ohnküche Die Tante ließ ohne weitere Umstände nach ein paar Minuten den Kopf auf die Brust sinken — das war ihre Gewohnheit um diese Zeit — und begann leise zu schnarchen. Auch mit dem Gesprächsthema kam man im übrigen nicht viel weiter. In einer solch verzweifelten Lage schaute der Onkel seine schmutzigen Fingernägel an; der Cousin erkundigte sich schließlich nach den Nachtlokalen in der Stadt und ließ dabei mit sichtlicher Genugtuung die Wörter Tabarin, Giri, Champagner einfließen. Man hätte ihm einzig ein hartnäckiges Durcheinander von Konditional und Konjunktiv Imperfekt vorwerfen können. Der Vater verwechselte seinerseits beim Konjunktiv lediglich die verschiedenen Zeitformen; die beiden Frauen brachten vorzugsweise die Geschlechter der Nomina durcheinander, und was den Bruder der Tante betraf, bei dem konnte nicht eigentlich von Sprechen die Rede sein, sondern er nuschelte mit seiner ungewöhnlich fleischigen Zunge auf ganz und gar unverständliche Art. Dieser Umstand wurde noch dadurch erschwert, daß er den sonderbaren Ehrgeiz hatte, keinen Atem zu schöpfen, bevor er nicht zu Ende gesprochen hatte, so daß ihm hinsichtlich der Konjugation der Verben der allergrößte Kredit zuzugestehen war.
Das Kind war endlich eingeschlafen und schnaufte ganz ohne Anmut.
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Tommaso Landolfi, Der Mondstein. Zürich 1995 (zuerst 1972)
Wohnküche (2)
Wohnküche (3) Wenn ich
die Stadt M. aufsuchte, dann wollte ich nichts, als so schnell wie möglich zurückzukehren
unter eine brennende Lampe, die über einem Küchentisch hing, in einer winzigen
verqualmten Wohnküche, die mir von Kindheit an bekannt war. Es gab zwei Fenster
zum Hof hinaus, und an den übrigen Wänden die abblätternden und blasenwerfenden
Tapeten, die vergilbt waren und unter dem Schatten ihrer
Verfärbungen ein merkwürdiges Muster aufwiesen: beim flüchtigen Hinsehen entstand
der Eindruck, als ob Schnüre von dunkelbraunem Ungeziefer
geradlinig die Wände hinaufstrebten. Wenn ich den Kohleofen angeheizt hatte,
schienen die Tapeten zu schwitzen und sonderten das Nikotin ab, das sich seit
Beginn der Ewigkeit in ihren Poren festgesetzt hatte. Die Fenster waren von
Nässe verquollen; gegen die an ihren Rändern eindringende Kälte hatte ich sie
mit alten Handtüchern abgedichtet. Die Lampe über dem Tisch ließ ich möglichst
immer brennen, da ihre Leitungsdrähte stark oxydiert und porös wären. Sie stammten
aus Vorkriegszeiten und verweigerten bei zu häufigem Ein- und Ausschalten den
Stromfluß, der nur durch langwieriges Manipulieren an den Kontaktstellen wieder
in Gang zu bringen war. - In dieser alten Höhle - in diesem Überbleibsel aus
den Anfangsjahren des zwanzigsten Jahrhunderts - saß ich nun und blätterte meine
Seiten um, die entweder mit durchgestrichenen oder noch nicht durchgestrichenen
Zeilen bedeckt waren. Anstatt zu schreiben, rauchte
ich eine Zigarette nach der anderen und lauschte in
die Finsternis, die unbeweglich vor den Fenstern stand. Es war nichts zu hören
... es gelang mir nicht, etwas zu hören, alle Geräusche wurden vom entnervenden
Geheul des antiquarischen Kühlschranks verschluckt,
dessen labiles Aggregat in viel zu kurzen Abständen anlief. -
Wolfgang Hilbig, Die Erinnerungen. In: W.H., Der Schlaf der Gerechten.
Frankfurt am Main 2003
Wohnküche (4)
Wohnküche (5)
- Srednia Wies
Wohnküche (6)
-
N.N.
Wohnküche (7)
Mich faszinierte alles in dieser Küche. So vertraut sie mir auch war,
gelang es mir doch nie, sie ganz zu erobern. Jeder hatte Zutritt zu ihr, und
doch hatte sie etwas Intimes. Hier wurde ich samstags in einem großen Zinkzuber
gebadet. Hier wuschen und putzten sich die drei Schwestern. Hier stand mein
Großvater am Ausguß, wusch sich bis zum Gürtel und gab mir dann seine Schuhe
zum Putzen. Hier stand ich im Winter am Fenster und sah zu, wie der Schnee fiel,
beobachtete das dumpf und leer, als wäre ich im Mutterleib, und hörte das Wasser
laufen, während meine Mutter auf dem Klosett saß. In der Küche wurden die geheimen
Gespräche geführt - erschreckende, widerliche Sitzungen, von denen sie immer
mit langen, ernsten Gesichtern oder roten, verweinten Augen wieder auftauchten.
Warum sie dazu in die Küche liefen, weiß ich nicht. Aber oft, während sie so
in geheimer Beratung beisammen standen, sich über ein Testament stritten oder
darüber entschieden, wie sie einen armen Verwandten loswürden, ging plötzlich
die Tür auf, und ein Besuch erschien, worauf die Stimmung augenblicklich umschlug.
Schlagartig, meine ich, so als fühlten sie sich erleichtert, daß eine von außen
kommende Kraft dazwischengetreten war und ihnen die Schrecken einer ausgedehnten
Geheimsitzung ersparte. - Henry Miller,
Wendekreis des Steinbocks, Reinbek bei Hamburg 1972 (zuerst 1939)
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