ustauschbarkeit   was wir sehen wird weitgehend bestimmt durch das was wir hören diese behauptung läßt sich durch ein simples experiment beweisen stellen sie den ton an ihrem fernsehgerät ab und ersetzen sie ihn durch einen beliebigen tonstreifen den sie zuvor mit ihrem tonbandgerät aufgenommen haben straßengeräusche musik gespräche aufnahmen aus anderen fernsehprogrammen sie werden feststellen daß der ausgetauschte tonstreifen angemessen erscheint und darüber hinaus ihre interpretation des filmstreifens auf dem bildschirm bestimmt leute laufen zu einem bus am piccadilly vom tonband maschinengewehrfeuer sieht aus wie petrograd 1917 man kann das experiment erweitern indem man aufnahmen verwendet die dem filmstreifen mehr oder weniger entsprechen nehmen sie  zum beispiel die rede eines Politikers im fernsehen schalten sie den ton ab und ersetzen sie ihn durch eine andere rede die sie zuvor aufgenommen haben der unterschied wird kaum auffallen  - William S. Borroughs, Die unsichtbare Generation. In: Acid. Neue amerikanische Szene. Hg. Rolf Dieter Brinkmann, Ralf-Rainer Rygulla. Frankfurt am Main 1969

Austauschbarkeit (2)  Das Männchen kam im Beobachtungsjahre früh zurück, und als es eben erst ein paar Tage zu Hause war und auf seinem Neste stand, erschien ein fremdes Weibchen. Der Mann grüßte klappernd die fremde Frau, sie fiel sofort bei ihm auf dem Neste ein und grüßte ebenso. Der Mann gestattete ihr ohne weiteres den Zutritt und behandelte sie in jeder kleinsten Einzelheit genauso, wie eben ein Storchenmann seine längst erwartete Gattin bei ihrer Rückkunft zu behandeln pflegt. Professor Schüz sagte mir, er hätte geschworen, daß der ankommende Vogel die vertraute, langentbehrte Gattin sei, wenn ihn nicht die Fußringe, bzw. deren Fehlen bei dem neuen Weibchen eines Besseren oder, besser gesagt, eines Schlechteren belehrt hätten.

Die beiden waren schon eifrigst am Ausbessern und Neuauspolstern des Nestes, als plötzlich doch noch das alte Weibchen eintraf. Da begann ein Revierkampf auf Tod und Leben zwischen den beiden Störchinnen, dem der Mann völlig uninteressiert zusah, ohne auch nur daran zu denken, seiner alten Frau gegen die neue oder umgekehrt dieser gegen die alte beizustehen. Schließlich flog die neuangekommene Störchin, von der »rechtmäßigen« Gattin besiegt, wieder fort, und der Storchenmann fuhr im Geschäfte des Nistens nach dem Frauentausch genau dort fort, wo es durch den Kampf der Rivalinnen unterbrochen worden war. Es gab keinerlei Anzeichen dafür, daß er den zweimaligen Austausch der einen Gattin gegen die andere überhaupt bemerkt hatte.  - Konrad Lorenz, Das sogenannte Böse. Zur Naturgeschichte der Aggression. München 1974 (zuerst 1963)

Austauschbarkeit (3)   Auf der Schulbank konnte der Lehrer sie nicht unterscheiden. Er verwechselte sie. War er doch auch nur begabt mit Augen und Ohren. Auf der Straße wurden sie mit ihren unrichtigen Namen angesprochen. Sie fanden sich darein, jeder, auch auf den Namen des anderen zu hören. Ein verwegener Mensch redete sie eines Tages an und fragte, ob denn sie beide sich nicht vertauschten. Es war die schlimmste Frage, die ihnen bis dahin gestellt worden war. Sie bedachten sich. Sie wogen sich im Geiste. Sie wechselten ihre Plätze, blickten sich an und antworteten wie im Schlaf: Sie selbst wissen es nicht. Sie sind ein paar Schritte gegangen; ihr Bild hat sich dadurch nicht verändert. Es gibt kein Zeichen des Unterschiedenseins an ihnen. Beide zwar reden von sich als einem Ich. Ihr unterschiedlicher Name ist sehr überflüssig geworden. - Sie erregten sich über den unklaren Zustand, in dem sie sich befanden, und versuchten sich voneinander zu halten. Umschlichen sich nur, berührten sich kaum, daß sie sich nicht ineinander verfingen. Trotz vieler Vorsicht und noch größerem Widerstreben begannen sie des Nachts voneinander zu träumen. Und es war ihnen, als ob der eine in den anderen überflösse. Aus ihrem Selbst wurde das Du. Ihr Bewußtsein plätscherte mehrmals hin und zurück. Bis sie die Erinnerung an den Namen des Ich verloren hatten. Als sie erwachten, konnten sie vertauscht sein. Es bedurfte einer Aussprache zwischen ihnen, in der sie aufs Neue die beiden Namen auf sich verteilten. Trotz so viel sicherer Ordnung blieb ihre Existenz ungewiß. Sie mißtrauten einander nach diesem Traum und wandten sich in Zorn voneinander ab. Und hatten die Gewißheit, der ihnen nicht gemäße Name war auf sie gekommen. Heimlich erwogen sie, der eine müsse den anderen töten; aber plötzlich kicherte ein Lächeln hinter dem Plan, daß sie sich selber töten würden; und nur der vertauschte andere zurückbliebe. Dennoch trugen die blutigen Gedanken eine Frucht. Sie wollten sich das Unterscheidungszeichen gewaltsam aufzwingen. Und der eine unter ihnen ging hm, nahm ein dolchartiges Messer und brachte sich unterhalb der linken Brustwarze eine breite Schnittwunde bei, tief gekerbt bis auf die Rippen, die, ungepflegt mit einer wulstigen Narbe verheilen mußte. Als es geschehen, zeigte er eines Abends beim nächtlichen Entkleiden, dem Bruder das heimliche Kennzeichen. Der schwieg eine Weile betreten. Entblößte dann seinen Oberkörper. Auch er hatte den Dolch genommen. Wortlos, zornig suchte jeder sein Bett. Verzweifeltes Ahnen: niemals würde der eine vor dem anderen ein Geheimnis haben können. Dunkle Triebe glommen in ihnen auf. Sie fühlten sich voreinander nackend, schämten sich voreinander. Ein Gott aber lächelte und wand ihnen alle Dolche aus den Händen. Auf einer Straße lag ein ungehöriger Stein. Über ihn stolperte der eine der Brüder. Er fiel unglücklich. Stieß sich die obere Zahnreihe ein. Blutüberströmt wurde er ins Haus getragen. Als ein Arzt sich um ihn bemühte (eine dauernde Entstellung konnte er nicht aufhalten), kam der zweite Bruder des gleichen Weges. Umherstehende Kinder erzählten ihm, daß über diesen Stein vor wenig Augenblicken sein Bruder -. Sie hoben den Gegenstand auf, eben diesen Stein, warfen ihn dem zweiten vor die Füße. Und hoben ihn abermals auf und wiesen ihn hoch, daß jener sähe. Der horchte auf, glaubte ein Signal zu hören, wollte seine Füße zum Lauf beschleunigen. Da lag wieder dieser Stein vor ihm. Er stürzte mit dem gleichen Fall wie der Bruder, erlitt die gleiche Verwundung. Seit jenen kranken Tagen trugen sie eine breite Goldklammer über der oberen Reihe der Schneidezähne. Ihre Zeit wurdet reifer. Es gab kaum noch Anlässe und Gedanken, deren sie sich schämten. Sie fühlten sich entschuldigt sowieso. Sie wurden darüber schwach, erlagen jeder Minute. Man sagte von ihnen, daß das Böse lose in ihnen sitze. - Hans Henny Jahnn, Perrudja. Frankfurt am Main 1966 (zuerst 1929)

 

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