erfahren,
einfaches
Die erhabene Einbildungskraft im Bunde mit einem philosophischen Bewußtsein
ersten Ranges hat nichts erfunden, was an Größe die Episode in der ›Nouvelle
Justine‹ des Marquis de Sade erreichte, deren Rahmen der Ätna bildet:
»Eines Tages, als ich den flammenspeienden Schoß des Ätna betrachtete, wünschte
ich mir, dieser berühmte Vulkan zu sein.« Es sei daran erinnert, daß die unter
diesen Umständen stattfindende Anrufung des
Ätna den Alchemisten Almani aus dem Dunkel
auftauchen läßt, der dem Helden seine gefährliche Wissenschaft zur Verfügung
stellt. Ihrem gemeinsamen Haß auf die Natur und die Menschen folgend - in unerbittlicher
Verwerfung jener Liebe zur Natur und zu dem primitiven Menschen, von der Rousseaus
Werk getragen ist -, schicken Jerôme und Almani sich an, das Böse
in engem Zusammenwirken mit der Natur zu verüben.
Gewiß, der Mensch ist hier nur noch gesonnen, mit der Natur sich im Verbrechen
zu vereinigen: bleibt die Frage, ob nicht auch dies noch eine Art Liebe zu ihr
ist - eine Art leidenschaftlicher Wahnsinn, über den nicht zu rechten ist. Woher
kommt es, daß dieser Almani, der sich Zug um Zug als das Widerspiel des »Liebhabers
der Natur« versteht, der sich zum Henker dieser Natur erklärt, eine solche Lust
empfindet, wenn er sein Sperma mit den Ergießungen der glühenden Lava vermischt?
Ich kenne sonst nirgends so genial zusammengestellte Worte, die durch eben diese
ihre Zusammenstellung imstande wären, eine derart intensive und lang andauernde
Erregung auszulösen, als diejenigen, die, an diesem
Punkt der Handlung angelangt, Sade in den Wind der kürzlich aufgefundenen kleinen
Manuskriptblätter geworfen hat, die den Plan des ganzen Werkes darzustellen
scheinen: »Geheimnis, wie man ein Erdbeben
hervorruft.« Aber das Allerbewunderns-würdigste ist doch, daß dieses Geheimnis
wirklich mitgeteilt wird - die militante Anarchie, insofern sie unnachgiebig
eine der pathetischsten Seiten der menschlichen Natur ausdrückt, kann sich auf
keinen besseren Adelsbrief berufen -: daß wir dem oberflächlichen Verscharren
der unzähligen, zehn bis zwölf Pfund schweren Brote beiwohnen, die, aus Wasser,
Feilstaub und Schwefel geknetet, in geringen Abständen voneinander vergraben,
bestimmt sind, dadurch daß sie im Boden sich erwärmen, einen neuerlichen Ausbruch
hervorzurufen, einen um so schöneren Ausbruch, als hier einmal die Natur sich
nur hergab und der Mensch es war, der ihn gewollt hat. »Das Verfahren«, sagt
Sade, »war einfach.« Wie könnte man sich dem entziehen, was an markdurchwühlendem
Humor aus diesem Geständnis spricht? Niemals, meine ich, ist der Erdmagnetismus,
bei dessen näherer Betrachtung man sich veranlaßt sieht, den einen der magnetischen
Pole in den Geist des Menschen und den anderen in die Natur zu verlegen, mit
ähnlicher Unerbittlichkeit zur Anschauung gebracht worden. Hat man sich vergewissert,
daß dieser Magnetismus jedenfalls existiert, so ist es bis zu einem gewissen
Punkte nicht mehr von Belang, ob die beiden Pole entgegengesetzte Namen oder
einen gleichlautenden tragen.
- André Breton, L'Amour fou. Frankfurt
am Main 1985 (zuerst 1937)
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