ätowieren
Ich sah einen Mann, der flach auf seinem Rücken auf dem Erdboden
ausgestreckt lag. Trotz der krampfhaften Haltung
seines Gesichtsausdrucks litt er offenbar große Schmerzen.
Sein Peiniger beugte sich über ihn und arbeitete aus Leibeskräften wie ein Steinmetz
mit Hammer und Meißel. In der einen Hand hielt er einen kurzen dünnen Stock,
der in einen Haizahn auslief und
auf dessen oberes Ende er mit einem hammerähnlichen Stück Holz schlug. So punktierte
er die Haut und tränkte sie mit dem Farbstoff, in den
das Instrument getaucht war. Eine mit dieser Flüssigkeit gefüllte Kokosnußschale
stand auf dem Boden. Sie wird hergestellt, indem man die Asche der hierfür stets
aufbewahrten „Armor" oder Kerzennuß mit einem Pflanzensaft mischt. Zur
Seite des Wilden lag ausgebreitet auf einem schmutzigen Stück Tapa eine große
Zahl seltsamer, häßlich aussehender kleiner Werkzeuge aus Knochen und Holz,
die bei den verschiedenen Verrichtungen seiner Kunst gebraucht wurden. Einige
liefen in eine einzelne scharfe Spitze aus und dienten wie sehr feine Bleistifte
dazu, die letzte Vollendung anzubringen oder die empfindlicheren Körperteile
zu behandeln, wie dies in gegenwärtigem Falle geschah. Andere zeigten mehrere
Spitzen in einer Linie und erinnerten etwa an die Zähne einer Säge. Diese wurden
bei den gröberen Teilen der Arbeit verwendet und besonders, um gerade Linien
zu stechen. Bei anderen waren die Spitzen in kleinen Figuren verteilt und hinterließen,
wenn sie auf den Körper gesetzt wurden, bei einem einzigen Hammerschlag dort
ihre unzerstörbaren Spuren. Einige sah ich, deren Handgriffe rätselhaft gebogen
waren, als wären sie dazu bestimmt, in die Öffnung des Ohres eingeführt zu werden,
vielleicht um das Trommelfell zu tätowieren. Insgesamt erinnerte der Anblick
dieser seltsamen Instrumente an die Garnitur von grausam aussehenden Dingen
mit Perlmutterhandgriffen, die man neben dem Arbeitsplatz eines Zahnarztes in
ihren samtausgeschlagenen Fächern liegen sieht.
In diesem Augenblick war der Künstler nicht mit einer Originalskizze beschäftigt.
Sein Klient war ein ehrwürdiger Wilder, dessen Tätowierung mit der Zeit etwas
blaß geworden war und einiger Reparaturen bedurfte. Er war also nur mit der
Restauration der Werke eines der älteren Meister der Typee-Schule beschäftigt,
die auf die menschliche Leinwand vor ihm aufgezeichnet waren. Die Teile, die
aufgearbeitet wurden, waren die Augenlider, wo ein
Längsstreifen das Gesicht des Opfers überquerte.
Trotz aller Anstrengungen des armen Alten verrieten besonders die Zuckungen
und Verdrehungen der Gesichtsmuskeln die
außerordentliche Empfindlichkeit dieser
Läden an den Fenstern seiner Seele,
die er sich jetzt bemalen ließ. Aber der Künstler
besaß ein Herz, das so hart war wie das eines Militärwundarztes. Er fuhr
mit seinen Verrichtungen fort und hämmerte, während er seine Arbeit mit einem
wilden Lied begleitete, lustig drauflos wie ein Specht. - Herman Melville,
Typee. Ein Blick in das polynesische Leben... München 1979 (zuerst 1846)
Tätowieren (2) Das Tätowieren war ursprünglich
wohl eine hieratische Kunst. Wenn sich die Dichter ihre Verse, oder auch nur
ihre Urbilder ins eigene Fleisch schneiden müßten, würde wohl weniger produziert
werden. Andererseits würden sie den ursprünglichen Sinn der Publikation als
eine Form der Selbstentblößung weniger umgehen können. Auch würden manche Lyriker
- ich will keine Namen nennen - durch Vorzeigen ihrer Menschlichkeiten völlig
entlarvt dastehen. Item: man sollte darauf achten, ob Bücher gekleckst oder
tätowiert ind. Und ob die Schönheit an den Kleidern hängt oder im Fleische brennt.
- Hugo
Ball, Die Flucht aus der Zeit. Zürich 1992 (zuerst 1927)
Tätowieren (3)