ustausch   War es nicht doch etwas anderes als bloß unsere Einsamkeit gewesen, was uns zuvor zueinander hingezogen hatte? Und warum drohte uns, wenn wir uns in einer Gruppe bewegten, solch Bruch nie? Warum hörte auf dem Umweg über die andern die Freundschaft auf, eine windige Sache zu sein, und zeigte sich, in einem Blickwechsel über die Schulter eines Dritten, an dem gleichzeitigen Gewahrwerden desselben Details, an einem gemeinschaftlichen Übersehen oder Überhören des Unguten, als etwas Wärmendes, Erheiterndes? Auch wenn in dem Getriebe einer den andern bloß ahnte, geschah zwischen uns Freunden, auf Seitenwegen, an den Köpfen und Körpern der Gesellschaft vorbei, ein Austausch der Begebenheiten, Bilder, Klänge. Mit solchen Erlebnissen bekam ich einen Sinn für Epikurs »Die Freundschaft umtanzt die Menschenwelt«. - Peter Handke, Mein Jahr in der Niemandsbucht. Frankfurt am Main 1994

Austausch (2) Es ist ja nun hinlänglich bewiesen, und dafür gesorgt, daß im Prozeß der Einverleibung, der Karnation sowie des schließlichen Ausscheidens die feinen Unterschiede nicht in den Himmel wachsen. Im Metabolismus, der, Leib und Seele also zusammenhaltend, die Trennung von Außen und Innen nicht nur besiegelt sondern auch krönt, redet der Mensch zum Menschen; soße / gelimitad / knorz; und Stoffwechsel betreibend verfügen wir über ein universelles Verständigungsmittel, dem zu entsprechen wir aufgerufen sind. Zartester Spargel! Ahnender Austausch! Denn im Dunstkreis des Lebens sind zweierlei Gnaden: Einfuhr und Ausfuhr ... Allein die Kreatur ist launisch und diffizil. Jemand, der keine Fleischperson ist, will nicht, daß man dies weiß. Er schafft das Fleisch ab und geht mit Eifer hausieren, den er Brot nennt. Wo ist denn dein Fleisch? So darfst du nicht fragen, wenn dir dein Wort lieb ist. Etliche Kalorienbenenner werden des Fleisches überführt. Der Schnee riecht verdächtig nach unserem täglichen Eifer, dein Fleisch ist ein mittleres Salär in einem Brotbergwerk. Auch Wortsurrogate erhalten das Wissen, ein langwieriges Wintermärchen ... (Unverträglich hingegen sind Medien im Speck. Gesunder Stoffwechsel übt Introspektion. Schon die Idee einer Idee generiert Ideen.) - (pas)

Austausch (3) Die großmutter gab ihrem enkel diesen rat: »Geh in diesen und jenen wald, nach einem jahr wirst du eine lichtung erreichen, die eine stelle hat, aus der ein blauer rauch aufsteigt. Zu diesem rauch gehst du hin, er kommt aus einem offenen fenster, das im boden eingelassen ist, es ist das fenster eines unterirdischen hauses. In diesem hause wohnt der Imook, das ist der alte geist, der köpfe austauscht. Zu ihm mußt du hinabspringen und ihn bitten, dir einen anderen kopf zu geben.«

Der junge mann begab sich auf den weg, er erreichte den besagten wald, er ging ein jahr durch ihn, er erreichte endlich die lichtung, von der die großmutter geredet hatte. Er fand die stelle, von der der blaue rauch aufstieg, er legte sich über das fenster im boden und blickte in die unterirdische wohnung des Imook.

Eine stimme rief herauf: »Ist es eine wolke, die meine wohnung verdunkelt, oder ist es ein mensch?« Der junge mann rief hinunter: »Ich bin ein mensch und möchte dich um einen gefallen bitten!« »Dann spring zu mir herunter!« rief die stimme aus dem erdinneren.

Der junge mann zögerte, es schien ihm zum springen viel zu tief. »Hast du keine leiter?« fragte er hinunter. »Mit leitern steigt man hoch«, erwiderte die stimme, »zu mir springt man herunter!«

»Es ist zu tief.«

»Entweder spring oder lauf wieder nach hause!« sagte der Imook.

Der junge mann sprang durch das loch in die erde, die wohnung kam ihm schnell entgegen, von unten herauf kam sie ihm entgegen, er sprang keine eile tief, er stand vor dem Imook, der köpfe austauscht. »Du willst bei mir deinen köpf tauschen«, sagte der Imook. »Wenn du so gut sein würdest...«, sagte der junge mann. Sie gingen in dieser unterirdischen wohnung herum, der Imook zeigte dem jungen mann viele köpfe, die auf regalen standen, keiner von ihnen gefiel diesem. Der Imook wurde  keineswegs  ungeduldig.  Endlich rief der junge mann: »Diesen da möchte ich haben und keinen anderen!« Der Imook sagte: »Er wird dir nicht übel stehen, er gehört dir.«

Er riß dem jungen mann den kopf ab und setzte den geforderten an dessen stelle. Dann führte er den jungen mann vor einen spiegel und hieß ihn hineinzusehen. »Was ist das?« fragte der junge mann. »Das ist der noch  nicht erfundene  spiegel«,  sagte der Imook und stellte den abgerissenen kopf in ein regal. Der junge mann blickte sich in den spiegel, er gefiel sich sehr gut, er fragte: »Was bin ich dir für diesen neuen kopf schuldig?«

»Ach was«, sagte der Imook, »ich komme bei dir einmal zum mittagessen vorbei.«

Der junge mann bedankte sich und kletterte an einer leiter aus der unterirdischen wohnung des Imook, der köpfe austauscht. Nach einem jahr kam er wieder nach hause zurück, keiner erkannte ihn mehr, nur seine großmutter sagte: »Jetzt muß einer den spiegel erfinden.« Der junge mann ging wieder zum haus des mädchens, er zog weder sein bestes kleid an, noch setzte er seinen besten hut auf, er meinte, daß er das nicht länger nötig habe. Das mädchen war nicht mehr in dem haus. Er fragte: »Wo ist das junge mädchen, das hier gelebt hat?«

»Sie ist tot«, sagten die leute des hauses, »einer aus dieser gegend, von dem wir schon lange vermuteten, daß er ein kannibale sei, hat sie vor einem jahr zu sich in den wald geschleppt und aufgefressen.«

Der junge mann wußte nun, was der Imook mit mittagessen gemeint hatte. Er heiratete ein anderes mädchen, er wurde spiegelmacher und erfand den ersten brauchbaren spiegel. - (ei)

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