rdbeben
 

Nunmehr hör' auch den Grund, warum Erdbeben entstehen!
Stelle dir vor zum ersten, daß unten die Erde, wie oben,
Überall ist mit Höhlen durchsetzt, die von Winden durchweht sind,
Daß sie sodann auch Seen und zahlreiche Wasserbehälter
Heget in ihrem Schöße und Felsen und schroffes Geklippe;
Daß auch viele verborgene Ströme die Fluten und Steine
Unter dem Rücken der Erde mit Macht fortwälzen, ist glaublich.
Denn es versteht sich von selbst, daß die Erde sich überall gleich bleibt.
Legen wir also einmal dies, was man vermutet, zu Grunde:
Dann bebt oben die Erde, sobald sie Erschütterung leidet
Durch der gewaltigen Höhlen vor Alter erfolgenden Einbruch.
Stürzen doch ganze Gebirge da ein, und der mächtige Einsturz
Pflanzt im Moment dann fort die Wellen des Bebens ins Weite.
So erklärt man mit Recht. Erbeben doch ganze Gebäude,
Wenn selbst leichtere Wagen die Straße erschütternd befahren.
Ja, sie hüpfen empor, wenn irgend ein Block auf dem Fahrdamm
Hüben wie drüben erschüttert den eisenbeschlagenen Radkranz.
Ebenso kommt's auch vor, daß ein riesiger Klump von der Erde
Nieder sich wälzt vor Alter in große und weite Gewässer
Und durch des Wassers Schwall auch die Erde in Schwanken versetzt wird,
Wie ein gedrehtes Gefäß nicht feststeht, ehe das Naß drin
Aufhört hin und her sich in schaukelnder Flut zu bewegen.
Wenn sich zudem noch der Wind in den unterirdischen Höhlen
Sammelt und dort andrängend an einer der Seiten herausbricht,
Wo er mit aller Gewalt sich gegen die Wölbungen anstemmt,
Neigt sich die Erde dahin, wo des Windes Ungestüm hindrückt:
Und die Gebäude, die dorten erbaut sind über der Erde,
Neigen, des Haltes beraubt, sich auch nach der nämlichen Seite
Um so mehr, je höher hinauf sie himmelwärts streben,
Und ihr verzerrtes Gebälk hängt über und droht mit dem Einsturz.
Und da scheut man sich noch, an den Einsturz unseres Weltalls
Und sein einstiges Ende zu glauben, obwohl man doch sehn kann,
Wie in den Boden versinken so riesige Massen von Erde!
Legten die Winde sich nicht, dann könnte durch keine Gewalt sich
Unsere sinkende Welt vor dem drohenden Untergang retten;
Aber da wechselweise der Wind sich verstärkt und vermindert,
Bald gesammelt zum Vormarsch kommt, bald geschlagen zurückweicht,
So droht öfter die Erde aus diesem Grunde mit Einsturz,
Als dies wirklich geschieht. Sie neigt sich wohl, aber sie schnellt dann
Wieder zurück und bekommt den früheren Sitz durch die Schwerkraft.
Darum schwanken die Häuser auch alle, die höchsten am meisten,
Mittlere weniger, doch am allergeringsten die niedren.
Auch noch ein anderer Grund liegt vor beim heftigen Beben:
Nämlich ein Windstoß kann urplötzlich sich oder ein Luftzug
Werfen mit äußerster Kraft auf die Höhlungen unter der Erde,
Sei es daß er entstanden von außen her oder vom Innern
Unserer Erde. Da tobt er nun erst in den räumigen Höhlen
Lärmend und wirbelnd umher; sodann, wenn die Kraft sich erhitzt hat
Und sich in Lauf setzt, bricht er nach außen und spaltet zugleich auch
Bis in die Tiefe die Erde, so daß ein gewaltiger Riß klafft.
Solches begab sich dereinst im Syrerlande zu Sidon,
Auch in dem Peloponnes zu Aegium. Was für gewalt'ge
Städte zerstörte der Luftausbruch und der folgende Erdstoß!
Und so fiel auch sonst noch so manches Gemäuer auf Erden
Nieder bei mächtigen Beben, und zahlreiche Städte am Meere
Sanken mitsamt den Bewohnern hinab in die dunkele Tiefe.
Bricht nun die Luft nicht heraus, so verteilt sich doch innen des Windes
Stoß und wilde Gewalt durch die zahlreichen Löcher der Erde;
Schauder und Zittern verbreitet er dann weit über die Fläche;
Gleichwie der Frost bis ins Mark uns dringt und die Glieder durchströmet,
Sie durchschüttelt und zwingt auch wider Willen zum Beben.
Also erfüllt die doppelte Angst die Bewohner der Städte:
Drohet von oben her Hauseinsturz, so befürchten sie, unten
Möchten urplötzlich die Höhlen der Erde von selber sich öffnen
Und die gespaltene Erde den Schlund aufsperren, um diesen
Bei dem gemeinsamen Sturz mit den eigenen Trümmern zu füllen.
Mag man soviel, wie man will, an die Unzerstörbarkeit glauben,
Die für Erde und Himmel auf ewige Zeit sei gesichert,
Dennoch drückt die Gefahr, die leibhaft ihre Gewalt zeigt,
Irgendwoher uns bisweilen den Stachel der Angst in die Seele,
Plötzlich könne die Erde uns unter den Füßen verschwinden
Und in den Abgrund stürzen, dann folge ihr hilflos das All nach,
Und so werde die Welt zum verworrenen Trümmergefilde.

- (luk)

Erdbeben (2)  Das letzte Mal, daß ich Johnny Brannigan begegne, ist in Charley Bernsteins kleinem Lokal drüben in der 48. Straße, wo er mit drei anderen Blauen ist, und zwar um dort einen Burschen namens Erdbeben abzufassen, der so genannt wird, weil es seine Spezialität ist, alles kräftig zum Zittern zu bringen.

Genauer gesagt, während der Zeit, von der ich rede, bringt Erdbeben gerade die ganze Stadt dadurch zum Zittern, daß er verschiedene Mitbürger abknallt oder aufschlitzt oder ausräubert und sich auch sonst entsetzlich daneben benimmt, und die Gerichte haben vor, ihn auf den elektrischen Stuhl zu verfrachten, da er für ein unerwünschtes Element der menschlichen Gesellschaft gehalten wird. - Damon Runyon, Stories vom Broadway. Reinbek bei Hamburg 1963 (rororo 566, zuerst ca. 1935)

Erdbeben (3)  Mit einer raschen Bewegung lüftete er das Deckbett und das Oberleintuch und schlüpfte unter die Decke. Obwohl er sich immer noch von ihr entfernt hielt, spürte sie die Gegenwart seines Körpers, er war groß, gelenkig und sehr jung.

Nach einer Weile streckte er die Hand aus und berührte sie. Ihr Spitzennachthemd hatte sich an den Beinen nach oben geschoben; als der Junge nun sachte die Hand ausstreckte, faßte er ihr rundes, nacktes Knie. Er zögerte, ließ die Finger zart darüberspielen, zog dann die Hand zurück und befühlte sein eigenes knochiges, hartes Knie.

Einen Augenblick später stieß Virginie in Todesangst einen Schrei aus. „Um Gottes willen", schrie sie, „um Gottes willen, aufstehen, wir müssen aufstehen! Ein Erdbeben - spürst du nicht das Erdbeben?"

„Nein", keuchte der Junge ihr ins Gesicht, „nein, das ist kein Erdbeben. Das bin ich." - Tania Blixen, Schicksalsanekdoten. Reinbek bei Hamburg 1988 (zuerst 1958)

Erdbeben (4)  Wasser wollte auf der Erde Gebieter sein und ebenso das Feuer. Frei gemacht hatten sie sich, Wasser und Feuer. — Als sie sich nun ohne Erlaubnis des Großen bekämpften in grauenhafter Wut, sagten die Menschen zum Schöpfer und Gebieter: »In Angst und Not leben wir, gebiete ihnen Einhalt. Raufen wir uns, so schlagen wir uns gegenseitig die Zähne ein und höhlen einander die Augen aus. Aber wir verheeren nicht die Welt.«

Diese Anklage erbitterte die beiden Elemente, und sie wollten den Menschen nicht mehr dienen, so daß die Menschen wieder unglücklich waren und laut zum Schöpfer riefen. Denn er schuldete ihnen Wasser und Feuer. Nguenechen, der Große, befahl nun: »Ihr könnt solange miteinander kämpfen, bis es weder Wasser noch Feuer gibt, ihr euch gegenseitig aufgefressen habt. Doch in der Zwischenzeit seid ihr der Menschen Sklaven und habt ihnen zu dienen.« Wasser und Feuer ergrimmten: seit der Zeit gibt es Erdbeben.  - (arauk)

Erdbeben (5)  Die Menschen fühlten sich verpflichtet, den Regenbogen bei seinem Erscheinen göttlich zu verehren und ihm Opfer darzubringen, wenn sie auch voll Furcht vor dem waren, was Chibchachum nachher über sie verhängte; daher kam es, daß viele Menschen sterben mußten, wenn sich ein Regenbogen zeigte. Die Strafe aber, die Bochica dem Chibchachum für das, was er getan hatte, auferlegte, bestand darin, daß er die ganze Erde auf seinen Schultern tragen mußte, während sie vorher, wie man sagt, auf großen Pfosten von Guayacan-Holz ruhte. Das ist der Grund, warum jetzt die Erde bebt, was sie vordem nicht tat. Denn da sie schwer auf ihm lastet, nimmt er sie von Zeit zu Zeit von einer Schulter auf die andere und bewirkt dadurch, daß sie sich bewegt und in ihren Grundfesten erbebt.   - (azt)

Erdbeben (6)  Ich war in meinem Schlafzimmer und ging zu Bett, als das Erdbeben kam. Bei der ersten Erschütterung dachte ich: Ein Leopard ist aufs Dach gesprungen. Als der zweite Stoß kam, dachte ich: Ich werde sterben, so muß es sein zu sterben. Aber in der kurzen Stille zwischen dem zweiten und dem dritten Stoß begriff ich, was es war. Es war ein Erdbeben, und ich hatte nicht gedacht, daß ich je eines erleben würde. Einen Augenblick lang meinte ich dann, das Erdbeben sei zu Ende. Aber als der dritte und letzte Stoß kam, überfiel mich ein so mächtiges Gefühl von Freude, daß ich mich nicht erinnern kann, in meinem Leben so plötzlich und vollkommen hingerissen gewesen zu sein.

Die himmlischen Körper besitzen die Macht, den menschlichen Geist auf ungeahnte Höhen des Entzückens zu versetzen. Wir sind uns ihrer nicht jederzeit bewußt, aber wenn sie uns plötzlich an ihr Dasein erinnern und in Erscheinung treten, eröffnen sie uns Vorstellungen von unerhörter Weite. Kepler beschreibt seine Gefühle, als er nach jahrelanger Arbeit das Gesetz der Bewegung der Planeten fand: «Ich gebe mich meiner Wonne hin. Der Würfel ist gefallen. Nichts, was ich je fühlte, ist diesem Augenblick gleich. Ich zittere, mein Blut pocht. Gott hat sechstausend Jahre gewartet, ehe einer da war, sein Werk zu bewundern. Seine Weisheit ist unendlich, alles, was wir nicht wissen, ist darinnen, und das wenige, was wir wissen.» Solch ein Entzücken war es, das mich befiel und mich erschütterte, als ich das Erdbeben spürte. - (blix2)

Unruhe Schwanken Zittern Boden Erschütterung
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