Krieg — oder zumindest gewalttätiger Wettstreit
— gehört zum Nomadentum. Der Stamm ist eine Militärmaschine, und vom Alter
von vier Jahren an werden die Jungen in der Kunst des Krieges und der Verteidigung
unterrichtet. Sie haben die Aufgabe, sich um ein paar Tiere zu kümmern,
und ihnen droht Strafe, falls sie sie weglaufen lassen. Auf diese Weise
wird ihnen eingeschärft, daß die Fürsorge für das Vieh eines der wichtigsten
Dinge im Leben ist. Diese Verehrung für Tiere ist unweigerlich begleitet
von einer geschwächten Achtung vor dem Wert des menschlichen Lebens. Der
chinesische Geschichtsschreiber Ssu-ma Ch'ien beschreibt diesen
Vorgang in seinem Bericht über die Hi-ung-nu, die östlichen Hunnen. »Die
kleinen Jungen beginnen, indem sie lernen, auf Schafen zu reiten und Vögel
und Ratten mit Pfeil und Bogen zu erlegen, und wenn sie älter werden, erlegen
sie Füchse und Hasen, die als Nahrung dienen. So können alle jungen Männer
mit einem Bogen umgehen und in Kriegszeiten als bewaffnete Reiter auftreten.«
Außerdem erzeugt das Reiten eine Art olympischen Hochgefühls. So machte
der russische Forscher Oberst Przewalsky folgende kuriose Bemerkung
über den Kalmücken-Nomaden:
»Seine Verachtung für die Fußwanderung ist so groß, daß er es für unter
seiner Würde hält, auch nur bis zur nächsten yurta zu gehen.« Die
Hunnen, so heißt es, kauften, verkauften, schliefen, aßen, tranken, sprachen
Urteile und verrichteten sogar ihre Notdurft,
ohne vom Pferd zu steigen. - Bruce Chatwin, Was mache ich hier. Frankfurt
am Main 1993 (Fischer - Tb. 10362, zuerst 1989)
Reiter (2) Ab und zu hielt sie inne und half dem Ritter wieder auf die Beine, denn der war alles andere als ein guter Reiter. Sooft das Pferd stehenblieb (und das tat es sehr häufig), fiel er vorne herunter; und sobald es wieder weiterging (und darin hatte es eine etwas plötzliche Art), fiel er hinten herunter. Ansonsten hielt er sich recht tapfer, außer daß er hie und da seitwärts herunterfiel; und da ihm das im allgemeinen auf der Seite passierte, wo Alice ging, fand sie bald heraus, daß es am besten war, nicht allzudicht neben dem Pferd zu laufen.
»Es sieht so aus, als hättet Ihr nicht sehr viel Übung im Reiten«, wagte sie schließlich zu sagen, als sie ihm nach dem fünften Sturz wieder aufhalf.
Der Ritter zeigte sich sehr überrascht und ein wenig beleidigt über diese Bemerkung. »Wie kommst du denn darauf?« fragte er, als er wieder in den Sattel kletterte, wobei er sich mit einer Hand in Alicens Haaren festhielt, um nicht auf der anderen Seite wieder herunterzufallen.
»Weil man nicht ganz so oft herunterfällt, wenn man viel Übung hat.«
»Ich habe mehr als genug Übung«, sagte der Ritter sehr ernsthaft. »Mehr
als genug!« Alice fiel darauf nichts Besseres ein als: »Ach wirklich ?«, aber
sie versuchte wenigstens, es möglichst herzlich klingen zu lassen. - Lewis
Carroll, Alice hinter den Spiegeln. Frankfurt am Main 1974 (zuerst 1872)
Reiter (3) Ich bin tollkühn, besessen, peitsche
das Pferd. Ich beiße in das weiche Fell. Galopp. Ich treibe, ich treibe. Heftiger.
Es soll sich überschlagen. Bis zur Erschöpfung. Soll sich nicht nur in den Hoden
erschöpfen. Soll im Schweiß -. Ich will in Schaum baden. Meine Schenkel sind
auch naß. Meine Hoden wie weiche Pflaumen. Ich bin erbarmungslos. Ich träumte.
Ist zerronnen. Im Wald bergauf ging es Schritt für Schritt. Absitzen, Rast.
Eine Versöhnung. Brot und Speichel gab Perrudja, ließ trinken, grasen, aß selbst.
Liebt den Schleim meines Mundes. Aber er war matt durch lästigen Schweiß, sein
Fuß schmerzte. Liebt er auch den Geruch meines Schweißes? Aufknöpfen die Jacke,
Brust entblößen. Pferdekopf in feuchte Achselhöhle nehmen. Kein Widerwill. Ich
muß Wasser lassen. Er wird riechen, was ich tue. Die Welt enthüllt sich in ihren
Düften. Heranführen der Nüstern. Bleibt träumend stehen. Ich bin ihm nicht widerwärtig.
Küsse den Hals! Ihr habt einander mißverstanden. Er läßt sein Wasser. Gib dein
Wasser dazu. - Hans Henny Jahnn, Perrudja. Nach (
loe2
)
Reiter (4) Kebad Kenya dachte daran, das Fleisch
seiner eigenen Schenkel zu verspeisen. Roh, wie es herabhing, noch warm und
vom Blut seines Herzens durchpulst; aber doch schon losgelöst von dem Mann,
dem es gehört hatte, bereit, anderswo hineinzuwachsen. Oder eitrig zu vergehen.
Kebad Kenya hatte sich eine Stunde vor Mitternacht auf den Rücken seiner Stute
geschwungen. Der Himmel war ohne Sterne. Kein Mond stand hinter den Wolken.
Es war kein Weg und kein Feld vor ihnen gewesen. Keine Schlucht, in die sie
hätten stürzen können, kein Teich, in dem sie hätten ertrinken können, kein
Wald, in dem sie sich hätten verirren können. Sie konnten sich nicht verirren,
und das Unglück konnte ihnen nicht begegnen; denn Kebad Kenya wollte das Ende;
aber es war noch nicht da. Und da es das Ende noch nicht war, sondern nur die
Finsternis, außen und innen, mußte er etwas tun. Er mußte die Sünde tun oder
sich erschöpfen. Doch die Sünde, so verlockend sie ihm auch oft erschienen war
und wieder erschien, er widersetzte sich. Ehemals war er in sie gestürzt, er
war in ihr zerschrotet worden wie zwischen zwei Mühlsteinen; aber jetzt war
sein Haß, mit dem er sich ihr ergab, schwach geworden; da wurde die opferdurstige
Gegnerin auch von Kraftlosigkeit beschlichen. So blieb ihm nur das andere, sich
zu erschöpfen. Und er ritt dahin zwischen den zwei Finsternissen und zerschund
sich die Schenkel bis an den Bauch heran. Und der Rücken des Pferdes wurde wund
und blutig wie seine eigene Haut. Wäre die Nacht nicht zuende gewesen, hätte
die Sonne einen Tag gezögert heraufzusteigen, er wäre eingewachsen in den Rücken
des Pferdes. Das Tierherz und das Menschenherz hätten ihren Saft ineinander
gegossen zur gräßlichen Bruderschaft eines Zwitters. - (
jah
)
Reiter (5)
Heiliger Wenzel, reitend
Reiter (6)
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