- Peter Handke, Der
Chinese
des
Schmerz
es. Frankfurt
am Main 1986 (zuerst 1983)
Schreibtisch (2)
Mein Schreibtisch im Bureau war gewiss nie ordentlich, jetzt aber ist er
von einem wüsten Haufen von Papieren und Akten hoch bedeckt, ich kenne beiläufig
nur das, was obenauf liegt, unten ahne ich bloß Fürchterliches. - Franz
Kafka, Briefe an Felice
Schreibtisch (3) Der Schreibtisch versuchte es noch einmal. Es war fast vier Uhr; Eggerton würde bald gehen. Die krasse Unvernunft - auf einen Mann zu warten, der gleich Hut und Mantel anziehen und nach Hause gehen würde - machte den zartbesaiteten Schreibtisch ganz nervös. Und die Frau hatte seit neun dagesessen, mit großen Augen ins Leere gestarrt, nicht geraucht oder Bänder durchgesehen, sondern bloß dagesessen und gewartet.
»Hören Sie, Lady«, sagte der Schreibtisch laut, »heute wird niemand Mr. Eggerton sprechen.«
Die Frau lächelte schwach. »Es wird nur eine Minute dauern.«
Der Schreibtisch seufzte. »Sie sind wirklich hartnäckig. Was wollen Sie? Ihre Firma muß sensationelle Geschäfte machen, mit solchen Vertretern - aber wie schon gesagt, Mr. Eggerton kauft nie etwas. So ist er das geworden, was er ist, indem er Leute wie Sie rausgeworfen hat. Ich nehme an, Sie glauben, weil Sie gut gebaut sind, wird er Ihnen schon einen dicken Auftrag verschaffen.« Der Schreibtisch fügte verdrießlich hinzu: »Sie sollten sich schämen, so ein Kleid zu tragen. Ein nettes Mädchen wie Sie.«
»Er wird mich empfangen«, sagte die Frau leise.
Der Schreibtisch jagte Begriffe durch seinen Scanner und suchte nach einer Zweideutigkeit des Wortes empfangen. »Ja, ich nehme an, in dem Aufzug. ..«, setzte er an, aber in diesem Moment hob sich die innere Tür, und John Eggerton erschien.
»Schalten Sie sich ab«, befahl er dem Schreibtisch. - Philip K. Dick,
Fehleinstellung. In: P.K.D., Foster, du bist tot. Zürich 2001, (zuerst 1954)
Schreibtisch (4)
Schreibtisch (5) Welcher Unterschied!
Tausende trinken an Tafeln hohe Weine und gehen stumpfer nach Hause und erwachen
noch stumpf — kein Einfall, nur Lachen, kein anderer Glanz als der des Gesichts,
bezeichnet das Dasein des Weines. Hingegen der am Schreibtisch getrunkne Wein
hebt den, der ihn trinkt, und die Welt, die ihn hört; und wird hundertjähriger
Wein in anderm Sinn. - (
idg
)
Schreibtisch (6) Wenn ich mich
umblickte und meinen Schreibtisch sah, glaubte ich zu wissen, daß dieser eine
ungezählte Menge von Schriften barg, und damit, wie ein trojanisches Pferd,
eine unübersehbare Anzahl von Wesen, die sich alle Ich
nannten. Dieses Ich tauchte in Zeiten auf, die weit außerhalb der für
mich als gültig anerkannten Jahreszahlen lagen. Ich durfte, um Gottes willen,
diesen Schreibtisch nicht öffnen, damit mir diese Wesen nicht den Weg in Räume
ebneten, aus denen ich nicht bei Verstand zurückkehren konnte. Hatte ich nicht,
wenn ich die Blume auf dem Schreibtisch mit ihrem nach Leichenfleisch riechenden
Wasser begoß, das Leben im Innern des hölzernen Möbels zu hören gemeint, Wispern
und Raunen, Knistern von Papier, das ob seines Alters am Zerfallen war, Geräusche,
als wenn Asche durch die geborstenen Schubfächer hinabrieselte. - Wenn ich zu
warten imstande war, war es möglich, daß die Geschichte aus der Vergangenheit
irgendeines dieser Ichs, die mir auflauerte, sich von selbst erledigte,
daß ihr Gegenstand so versank, daß ich ihn restlos erledigt nennen konnte. -
(
hilb
)
Schreibtisch (7) Die Asche
hatte einen trockenen saueren Geschmack, den ich für den Geschmack des Todes
hielt. Der Staub trübte mir das Weiß meiner leeren Blätter auf dem Tisch, ein
einziger Satz, den ich in einem halben Jahr fertiggebracht hatte, drohte mir
unter der Asche zu verschwinden . . . dann fiel mir auf, daß der gleiche Satz
schon auf den meisten meiner Zettel stand: und ich hielt den Stift in der Hand
und war im Begriff, denselben Satz noch einmal zwischen das Staubgekörn zu setzen:
wie lange schon verhielt ich bei dem Gedanken, daß mir ein nächster Satz nicht
aus der Spitze des Stifts fließen wollte? Ein halbes Jahr schon war ich erstarrt
in dieser Standardsituation! Statt dessen fiel mir ein, daß ich tagelang an
die verbogene Figur gedacht hatte, die ich in der Öffentlichkeit abgab: eine
vom Sitzen auf meinen Stühlen krummgezogene Figur, sich krümmend in der Anstrengung,
einen Gedanken aus dem Kopf zu pressen . . . der obenauf wackelte, der Gedanke
im Kopf, windschief zwischen den Schultern, daß es aussah, als hätte ich mich
diesem mir entgegenstehenden Schreibtisch nur in Windungen nähern können, halb
angreifend, halb ausweichend . . . und mein Stuhl schien sich bei diesen Verdrehungen
schräg in einen Sumpf unter mir zu bohren. Erneut gischtete Hagel von Asche
zum Fenster herein, die Dünste der Nacht überbordeten
den Schreibtisch, der wie ein manövrierunfähiges Boot war, ein Boot in schwerer
See, das schon lange von einer endlosen Dünungswoge herunterrollte, und ich
sah das Möbelstück nur noch unter Verrenkungen . . . kein Wunder, daß ich eine
schielende Mißgestalt war, wenn ich mich endlich von meinem Tisch geflüchtet
hatte. - Wolfgang Hilbig, Die Kunde von den Bäumen. Frankfurt am Main 1994
Schreibtisch (8) Dr. Guttenberg ging noch einmal zu Dr. Hakes Zimmer und hörte drinnen die Möbel tanzen. Er rüttelte an der Tür und rief: »Dr. Hake!« Die Möbel hielten still.
»Dr.Hake, ich weiß doch, daß Sie da sind!«
Aber das konnte er nicht beweisen, ohne die Tür zu öffnen. Er eilte davon, um sich vom Chef den Hauptschlüssel zu holen. Hake mußte verrückt geworden sein.
Hake war verrückt geworden. Er hatte es mit Conny auf seinem Schreibtisch getrieben. Daß er seinen Schreibtisch je zu solchem Sport mißbrauchen würde, hätte er nie gedacht. Es war nicht recht. Noch ärger waren ihm derlei Vorbehalte im Nachhinein.
Er ging um Conny herum, die auf seinem Bürostuhl saß, ihre Nylonstrümpfe hochrollte und sie festmachte.
Strapse waren eine geniale Erfindung. Sein Interesse an Conny lebte von neuem auf.
»Kommst du am Sonntag zu uns zum Essen?« fragte sie, während sie sich in ihr Kleid wand.
Als Dr. Guttenberg zurückkam, war Dr. Hakes Zimmer wieder offen, und Hake
präparierte hingebungsvoll einen tätowierten Penis
für das gerichtsmedizinische Museum. -
Irene Dische, Fromme Lügen. Frankfurt am Main 1989
Schreibtisch (9) Tantivy
teilt diese Zelle mit einem amerikanischen Kollegen, Lt.Tyrone Slothrop. Ihre
Schreibtische stehen im rechten Winkel zueinander, so daß sie keinen Augenkontakt
haben, außer, sie machen eine quietschende 90-Grad-Drehung. Tantivys Schreibtisch
ist aufgeräumt, der von Slothrop ein grauenhafter Verhau. Auf einer Tischplatte,
deren Oberfläche seit 1942 niemand mehr gesehen hat, haben sich Ablagerungen
in groben Schichten niedergeschlagen: das Fundament bildet ein bürokratisches
Smegma, das stetig von oben nach unten durch den Wust hindurchsintert, ein Gemisch
aus Millionen von winzigen, roten und braunen Radiergummikrümeln, Holzspänen
von Bleistiftspitzen, getrockneten Pigmenten aus Tee- oder Kaffeeflecken, Spuren
von Zucker und Milchpulver, jeder Menge Zigarettenasche, fusseligem, schwarzem
Farbbandabrieb, eingetrocknetem Bücherleim und zerbrochenen, pulverisierten
Aspirintabletten; darüber folgt eine Lage aus Büroklammern, Zippo-Feuersteinen,
Gummiringen, Heftklammern, Zigarettenkippen und zerknüllten Schachteln, einzelnen
Zündhölzern, Stecknadeln,zersplitterten Schreibfedern, Farbstiftstummeln aller
Schattierungen, einschließlich der schwer erhältlichen Töne Heliotrop und rohes
Umbra, hölzernen Kaffeelöffeln, Thayer's-Slippery-Elm-Hustenbonbons (von Slothrops
Mutter Nalline aus dem fernen Massachusetts geschickt), Schnipseln von Klebstreifen
und Schnüren, Kreideresten ... darauf als nächstes eine Schicht aus vergessenen
Memoranden, leeren, bereits vergilbten Lebensmittelkartenheftchen, Notizzetteln
mit Telephonnummern, unbeantworteten Briefen, eingerissenen Bogen Kohlepapier,
Ukulelenoten mit Begleitakkorden für ein Dutzend Songs, darunter »Johnny Doughboy
Found a Rose in Ireland« (»er hat ein paar wirklich zündende Nummern drauf«,
berichtet Tantivy, »er ist'ne Art amerikanischer George Formby, wenn du dir
darunter was vorstellen kannst«, was Bloat allerdings lieber nicht tut), einer
leeren Haarwasserflasche der Marke Kreml sowie übriggebliebenen Teilchen diverser
Puzzlespiele, auf denen man das bernsteingelbe linke Auge eines Weimaraners,
grüne Samtfalten eines Abendkleides, schieferblaues Geäder in einer fernen Wolke,
den orangeroten Widerschein einer Explosion (Sonnenuntergang?), Nieten in der
Haut einer Fliegenden Festung und den rosigen Innenschenkel eines Schmollmund-Pin-ups
erkennen kann ... obenauf dann ein paar alte Nummern der wöchentlichen Geheimdienstpostille
von G 2, einegerissene, spiralige Ukulelesaite, Schachteln mit gummierten Papiersternen
in vielen Farben, Teile einer Blitzlichtlampe, der Deckel einer Nugget-Schuhkremdose,
in welchem Slothrop hin und wieder sein verschwommenes Messing-Spiegelbild studiert,
jede Menge Nachschlagewerke aus der ACHTUNG-Bibliothek am anderen Ende vom Flur
(ein Wörterbuch für technisches Deutsch, ein F. O. Special Handbook oder Stadtplan)
- und eigentlich müßte auch noch, falls sie nicht geklaut oder weggeschmissen
worden ist, eine News of the World irgendwo rumliegen, ja Slothrop ist ein treuer
Leser. - Thomas Pynchon, Die Enden der Parabel. Nach
(eco)
Schreibtisch (10) Ich mache es
mir an meinem Schreibtisch bequem wie an einem Bollwerk gegen das Leben. Ich
spüre Zärtlichkeit, bis zu Tränen reichende Zärtlichkeit
für meine Geschäftsbücher, in die ich Eintragungen vornehme, für das alte Tintenfaß,
dessen ich mich bediene, ßir den gebeugten Rücken Sergios, der etwas weiter
von mir entfernt Warenbegleitpapiere ausfertigt. Ich liebe das alles, vielleicht,
weil ich sonst nichts zum Lieben besitze - oder, vielleicht auch deshalb, weil
nichts die Liebe einer Seele wert ist und, wenn wir es schon für ein Gefühl
halten, es ebenso lohnend ist, dieses Gefühl meinem kleinen Tintenfaß
entgegenzubringen wie der großen Gleichgültigkeit der Gestirne. - Fernando
Pessoa, nach: Tintenfass 15, Zürich 1986
Schreibtisch (11)
Schreibtisch (12) Tantivys Schreibtisch
ist aufgeräumt, der von Slothrop ein grauenhafter Verhau. Auf einer Tischplatte,
deren Oberfläche seit 1942 niemand mehr gesehen hat, haben sich Ablagerungen
in groben Schichten niedergeschlagen : das Fundament bildet ein bürokratisches
Smegma, das stetig von oben nach unten durch den Wust hindurchsintert, ein Gemisch
aus Millionen von winzigen, roten und braunen Radiergummikrümeln, Holzspänen
vom Bleistiftspitzen, getrockneten Pigmenten aus Tee- oder Kaffeeflecken, Spuren
von Zucker und Milchpulver, jeder Menge Zigarettenasche, fusseligem, schwarzem
Farbbandabrieb, eingetrocknetem Bücherleim und zerbrochenen, pulverisierten
Aspirintabletten; darüber folgt eine Lage aus Büroklammern, Zippo-Feuersteinen,
Gummiringen, Heftklammern, Zigarettenkippen und zerknüllten Schachteln, einzelnen
Zündhölzern, Stecknadeln, zersplitterten Schreibfedern, Farbstiftstummeln aller
Schattierungen, einschließlich der schwer erhältlichen Töne Heliotrop und rohes
Umbra, hölzernen Kaffeelöffeln, ThayerVSlippery-Elm-Hustenbonbons (von Slothrops
Mutter Nalline aus dem fernen Massachusetts geschickt), Schnipseln von Klebstreifen
und Schnüren, Kreideresten ... darauf als nächstes eine Schicht aus vergessenen
Memoranden, leeren, bereits vergilbten Lebensmittelkartenheftchen, Notizzetteln
mit Telephonnummern, unbeantworteten Briefen, eingerissenen Bogen Kohlepapier,
Ukulelenoten mit Begleitakkorden für ein Dutzend Songs, darunter «Johnny Doughboy
Found a Rose in Ireland» («er hat ein paar wirklich zündende Nummern drauf»,
berichtet Tantivy, «er ist 'ne Art amerikanischer George Formby, wenn du dir
darunter was vorstellen kannst», was Bloat allerdings lieber nicht tut), einer
leeren Haarwasserflasche der Marke Kreml sowie übriggebliebenen Teilchen diverser
Puzzlespiele, auf denen man das bernsteingelbe linke Auge eines Weimaraners,
grüne Samtfalten eines Abendkleides, schieferblaues Geäder in einer fernen Wolke,
den orangeroten Widerschein einer Explosion (Sonnenuntergang?), Nieten in der
Haut einer Fliegenden Festung und den rosigen Innenschenkel eines Schmollmund-Pin-ups
erkennen kann ... obenauf dann ein paar alte Nummern der wöchentlichen Geheimdienstpostille
von G 2, eine gerissene, spiralige Ukulelesaite, Schachteln mit gummierten Papiersternen
in vielen Farben, Teile einer Blitzlichtlampe, der Deckel einer Nugget-Schuhkremdose,
in welchem Slothrop hin und wieder sein verschwommenes Messing-Spiegelbild studiert,
jede Menge Nachschlagewerke aus der ACHTUNG-Bibliothek am anderen Ende vom Flur
(ein Wörterbuch für technisches Deutsch, ein F. O. Special Handbook oder
Stadtplan) - und eigentlich müßte auch noch, falls sie nicht geklaut
oder weggeschmissen worden ist, eine News of the World irgendwo rumliegen,
ja, Slothrop ist ein treuer Leser. - Thomas Pynchon, Die Enden der Parabel. Reinbek bei
Hamburg 1981
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