Kind, ekelhaftes  Seine Dicke (er war nicht fettleibig, sondern rund und aufgedunsen, mit ungesundem, gelblichem Fleisch) offenbarte bald Zeichen psychischen Verfalls. Er hatte in seinem Gesicht, das vollkommen rund war, als bestünde es aus lauter konzentrischen Kreisen, runde Augenbrauen und darunter runde Augen, runde Backen - die, obwohl er erst fünfunddreißjg Jahre alt war, bereits herunterhingen -, ein rundes Kinn, einen runden Mund. Nur dieser letzte verlor, wenn er sich beim Sprechen bewegte, seine Rundheit und nahm unregelmäßige Formen an, aber auch sie immer unbeständig und ungenau - und daher kam ein gewisses Gefühl des Ekels auf - das gleiche, das man bei schleimigen Dingen empfindet. Rund war auch die Stirn, reichlich gelichtet., auf der sich ein schütterer Kranz blonden Haars abzeichnete - leicht asketisch, wie der eines Dorfpfaffen, eines Provinzadvokaten. Die Rundlichkeit verlieh seiner Physiognomie etwas Kindliches: doch das Kind, dem er glich, war, wie gesagt, ein etwas ekelhaftes Kind. Ansonsten verhielt er sich genau so wie sich ein Erwachsener verhalten soll.  Noch wußte er nicht — am Anfang unserer Geschichte — was das wirkliche Ziel seines Lebens war. Er war wie eine Raupe in einem Kokon. Und doch war er potentiell bereits das, was er sein wollte; und daher lagen in seinem Verhalten - im Leben wie bei der Arbeit - bereits die Mechanismen (die ich, ganz unobjektiv, als abstoßend bezeichne), mit denen jemand Ziele erreichen will, für die er nicht geschaffen ist (obschon allein das Erstreben großartiger oder edler Ziele in gewisser Weise auch den adelt, der sie nicht erreicht). Er war gewissenhaft, unermüdlich, unauffällig, immer tüchtig an seinem Platz; und gleichzeitig war er ein kalter Rechner und Schmeichler. Weil er noch keine Person war, die im Vordergrund stand, fiel dies keinem auf: doch in Wahrheit war er ein widerliches Ungeheuer von leidenschaftlicher Unterwürfigkeit. Er wäre zu den abstoßendsten Dingen bereit gewesen, nur um die Gunst einer Person zu erlangen. Gleichzeitig aber pflegte er auch den Mythos der eigenen Unschuld. Tatsache ist, daß sein Wunsch, sich durchzusetzen und weiterzukommen, in den Bereich der krankhaft begierigen Wünsche gehörte: und so war es also die 'Krankheit', die dafür sorgte, daß seine Unschuld erhalten blieb, wie eine Urbedingung der Gnade, die gleichzeitig alle ihre elenden Übertretungen entschuldigte.  Unser Intellektueller schien also dazu bestimmt, seine Selbstverwirklichung auf die gewöhnlichste Art und Weise ziii erreichen: mittels der einen oder anderen Befriedigung, die ihm, außer durch seine mittelmäßigen Verdienste, durch seine im tiefsten Inneren kalkulierten Schachzüge bereitet worden war.

Bis er eines Nachts, als er sich in den leichten Schlummer: jener Unglückseligen verloren hatte, die — ohne es zuzugeben — an Schlaflosigkeit leiden, von einer Stimme aufgeweckt wurde, die ihn rief.

Er öffnete die Augen, richtete sich auf, und wirklich war da ein Wesen, das am Fußende seines Bettes stand; die Neurose oder seine Vorbestimmung zum Wahnsinn hatten ihn demütig an derartige Erscheinungen gewöhnt, und er nahm auch diese auf der Stelle voller Demut hin. Es folgte das folgende kurze Gespräch über Moral zwischen dem Mann und dem, was wir fürs erste Dunkle Macht nennen könnten, die am Fußende seines Bettes saß.

»Was ist los?«

»Weißt du, was das Ziel deines Lebens ist?« fragte der andere, den wir fürs erste Dunkle Macht nennen könnten. Der Intellektuelle riß die Augen weit auf und schluckte gründlich, dann machte er sich daran, eine vernünftige Antwort zu geben, die im Grunde seine Unschuld <?>:

»Wie jeder, möchte ich eine Position innerhalb der Gesellschaft erreichen, in der ich lebe - sagte er - lieber in der Hauptstadt als in diesem Provinznest.«

»Schon gut, schon gut — sagte die Dunkle Macht —, aber das ist nur ein Teil oder eine Phase deines eigentlichen Lebensziels. Befrage dich nur genauer, steige nur tiefer in dein Bewußtsein hinab« (ein kurzes wohlwollendes Lachen beschloß diesen letzten pfäffischen Satz).

»Ich strenge mich schon so sehr an, mehr kann ich einfach nicht, ehrlich« (er hatte überhaupt nicht die Absicht, tiefer als bisher zu gehen, weil er dadurch seine bereits gut eingespielte Lebensführung hätte unterbrechen müssen. Dagegen wußte er nicht, daß gerade er es war, er, so widerlich und machtlos, vor allem aber so ohne jede Eigenschaft, der [alles so gelenkt hatte], daß er sich damit die Möglichkeiten eines bedeutenden Schicksals geschaffen hatte).

»Nun denn, wenn du es nicht sagen willst, so sage ich es dir: das Ziel deines Lebens ist die Macht

Bei diesem Wort blickte der Intellektuelle schärfer durch das Halbdunkel, das die traurige Nacht der Provinz in seinem Gehaltsempfängerzimmer verdichtete: und es gelang ihm wirklich, denjenigen besser zu erkennen, der zu ihm redete. Die Haare standen ihm zu Berge, und das Grauen ließ ihn erstarren.*

So gewaltig zitternd, daß er sich aus dem Gleichgewicht gebracht fühlte, und mit dem Kaltschweiß eines Sterbenden bedeckt, erblickte unser Intellektueller tatsächlich niemand anderen vor sich auf dem Bettrand sitzend als den leibhaftigen Teufel: den Teufel mit zwei kleinen Hörnern, die aus seinem weißbehaarten Kopf hervorsprangen, das kleine Gesicht eines Zahnlosen, rot, feurig, wie das eines Säufers, der weiß, daß er ein elendiger Hund ist: er hielt die Lippen fest zu einer Art gespitztem Lächeln verschlossen, das gleichzeitig etwas von einer unflätigen Selbstbemitleidung und von resigniertem Groll auf denjenigen an sich hatte, der ihn musterte. Seine Verworfenheit war wie eine Kruste, die sich über das kranke Rot seines Gesichts, über seine Kopfhaut, unter die zerzausten weißen schmutzigen Haarbüschel gelegt hatte. Um sich herum verbreitete er den unerträglichen Gestank dessen, der im Staub oder inmitten von Lumpen geschlafen hat, irgendwo in einem Wartesaal oder in einem Verschlag, ohne sich die Kleider auszuziehen und die Schuhe.

Erstarrt war er, und die Haare standen ihm zu Berge, doch begriff er, daß der Teufel die Wahrheit ausgesprochen! hatte. Die Macht war tatsächlich das Ziel seines Lebens.   - Pier Paolo Pasolini, Petrolio. Berlin 1994

 

Kind Ekel

 

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