nkratzen
»Du bist sicher der kleine Oskar. Von dir haben wir schon
viel gehört. Wie schön du trommeln kannst. Nicht wahr, Kinder? Unser Oskar ist
ein guter Trommler?«
Die Kinder brüllten, die Mütter rückten enger zusammen, die Spollenhauer hatte sich wieder in der Gewalt. »Doch nun«, fistelte sie, »wollen wir die Trommel im Klassenschrank verwahren, sie wird müde sein und schlafen wollen. Nachher, wenn die Schule aus ist, sollst du deine Trommel wiederbekommen.«
Noch während sie diese scheinheilige Rede abspulte, zeigte sie mir ihre kurzbeschnittenen Lehrerinnenfingernägel, wollte sich an der Trommel, die, bei Gott, weder müde war noch schlafen wollte, zehnmal kurzbeschnitten vergreifen. Vorerst hielt ich fest, schloß die Arme in Pulloverärmeln um das weißrotgeflammte Rund, blickte sie an, blickte dann, da sie unentwegt den uralten schablonenhaften Volksschullehrerinnenanblick gewährte, durch sie hindurch, fand im Inneren des Fräulein Spollenhauer Erzählenswertes genug für drei unmoralische Kapitel, riß mich aber, da es um meine Trommel ging, von ihrem Innenleben los und registrierte, als mein Blick zwischen ihren Schulterblättern hindurchfand, auf guterhaltener Haut einen gulden-stückgroßcn, langbehaarten Leberfleck.
Sei es, daß sie sich von mir durchschaut fühlte, tat es meine Stimme, mit
der ich ihr warnend, keinen Schaden anrichtend, am rechten Brillenglas kratzte:
sie gab die nackte Gewalt, die ihr die Knöchel schon weiß kreidete, auf, vertrug
wohl das Schaben am Glas nicht, das befahl ihr eine Gänsehaut, fröstelnd ließ
sie von meiner Trommel ab, sagte: »Du bist aber ein böser Oskar«, warf meiner
Mama, die nicht wußte, wo hinblicken, einen vorwurfsvollen Blick zu, ließ mir
meine hellwache Trommel, machte kehrt, marschierte mit flachen Absätzen zum
Pult, kramte aus ihrer Aktentasche eine andere, wahrscheinlich die Lesebrille
hervor, nahm sich jenes Gestell, an dem meine Stimme geschabt hatte, wie man
mit Fingernägeln an Fensterscheiben schabt, mit entschiedener Bewegung von der
Nase, tat so, als hätte ich ihr die Brille geschändet, setzte sich, den kleinen
Finger beim Aufsetzen wegspreizend, das zweite Gestell auf die Nase, straffte
dann ihre Figur, daß es knackte, und gab, wahrend sie abermals in die Aktentasche
langte, zu verstehen: »Ich lese euch jetzt den Stundenplan vor.« - Günter Grass, Die Blechtrommel.
Frankfurt am Main 1965 (zuerst 1958)
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