diese Aufgabe übernahm der bekannte Orientalist Rudolf Martin Meelführer, der 1699 einen Ergänzungsband zum Buch Almeloevens unter dem Titel Accessiones herausgab. Im Vorwort dazu legte er dar, daß er diese Ergänzungen nur als vorläufige Lösung betrachte, und versprach, einen großen zusammenfassenden Katalog über das Gesamtmaterial herauszugeben.
Und damit fiel der gute Mann in seinen eigenen Katalog der angekündigten,
aber niemals geschriebenen Bücher, denn das in Aussicht gestellte große umfassende
Werk wurde nie geboren. Warum, ist nicht mehr feststellbar, aber wir wissen,
daß Jacob Friedrich Reimmann, der bekannte Fachmann der Literatur vor
der Sintflut, auch den Katalog über die nicht geschriebenen Bücher in die rühmliche
Reihe der nicht geschriebenen Bücher aufnahm. - Istvan Ráth-Végh, Die Komödie des
Buches
.
Leipzig 1984
Ankündigung (4)
Ich habe es nicht gern, wenn man sich gemein benimmt und dann erst noch
schlechte Witze hinterher darüber macht. Das ist nicht meine Art und auch nicht
nach meinem Geschmack. Wenn ich mich über jemanden zu beklagen habe, dann höhne
ich ihn nicht aus. Ich mache es gründlicher: ich räche mich. Sie mögen ja im
Augenblick mit sich selber recht zufrieden sein, doch vergessen Sie nicht: es
wäre nicht das erste Mal, daß Sie zu früh frohlockt hätten, und zwar einzig
und allein in der Hoffnung auf einen Triumph, der
Ihnen just in dem Augenblick entglitten wäre, wo Sie sich dazu beglückwünschten.
Leben Sie wohl. - Choderlos de Laclos, Gefährliche Liebschaften
Ankündigung (5)
Fünfundzwanzigster Juni war es, |
- Federico García Lorca, Zigeunerromanzen. Frankfurt
am Main 2002 (zuerst 1924-1927)
Ankündigung (6) Der Hammer
schwebt schon, die Katastrophe
kommt. [Rektor Lauenstein.]- - Nach: Kurt Schwitters, Auguste Bolte. Erzählung. Zürich
1966 (zuerst 1923)
Ankündigung (7)
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