agnetismus   Es erscheinen die Hilfsmagnetiseure — gewöhnlich kräftige, hübsche junge Männer —, um das Wunderfluidum von ihren Fingerspitzen in die Körper der Patient(inn)en strömen zu lassen. Sie postierten sich zwischen deren Knien, strichen ihnen in Richtung der Nervenbahnen sanft die Wirbelsäule hinunter, massierten zart die Brüste der Damen und brachten sie dabei aus der Fassung, indem sie sie unverwandt anstarrten, um sie auch durch ihren Blick zu magnetisieren.

Allmählich begannen die Wangen der Damen zu glühen; ihre Phantasie entflammte, und sie verfielen, eine nach der andern, in konvulsivische Anfälle. Einige schluchzten und rauften sich die Haare; andere lachten, bis ihnen die Tränen kamen; wieder andere kreischten, heulten und tobten — bis am Ende alle bewußtlos oder der Bewußtlosigkeit nahe waren.

Das war der Wendepunkt. Nun, auf dem Gipfel der Raserei, erschien der Hauptakteur selbst auf der Szene. Er winkte, wie Prospero im »Sturm« mit der Hand, um neue Wunder zu wirken. Bekleidet mit einer langen, reichlich mit goldenen Blumen bestickten lila Robe, in der Hand einen weißen Magnetisierstab, schritt er so ernst und feierlich durch den Raum wie ein orientalischer Kalif. Er ließ die noch nicht Bewußtlosen vor dem Blick seines Auges erschauern, und die Heftigkeit ihrer Symptome schwand. Er strich den Bewußtlosen mit den Händen über die Augenbrauen und die Wirbelsäule hinunter; er zeichnete ihnen mit seinem langen weißen Stab Figuren auf Brust und Bauch und brachte sie so ins Leben zurück.

Sie waren jetzt ruhig, fügten sich seiner Macht und erklärten, Ströme von Kälte oder heißem Dampf flössen durch ihren Körper, wenn er seinen Stab oder seine Finger vor ihnen bewegte. - (mack)

Magnetismus (2) Mesmer weitete seine Theorien dahingehend aus, daß die gesamte Menschheit mit Hilfe des Magnetismus in Harmonie gebracht werden könnte, und diese Vorstellung fand während der Französischen Revolution viel Beifall. Der Mesmerismus verbreitete sich wie ein Kult im Land; in vielen Städten gründeten sich »Harmoniegesellschaften«, die mit Magnetismus experimentierten. Schließlich gerieten diese Gesellschaften in Verruf: In der Regel wurden sie von Lüstlingen geleitet, die ihre Sitzungen zu einer Art Gruppenorgie umfunktionierten. - (macht)

Magnetismus (3) Magnetismus! Weißt du, was das ist? Nein. Niemand weiß es. Aber man stellt ihn fest. Man erkennt ihn, Ärzte arbeiten sogar mit ihm; einer der berühmtesten, Monsieur Charcot, bekennt es; also kein Zweifel, daß es ihn gibt.

Ein Mensch, ein Lebewesen, hat die erschreckende und unbegreifliche Macht, kraft seines Willens ein anderes Wesen einzuschläfern und ihm, während es schläft, sein Denken zu stehlen, wie man eine Geldbörse stiehlt. Er stiehlt sein Denken, das heißt seine Seele - die Seele, das Allerheiligste, den geheimen Ort des ICH, die Seele, den Grund des Menschen, den man unerforschlich wähnte, die Seele, die Heimstatt der uneingestandenen Vorstellungen, alles dessen, was man verbirgt, was man liebt, alles dessen, was man keinem Menschen enthüllen will; er öffnet sie, vergewaltigt sie, stellt sie aus, wirft sie einer Öffentlichkeit vor! Ist das nicht abscheulich, verbrecherisch, schändlich?

Warum und wie das geschieht? Weiß man es? Aber was weiß man?

Es ist alles Geheimnis. Wir kommunizieren mit den Dingen nur vermittels unserer elenden, unvollkommenen, schwächlichen Sinne, so schwach, daß sie kaum festzustellen vermögen, was uns umgibt. Es ist alles Geheimnis. Denk an die Musik, diese göttliche Kunst, diese Kunst, die die Seele ergreift, davonträgt, berauscht, betört, was ist das? Nichts.

Du verstehst mich nicht? Hör zu. Zwei Körper stoßen zusammen. Die Luft vibriert. Die Vibrationen sind mehr oder minder zahlreich, mehr oder minder schnell, mehr oder minder stark, je nach Art des Zusammenstoßes. Nun, im Ohr haben wir ein Häutchen, das diese Schwingungen der Luft auffängt und sie dem Gehirn als Ton übermittelt. Stell dir vor, ein Glas Wasser verwandelt sich in deinem Mund in Wein. Diese unglaubliche Metamorphose vollbringt das Trommelfell, dieses unfaßliche Wunder, Bewegung in Töne zu verwandeln. Das ist es.

Die Musik, diese vielgestaltige und rätselvolle Kunst, genau wie Algebra und vage wie der Traum, die aus Mathematik und Luftbewegung erschaffene Kunst, rührt also einzig von der sonderbaren Fähigkeit einer kleinen Haut her. Gäbe es diese Haut nicht, gäbe es auch keinen Ton, weil er an sich lediglich eine Vibration ist. Würde man ohne das Ohr Musik wahrnehmen? Nein.

Da siehst du es! wir sind von Dingen umgeben, die wir niemals mutmaßen werden, weil uns die Organe fehlen, die sie uns enthüllen.

Vielleicht ist der Magnetismus so etwas. Wir können diese Macht nur ahnen, nur zitternd die Nachbarschaft der Geister versuchen, dies neue Geheimnis der Natur nur vermutend umkreisen, weil wir das erkennende Instrument dafür nicht in uns haben.

Ich freilich ... ich freilich bin mit einer furchtbaren Kraft begabt. Man könnte meinen, es wäre noch ein anderes Wesen in mir eingeschlossen, das immerzu entweichen, das ohne mein Wollen handeln will, das keine Ruhe gibt, mich auszehrt, mich erschöpft. Was es ist? Ich weiß es nicht, aber wir sind zu zweit in meinem armen Leib, und oft ist der andre der Stärkere von uns beiden, wie heute abend.

Ich brauche Menschen nur anzusehen, um sie zu betäuben, als hätte ich ihnen Opium eingeflößt. Ich brauche die Hände nur auszustrecken, um ... um... um schreckliche Dinge zu bewirken. Wenn du wüßtest, oh, wenn du wüßtest! Meine Macht erstreckt sich nicht nur auf Menschen, sondern auch auf Tiere und sogar ... auf Gegenstände ...

Das peinigt und entsetzt mich. Ich könnte mir manchmal die Augen ausstechen und die Handgelenke zerschneiden.

Aber ich werde ... ich will, daß du alles weißt. Gib acht. Ich werde es dir vorführen ... nicht an menschlichen Geschöpfen, das wird überall gemacht, sondern an ... an... Tieren.  - Guy de Maupassant, Wahnsinn? Nach (nov)

Magnetismus (4)

Schließlich will ich doch auch das Gesetz der Natur hier erörtern,
Welches sich wirksam erweist in dem eisenanziehenden Steine,
Den man Magneten benennt mit seinem griechischen Namen,
Weil als sein Fundort gilt das Heimatland der Magneten.
Seltsam scheint dem Menschen der Stein. Da hängt sich bisweilen
Ring an Ring an ihn an und reihet sich also zur Kette.
Kann man doch oft fünf Ringe, ja mehr noch untereinander
Hängend erblicken, die leise im Spiele der Winde sich schaukeln,
Wo sich der eine wie klebend von unten dem anderen anhängt
Und wo jeder vom andern des Steines bindende Kraft lernt;
So durchdringend erweist sich dabei sein magnetischer Kraftstrom.
Bei derartigen Fragen ist vieles vorher zu bestimmen,
Eh' es gelingt, auf den Grund der Erscheinungen selber zu kommen;
Längerer Umweg läßt sich auf keinerlei Weise vermeiden.
Um so aufmerksamer muß Ohr und Verständnis mir folgen.

- (luk)

Magnetismus (5) Als animalischer M. wurde eine Kraft bezeichnet, v. der man annahm, sie sei in lebendigen Organismen vorhanden u. der mineralischen magnetischen Kraft ähnl. Mit Hilfe des animalischen M. wollte man verschiedene Krankheiten heilen; auch diese Heilkunst wird M. genannt. Diese zweite Art, nach Franz Mesmer (+ 1815) Mesmerismus genannt, hat zum Teil abergläubischen, spiritistischen Charakter angenommen. Als reines Heilverfahren darf der M. angewendet werden, als abergläubische Übung ist er sittl. unzulässig - Karl Hörmann, Lexikon der christlichen Moral (1969)

Magnetismus (6)  Emile Vandervelde hat über  Rosas Auftritt einen Bericht hinterlassen. Er erzählt:

»Rosa, damals dreiundzwanzig Jahre alt, war mit Ausnahme einiger sozialistischer Kreise Deutschlands und Polens vollkommen unbekannt. ... ihre Gegner hatten gegen sie einen schweren Stand. Ich sehe sie noch, wie sie aus der Menge der Delegierten aufsprang und sich auf einen Stuhl schwang, um besser verstanden zu werden. Klein, schmächtig, zierlich in ihrem Sommerkleid, das geschickt ihren körperlichen Fehler verbarg, verfocht sie ihre Sache mit einem solchen Magnetismus im Blick und mit so flammenden Worten, daß die Masse des Kongresses erobert und bezaubert die Hand für ihre Zulassung erhob.«

Es muß einer jener Auftritte gewesen sein, die Victor Adler später das böse Witzwort eingaben: Rosa - das sei der hysterische Materialismus. - Frederick Hetmann, Rosa L. - Die Geschichte der Rosa Luxemburg und ihrer Zeit. Frankfurt am Main 1979

Magnetismus (tierischer)   Die Liebe verdankt ihre Entstehung nicht der Form, sondern der Materie; Liebe ist die physische Anziehungskraft, die chemische Verwandtschaft zweier Organismen. Schönheit hat nichts damit zu tun. Jugend zählt nicht. Geist, Genie, Koketterie, Rechtschaffenheit, Niedertracht haben nicht den geringsten Anteil bei dem tierischen Magnetismus, durch den ein Körper die Notwendigkeit empfindet, sich mit einem andern zu verschmelzen. Wenn ein männliches und ein weibliches Wesen, die sich im Raum begegnet sind, das unabweisbare Bedürfnis fühlen (ich sage unabweisbares Bedürfnis und nicht ablenkbare Begierde), sich zu vereinigen, so will das sagen, daß im Körper dieses weiblichen Wesens die Substanz, die Materie, das chemische Produkt existiert, das mit unerbittlicher Brunst die Substanz, die Materie sucht, die im Körper dieses männlichen Wesens eingeschlossen ist. - Pitigrilli, Der Keuschheitsgürtel. In: P., Betrüge mich gut. Reinbek bei Hamburg 1988 (rororo 12179, zuerst 1922)

Magnetismus (8)   Sie ging vor mir her und wandte sich — der magnetischen Wirkung ihrer spielenden Hüften sicher — überhaupt nicht um. Sie machte sich einen Spaß daraus, diesen Magnetismus noch zu verstärken, indem sie die Entfernung unserer Körper regulierte, während wir an Dutzenden von Türen vorbeigingen, die mit Nummern versehen waren. Der Korridor wurde immer dunkler. In völliger Dunkelheit lehnte sie sich flüchtig an mich. »Da ist die Tür des Doktors«, flüsterte sie, »bitte einzutreten.«    - Bruno Schulz, Das Sanatorium zur Todesanzeige. In: B. S., Die Zimtläden und alle anderen Erzählungen. München 1966

Magnetismus (9)  

Magnetismus (10)   Der Grundgedanke, von dem Mesmer ausging, war, es gebe eine Kraft, die, getragen von einem Äther, einer ganz feinen Flut, das All durchdringe und in allen seinen Teilen zusammenhalte. Die Eigenschaft der tierischen Körper, welche sie für diese Kraft empfänglich macht, nannte er tierischen Magnetismus. Indessen wäre das Theorie geblieben, wenn ihm nicht zugleich der Gedanke gekommen wäre, man müsse diese Kraft in seine Gewalt bekommen können.  - Ricarda Huch, Die Romantik. Blütezeit, Ausbreitung und Verfall. Tübingen 1951 (zuerst 1899)

Magie Elektrizität

 


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