Nunmehr hör' auch den Grund, warum Erdbeben entstehen! |
- (
luk
)
Erdbeben (2) Das letzte Mal, daß ich Johnny Brannigan begegne, ist in Charley Bernsteins kleinem Lokal drüben in der 48. Straße, wo er mit drei anderen Blauen ist, und zwar um dort einen Burschen namens Erdbeben abzufassen, der so genannt wird, weil es seine Spezialität ist, alles kräftig zum Zittern zu bringen.
Genauer gesagt, während der Zeit, von der ich rede, bringt Erdbeben gerade
die ganze Stadt dadurch zum Zittern, daß er verschiedene
Mitbürger abknallt oder aufschlitzt oder ausräubert
und sich auch sonst entsetzlich daneben benimmt, und die Gerichte haben vor,
ihn auf den elektrischen Stuhl zu verfrachten, da er für ein unerwünschtes Element
der menschlichen Gesellschaft gehalten wird. - Damon Runyon, Stories vom
Broadway. Reinbek bei Hamburg 1963 (rororo 566, zuerst ca. 1935)
Erdbeben (3) Mit einer raschen Bewegung lüftete er das Deckbett und das Oberleintuch und schlüpfte unter die Decke. Obwohl er sich immer noch von ihr entfernt hielt, spürte sie die Gegenwart seines Körpers, er war groß, gelenkig und sehr jung.
Nach einer Weile streckte er die Hand aus und berührte sie. Ihr Spitzennachthemd hatte sich an den Beinen nach oben geschoben; als der Junge nun sachte die Hand ausstreckte, faßte er ihr rundes, nacktes Knie. Er zögerte, ließ die Finger zart darüberspielen, zog dann die Hand zurück und befühlte sein eigenes knochiges, hartes Knie.
Einen Augenblick später stieß Virginie in Todesangst einen Schrei aus. „Um Gottes willen", schrie sie, „um Gottes willen, aufstehen, wir müssen aufstehen! Ein Erdbeben - spürst du nicht das Erdbeben?"
„Nein", keuchte der Junge ihr ins Gesicht,
„nein, das ist kein Erdbeben. Das bin ich." - Tania Blixen, Schicksalsanekdoten.
Reinbek bei Hamburg 1988 (zuerst 1958)
Erdbeben (4) Wasser wollte auf der Erde Gebieter sein und ebenso das Feuer. Frei gemacht hatten sie sich, Wasser und Feuer. — Als sie sich nun ohne Erlaubnis des Großen bekämpften in grauenhafter Wut, sagten die Menschen zum Schöpfer und Gebieter: »In Angst und Not leben wir, gebiete ihnen Einhalt. Raufen wir uns, so schlagen wir uns gegenseitig die Zähne ein und höhlen einander die Augen aus. Aber wir verheeren nicht die Welt.«
Diese Anklage erbitterte die beiden Elemente, und sie wollten den Menschen
nicht mehr dienen, so daß die Menschen wieder unglücklich waren und laut zum
Schöpfer riefen. Denn er schuldete ihnen Wasser und Feuer. Nguenechen, der Große,
befahl nun: »Ihr könnt solange miteinander kämpfen, bis es weder Wasser noch
Feuer gibt, ihr euch gegenseitig aufgefressen habt. Doch in der Zwischenzeit
seid ihr der Menschen Sklaven und habt ihnen zu dienen.« Wasser und Feuer ergrimmten:
seit der Zeit gibt es Erdbeben. - (
arauk
)
Erdbeben (5) Die Menschen fühlten
sich verpflichtet, den Regenbogen bei seinem
Erscheinen göttlich zu verehren und ihm Opfer darzubringen, wenn sie auch voll
Furcht vor dem waren, was Chibchachum nachher über sie verhängte; daher kam
es, daß viele Menschen sterben mußten, wenn sich ein Regenbogen zeigte. Die
Strafe aber, die Bochica dem Chibchachum für das, was er getan hatte, auferlegte,
bestand darin, daß er die ganze Erde auf seinen Schultern tragen mußte, während
sie vorher, wie man sagt, auf großen Pfosten von Guayacan-Holz ruhte. Das ist
der Grund, warum jetzt die Erde bebt, was sie vordem nicht tat. Denn da sie
schwer auf ihm lastet, nimmt er sie von Zeit zu Zeit von einer Schulter auf
die andere und bewirkt dadurch, daß sie sich bewegt und in ihren Grundfesten
erbebt. - (
azt
)
Erdbeben (6) Ich war in meinem Schlafzimmer und ging zu Bett, als das Erdbeben kam. Bei der ersten Erschütterung dachte ich: Ein Leopard ist aufs Dach gesprungen. Als der zweite Stoß kam, dachte ich: Ich werde sterben, so muß es sein zu sterben. Aber in der kurzen Stille zwischen dem zweiten und dem dritten Stoß begriff ich, was es war. Es war ein Erdbeben, und ich hatte nicht gedacht, daß ich je eines erleben würde. Einen Augenblick lang meinte ich dann, das Erdbeben sei zu Ende. Aber als der dritte und letzte Stoß kam, überfiel mich ein so mächtiges Gefühl von Freude, daß ich mich nicht erinnern kann, in meinem Leben so plötzlich und vollkommen hingerissen gewesen zu sein.
Die himmlischen Körper besitzen die Macht, den menschlichen Geist auf ungeahnte
Höhen des Entzückens zu versetzen. Wir sind uns ihrer nicht jederzeit bewußt,
aber wenn sie uns plötzlich an ihr Dasein erinnern und in Erscheinung treten,
eröffnen sie uns Vorstellungen von unerhörter Weite. Kepler beschreibt
seine Gefühle, als er nach jahrelanger Arbeit das Gesetz der Bewegung der Planeten
fand: «Ich gebe mich meiner Wonne hin. Der Würfel ist gefallen. Nichts, was
ich je fühlte, ist diesem Augenblick gleich. Ich zittere, mein Blut pocht. Gott
hat sechstausend Jahre gewartet, ehe einer da war, sein Werk zu bewundern. Seine
Weisheit ist unendlich, alles, was wir nicht wissen, ist darinnen, und das wenige,
was wir wissen.» Solch ein Entzücken war es, das
mich befiel und mich erschütterte, als ich das Erdbeben spürte. -
(blix2)
|
|