chreibtisch     Der Schreibtisch war wieder freigeräumt. Er ist ein kleines helles Büromöbel mit einer Preßholzplatte und Eisenfüßen, passend zur Umgebung. Neben dem Glas mit den Schwellensplittern berindet sich ein längliches, im Kopfteil durchlöchertes Holzstück mit abgerundeten Kanten und verschieden breiten Quermulden: ein sogenannter »Handschmeichler«, von meinem Sohn vor Jahren (mehr aus Schulpflicht) geschnitzt, an den Druckstellen inzwischen schwärzlich geworden und doch immer wieder frisch nach Holz riechend — ebenso wie die braune, faustgroße, längst hartgewordene Lehmkugel daneben jedesmal an den Fingern den Geruch des nassen Hohlwegs wiederholt, aus dem sie einst geschöpft worden ist. In den Lehm ist mit Bleistift das griechische Wort »Galene« geschrieben: Ausdruck für eine »still strahlende, nur leise bewegte Meeresfläche«, die, nach dem Philosophen Epikur, das Daseins-Vorbild abgeben kann . - Peter Handke, Der Chinese des Schmerzes. Frankfurt am Main 1986 (zuerst 1983)

Schreibtisch  (2)

Zeichnung von Franz Kafka

Mein Schreibtisch im Bureau war gewiss nie ordentlich, jetzt aber ist er von einem wüsten Haufen von Papieren und Akten hoch bedeckt, ich kenne beiläufig nur das, was obenauf liegt, unten ahne ich bloß Fürchterliches. - Franz Kafka, Briefe an Felice

Schreibtisch  (3)  Der Schreibtisch versuchte es noch einmal. Es war fast vier Uhr; Eggerton würde bald gehen. Die krasse Unvernunft - auf einen Mann zu warten, der gleich Hut und Mantel anziehen und nach Hause gehen würde - machte den zartbesaiteten Schreibtisch ganz nervös. Und die Frau hatte seit neun dagesessen, mit großen Augen ins Leere gestarrt, nicht geraucht oder Bänder durchgesehen, sondern bloß dagesessen und gewartet.

»Hören Sie, Lady«, sagte der Schreibtisch laut, »heute wird niemand Mr. Eggerton sprechen.«

Die Frau lächelte schwach. »Es wird nur eine Minute dauern.«

Der Schreibtisch seufzte. »Sie sind wirklich hartnäckig. Was wollen Sie? Ihre Firma muß sensationelle Geschäfte machen, mit solchen Vertretern - aber wie schon gesagt, Mr. Eggerton kauft nie etwas. So ist er das geworden, was er ist, indem er Leute wie Sie rausgeworfen hat. Ich nehme an, Sie glauben, weil Sie gut gebaut sind, wird er Ihnen schon einen dicken Auftrag verschaffen.« Der Schreibtisch fügte verdrießlich hinzu: »Sie sollten sich schämen, so ein Kleid zu tragen. Ein nettes Mädchen wie Sie.«

»Er wird mich empfangen«, sagte die Frau leise.

Der Schreibtisch jagte Begriffe durch seinen Scanner und suchte nach einer Zweideutigkeit des Wortes empfangen. »Ja, ich nehme an, in dem Aufzug. ..«, setzte er an, aber in diesem Moment hob sich die innere Tür, und John Eggerton erschien.

»Schalten Sie sich ab«, befahl er dem Schreibtisch. - Philip K. Dick, Fehleinstellung. In: P.K.D., Foster, du bist tot. Zürich 2001, (zuerst 1954)

Schreibtisch  (4)

- Guido Crepax

Schreibtisch  (5)  Welcher Unterschied! Tausende trinken an Tafeln hohe Weine und gehen stumpfer nach Hause und erwachen noch stumpf — kein Einfall, nur Lachen, kein anderer Glanz als der des Gesichts, bezeichnet das Dasein des Weines. Hingegen der am Schreibtisch getrunkne Wein hebt den, der ihn trinkt, und die Welt, die ihn hört; und wird hundertjähriger Wein in anderm Sinn. - (idg)

Schreibtisch  (6)  Wenn ich mich umblickte und meinen Schreibtisch sah, glaubte ich zu wissen, daß dieser eine ungezählte Menge von Schriften barg, und damit, wie ein trojanisches Pferd, eine unübersehbare Anzahl von Wesen, die sich alle Ich nannten. Dieses Ich tauchte in Zeiten auf, die weit außerhalb der für mich als gültig anerkannten Jahreszahlen lagen. Ich durfte, um Gottes willen, diesen Schreibtisch nicht öffnen, damit mir diese Wesen nicht den Weg in Räume ebneten, aus denen ich nicht bei Verstand zurückkehren konnte. Hatte ich nicht, wenn ich die Blume auf dem Schreibtisch mit ihrem nach Leichenfleisch riechenden Wasser begoß, das Leben im Innern des hölzernen Möbels zu hören gemeint, Wispern und Raunen, Knistern von Papier, das ob seines Alters am Zerfallen war, Geräusche, als wenn Asche durch die geborstenen Schubfächer hinabrieselte. - Wenn ich zu warten imstande war, war es möglich, daß die Geschichte aus der Vergangenheit irgendeines dieser Ichs, die mir auflauerte, sich von selbst erledigte, daß ihr Gegenstand so versank, daß ich ihn restlos erledigt nennen konnte. - (hilb)

Schreibtisch  (7)  Die Asche hatte einen trockenen saueren Geschmack, den ich für den Geschmack des Todes hielt. Der Staub trübte mir das Weiß meiner leeren Blätter auf dem Tisch, ein einziger Satz, den ich in einem halben Jahr fertiggebracht hatte, drohte mir unter der Asche zu verschwinden . . . dann fiel mir auf, daß der gleiche Satz schon auf den meisten meiner Zettel stand: und ich hielt den Stift in der Hand und war im Begriff, denselben Satz noch einmal zwischen das Staubgekörn zu setzen: wie lange schon verhielt ich bei dem Gedanken, daß mir ein nächster Satz nicht aus der Spitze des Stifts fließen wollte? Ein halbes Jahr schon war ich erstarrt in dieser Standardsituation! Statt dessen fiel mir ein, daß ich tagelang an die verbogene Figur gedacht hatte, die ich in der Öffentlichkeit abgab: eine vom Sitzen auf meinen Stühlen krummgezogene Figur, sich krümmend in der Anstrengung, einen Gedanken aus dem Kopf zu pressen . . . der obenauf wackelte, der Gedanke im Kopf, windschief zwischen den Schultern, daß es aussah, als hätte ich mich diesem mir entgegenstehenden Schreibtisch nur in Windungen nähern können, halb angreifend, halb ausweichend . . . und mein Stuhl schien sich bei diesen Verdrehungen schräg in einen Sumpf unter mir zu bohren. Erneut gischtete Hagel von Asche zum Fenster herein, die Dünste der Nacht überbordeten den Schreibtisch, der wie ein manövrierunfähiges Boot war, ein Boot in schwerer See, das schon lange von einer endlosen Dünungswoge herunterrollte, und ich sah das Möbelstück nur noch unter Verrenkungen . . . kein Wunder, daß ich eine schielende Mißgestalt war, wenn ich mich endlich von meinem Tisch geflüchtet hatte. - Wolfgang Hilbig, Die Kunde von den Bäumen. Frankfurt am Main 1994

Schreibtisch  (8)  Dr. Guttenberg ging noch einmal zu Dr. Hakes Zimmer und hörte drinnen die Möbel tanzen. Er rüttelte an der Tür und rief: »Dr. Hake!« Die Möbel hielten still.

»Dr.Hake, ich weiß doch, daß Sie da sind!«

Aber das konnte er nicht beweisen, ohne die Tür zu öffnen. Er eilte davon, um sich vom Chef den Hauptschlüssel zu holen. Hake mußte verrückt geworden sein.

Hake war verrückt geworden. Er hatte es mit Conny auf seinem Schreibtisch getrieben. Daß er seinen Schreibtisch je zu solchem Sport mißbrauchen würde, hätte er nie gedacht. Es war nicht recht. Noch ärger waren ihm derlei Vorbehalte im Nachhinein.

Er ging um Conny herum, die auf seinem Bürostuhl saß, ihre Nylonstrümpfe hochrollte und sie festmachte.

Strapse waren eine geniale Erfindung. Sein Interesse an Conny lebte von neuem auf.

»Kommst du am Sonntag zu uns zum Essen?« fragte sie, während sie sich in ihr Kleid wand.

Als Dr. Guttenberg zurückkam, war Dr. Hakes Zimmer wieder offen, und Hake präparierte hingebungsvoll einen tätowierten Penis für das gerichtsmedizinische Museum.   - Irene Dische, Fromme Lügen. Frankfurt am Main 1989

Schreibtisch  (9)   Tantivy teilt diese Zelle mit einem amerikanischen Kollegen, Lt.Tyrone Slothrop. Ihre Schreibtische stehen im rechten Winkel zueinander, so daß sie keinen Augenkontakt haben, außer, sie machen eine quietschende 90-Grad-Drehung. Tantivys Schreibtisch ist aufgeräumt, der von Slothrop ein grauenhafter Verhau. Auf einer Tischplatte, deren Oberfläche seit 1942 niemand mehr gesehen hat, haben sich Ablagerungen in groben Schichten niedergeschlagen: das Fundament bildet ein bürokratisches Smegma, das stetig von oben nach unten durch den Wust hindurchsintert, ein Gemisch aus Millionen von winzigen, roten und braunen Radiergummikrümeln, Holzspänen von Bleistiftspitzen, getrockneten Pigmenten aus Tee- oder Kaffeeflecken, Spuren von Zucker und Milchpulver, jeder Menge Zigarettenasche, fusseligem, schwarzem Farbbandabrieb, eingetrocknetem Bücherleim und zerbrochenen, pulverisierten Aspirintabletten; darüber folgt eine Lage aus Büroklammern, Zippo-Feuersteinen, Gummiringen, Heftklammern, Zigarettenkippen und zerknüllten Schachteln, einzelnen Zündhölzern, Stecknadeln,zersplitterten Schreibfedern, Farbstiftstummeln aller Schattierungen, einschließlich der schwer erhältlichen Töne Heliotrop und rohes Umbra, hölzernen Kaffeelöffeln, Thayer's-Slippery-Elm-Hustenbonbons (von Slothrops Mutter Nalline aus dem fernen Massachusetts geschickt), Schnipseln von Klebstreifen und Schnüren, Kreideresten ... darauf als nächstes eine Schicht aus vergessenen Memoranden, leeren, bereits vergilbten Lebensmittelkartenheftchen, Notizzetteln mit Telephonnummern, unbeantworteten Briefen, eingerissenen Bogen Kohlepapier, Ukulelenoten mit Begleitakkorden für ein Dutzend Songs, darunter »Johnny Doughboy Found a Rose in Ireland« (»er hat ein paar wirklich zündende Nummern drauf«, berichtet Tantivy, »er ist'ne Art amerikanischer George Formby, wenn du dir darunter was vorstellen kannst«, was Bloat allerdings lieber nicht tut), einer leeren Haarwasserflasche der Marke Kreml sowie übriggebliebenen Teilchen diverser Puzzlespiele, auf denen man das bernsteingelbe linke Auge eines Weimaraners, grüne Samtfalten eines Abendkleides, schieferblaues Geäder in einer fernen Wolke, den orangeroten Widerschein einer Explosion (Sonnenuntergang?), Nieten in der Haut einer Fliegenden Festung und den rosigen Innenschenkel eines Schmollmund-Pin-ups erkennen kann ... obenauf dann ein paar alte Nummern der wöchentlichen Geheimdienstpostille von G 2, einegerissene, spiralige Ukulelesaite, Schachteln mit gummierten Papiersternen in vielen Farben, Teile einer Blitzlichtlampe, der Deckel einer Nugget-Schuhkremdose, in welchem Slothrop hin und wieder sein verschwommenes Messing-Spiegelbild studiert, jede Menge Nachschlagewerke aus der ACHTUNG-Bibliothek am anderen Ende vom Flur (ein Wörterbuch für technisches Deutsch, ein F. O. Special Handbook oder Stadtplan) - und eigentlich müßte auch noch, falls sie nicht geklaut oder weggeschmissen worden ist, eine News of the World irgendwo rumliegen, ja Slothrop ist ein treuer Leser. - Thomas Pynchon, Die Enden der Parabel. Nach (eco)

Schreibtisch  (10)  Ich mache es mir an meinem Schreibtisch bequem wie an einem Bollwerk gegen das Leben. Ich spüre Zärtlichkeit, bis zu Tränen reichende Zärtlichkeit für meine Geschäftsbücher, in die ich Eintragungen vornehme, für das alte Tintenfaß, dessen ich mich bediene, ßir den gebeugten Rücken Sergios, der etwas weiter von mir entfernt Warenbegleitpapiere ausfertigt. Ich liebe das alles, vielleicht, weil ich sonst nichts zum Lieben besitze - oder, vielleicht auch deshalb, weil nichts die Liebe einer Seele wert ist und, wenn wir es schon für ein Gefühl halten, es ebenso lohnend ist, dieses Gefühl meinem kleinen Tintenfaß entgegenzubringen wie der großen Gleichgültigkeit der Gestirne. - Fernando Pessoa, nach: Tintenfass 15, Zürich 1986

Schreibtisch  (11)  

  - Nicole Claveloux

Schreibtisch  (12)   Tantivys Schreibtisch ist aufgeräumt, der von Slothrop ein grauenhafter Verhau. Auf einer Tischplatte, deren Oberfläche seit 1942 niemand mehr gesehen hat, haben sich Ablagerungen in groben Schichten niedergeschlagen : das Fundament bildet ein bürokratisches Smegma, das stetig von oben nach unten durch den Wust hindurchsintert, ein Gemisch aus Millionen von winzigen, roten und braunen Radiergummikrümeln, Holzspänen vom Bleistiftspitzen, getrockneten Pigmenten aus Tee- oder Kaffeeflecken, Spuren von Zucker und Milchpulver, jeder Menge Zigarettenasche, fusseligem, schwarzem Farbbandabrieb, eingetrocknetem Bücherleim und zerbrochenen, pulverisierten Aspirintabletten; darüber folgt eine Lage aus Büroklammern, Zippo-Feuersteinen, Gummiringen, Heftklammern, Zigarettenkippen und zerknüllten Schachteln, einzelnen Zündhölzern, Stecknadeln, zersplitterten Schreibfedern, Farbstiftstummeln aller Schattierungen, einschließlich der schwer erhältlichen Töne Heliotrop und rohes Umbra, hölzernen Kaffeelöffeln, ThayerVSlippery-Elm-Hustenbonbons (von Slothrops Mutter Nalline aus dem fernen Massachusetts geschickt), Schnipseln von Klebstreifen und Schnüren, Kreideresten ... darauf als nächstes eine Schicht aus vergessenen Memoranden, leeren, bereits vergilbten Lebensmittelkartenheftchen, Notizzetteln mit Telephonnummern, unbeantworteten Briefen, eingerissenen Bogen Kohlepapier, Ukulelenoten mit Begleitakkorden für ein Dutzend Songs, darunter «Johnny Doughboy Found a Rose in Ireland» («er hat ein paar wirklich zündende Nummern drauf», berichtet Tantivy, «er ist 'ne Art amerikanischer George Formby, wenn du dir darunter was vorstellen kannst», was Bloat allerdings lieber nicht tut), einer leeren Haarwasserflasche der Marke Kreml sowie übriggebliebenen Teilchen diverser Puzzlespiele, auf denen man das bernsteingelbe linke Auge eines Weimaraners, grüne Samtfalten eines Abendkleides, schieferblaues Geäder in einer fernen Wolke, den orangeroten Widerschein einer Explosion (Sonnenuntergang?), Nieten in der Haut einer Fliegenden Festung und den rosigen Innenschenkel eines Schmollmund-Pin-ups erkennen kann ... obenauf dann ein paar alte Nummern der wöchentlichen Geheimdienstpostille von G 2, eine gerissene, spiralige Ukulelesaite, Schachteln mit gummierten Papiersternen in vielen Farben, Teile einer Blitzlichtlampe, der Deckel einer Nugget-Schuhkremdose, in welchem Slothrop hin und wieder sein verschwommenes Messing-Spiegelbild studiert, jede Menge Nachschlagewerke aus der ACHTUNG-Bibliothek am anderen Ende vom Flur (ein Wörterbuch für technisches Deutsch, ein F. O. Special Handbook oder Stadtplan) - und eigentlich müßte auch noch, falls sie nicht geklaut oder weggeschmissen worden ist, eine News of the World irgendwo rumliegen, ja, Slothrop ist ein treuer Leser. - Thomas Pynchon, Die Enden der Parabel. Reinbek bei Hamburg 1981

 

Schreiben Arbeitszimmer Tisch

 

Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe

 

Verwandte Begriffe
Synonyme